Debatte um Biotechnologie

Kampf um die Zellen

In der Debatte über Biotechnologien scheint es nur noch Technokraten und Lebensschützer zu geben.

Es geht voran. Bundeskanzler Gerhard Schröder lässt keine Gelegenheit aus, um das wirtschaftliche Potenzial der Genom-, Embryonen- und Stammzellforschung zu betonen. Und Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn wünscht sich einen breiten gesellschaftlichen Konsens für die technologische Bearbeitung von Embryonen.

Johannes Rau hat dagegen für einen »Fortschritt nach menschlichem Maß« plädiert und Kritik geübt am neuen Ethikrat des Bundeskanzlers und an zu viel Fortschrittseuphorie. Als Maßstab politischer Entscheidungen will der Bundespräsident nicht allein Profitaussichten gelten lassen, sondern auch europäische und christliche Wertvorstellungen.

Ethik soll Grenzen ziehen innerhalb eines biowissenschaftlichen und bioindustriellen Sektors, dessen aktuelle Dynamik viele - auch bislang uninteressierte - BeobachterInnen im Licht der Medien gerade zu erahnen beginnen. Die Bewegungsgesetze, die den neuen Wissens- und Wirtschaftskomplex antreiben, sind nicht das Thema der Politik. Allgemeine moralische Appelle sollen dessen negative Seiten abfedern und Fortschritt ohne Werteverlust ermöglichen. Das wäre eine schöne Welt.

Im Eckpunktepapier »Politik in der Verantwortung«, das die Grünen vor zwei Wochen vorstellten, wird dieser mehrheitsfähige Idealkompromiss ebenfalls angestrebt. Das Papier beschwört Heilungshoffnung als Chance, garniert mit einer Prise Ethik und Grundwerteappellen. So werden Genomforschung und Gendiagnostik begrüßt, konstruktiver Regulierungsbedarf besteht für die Grünen lediglich beim Verbleib der vielen anfallenden genetischen Daten. Gentech-Pharmaka sind ihnen ebenso selbstverständlich wie die Patentierung von Wissen und Verfahren im internationalen Konkurrenzgeschehen.

Grundsätzlich werden die Grünen dort, wo auch die Kirchen, der Bundespräsident, die Abtreibungsgegner im Bundestag und die Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) Bedenken hegen: beim Embryo. Ausschließlich an diesem Objekt scheint sich eine breite Koalition gegen die bedingungslosen Modernisierer im Bundestag zu formieren.

Die Forschung an den Stammzellen geborener Menschen ist der grünen Partei kein Problem. »Mit unserem Konzept von Menschenwürde unvereinbar ist jedoch die Forschung an embryonalen Stammzellen.« Die Fortpflanzungsmedizin, die dem kinderlosen Paar zur Seite stehen soll, wird fraglos akzeptiert. Nein sagen die Grünen allein zum Versuch, nun auch die Genanalyse am Embryo im Reagenzglas, die Präimplantationsdiagnostik (PID), einzuführen. Wieder ist der Objektschutz für den Embryo das Argument: Menschenwürde und Lebensrecht seien mit der »Zeugung auf Probe« nicht vereinbar.

Auf die Argumente kommt es hier an. Es gibt viele gute Gründe, die bevölkerungspolitischen Ziele zurückzuweisen, die den Fortpflanzungsangeboten innewohnen und am Körper von Frauen verwirklicht werden. Die Politik genetisch begründeter Selektionen, der Wille zur Optimierung kommender Generationen, aber auch die volle Konzentration auf das fortpflanzungswillige Paar, das sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln reproduzieren können soll und darf, waren vor Jahren noch Gegenstand einer Kritik der Biopolitik. Diese Zeiten scheinen nun vorbei zu sein. Im Mittelpunkt der Debatte über PID und Stammzellforschung steht allein der Embryo, an dessen biowissenschaftlich beschriebener Substanz sich die »Wertegemeinschaft« neu formiert.

Ein juristischer Begriffsdschungel rund um »Leben«, »Recht«, »Würde« und »Mensch« ist entstanden. Als Bezugspunkte dienen der Paragraf 218 und die Interpretation des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1993. »Menschliches Leben« sei der Embryo vom Moment der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle an und deshalb staatlich geschützt. Das »Schutzgut Leben« hat dem Verfassungsgericht zufolge kein absolutes Lebensrecht. Im Falle des Schwangerschaftsabbruchs - aber auch im Kriegsrecht - bleiben unter gewissen Bedingungen Eingriffe ins Leben straflos.

Der Begriff »menschliches Leben« ist nun zum Bezugspunkt unterschiedlicher politischer Deutungen geworden. Die Verfassungsrichter kreierten ihn damals, um Abtreibungen weiterhin streng zu reglementieren und den Beratungszwang einzuführen. Ein Verbot wäre gegen die Frauen nicht durchsetzbar gewesen. Auch sollte die genetische Qualitätskontrolle im Vorfeld der Geburt legitim bleiben. Die gesundheitspolitischen Anstrengungen für Abbrüche dieser Art werden bis zum heutigen Tag kontinuierlich gesteigert.

Mit dem Paragrafen 218 wird nun von Seiten der Kirche, der Abtreibungsgegner in den verschiedenen Parteien und der Grünen ein uneingeschränktes »Lebensrecht« im Sinne eines »Menschenrechtes« für Embryonen behauptet - im Extremfall der PID für die einzelne, embryonale Zelle. Um diese Zellen vor forscherischen Zugriffen zu schützen, erklärt man sie zu Trägern eines absoluten (Lebens-) Rechtes und der Menschenwürde. Beides ist einer Abwägung nicht zugänglich.

In der Konsequenz - auch deshalb macht diese Position gerade wieder Karriere - führt eine solche Interpretation zurück zum Paragrafen 218. Die Abtreibungsfrage, bei der es um staatliche Politik am Frauenkörper ging, wird zur Embryonenfrage, die absoluten Objektschutz für den Embryo, auch gegen die Frau, bedeutet. Eine Moralisierung der Abtreibung ist der Preis, den Frauen zu bezahlen haben, um des politischen Versuches willen, neue Forschungsfelder abzuwehren.

Ein mehr als zweifelhafter Versuch. Denn deutungsoffen ist die Rede vom »menschlichen Leben« auch für die modernisierungswillige Seite. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) will in der Stammzellforschung den »verfassungsrechtlichen Lebensschutz« gegen das Grundrecht der »Forschungsfreiheit« abwägen. Ihr Positionspapier zeigt, worum es eigentlich geht: um ein bioindustrielles Marktgeschehen.

Die DFG finanziert Grundlagenforschung im großen Stil. Zahllose Forschungsprogramme in Sachen Stammzelle sind bereits auf den Weg gebracht, ganz unspektakulär am Ethikdiskurs vorbei. Nun fordert die DFG den Import von embryonalen Stammzellen für die Grundlagenforschung am Hoffnungsträger »adulte Stammzelle«. Deutsche Forscher sollen am »internationalen Standardisierungsprozess« teilhaben, an Patentierungsoptionen, die in der embryonalen Zelle stecken.

Die Zeit drängt. Denn mittlerweile sind nicht nur staatlich alimentierte Forscher international im neuen Forschungszweig engagiert. Privatunternehmen wie Cardion oder DeveloGen mit Sitz in Deutschland und in Übersee werben bereits Risikokapital in Millionenhöhe ein. Sie fusionieren genetische Manipulationen, Pharmaproduktion und Stammzellforschung und organisieren ihre Startpositionen auf dem neuen Markt. Grundlagenforschung und private Märkte sind hier ebenso miteinander verzahnt wie die verschiedenen Manipulationstechniken an Körperbestandteilen jeglicher Art.

Die aktuelle Debatte um Ethik und den Wert embryonaler Substanzen rückt der spezifischen Dynamik von Biopolitik nicht zu Leibe. Im Streit um Chancen, Risiken und abendländisch-christliche Werte gibt es zurzeit zwei Gewinner: die Abtreibungsgegner und die Forschungsfraktion.