Briefwechsel zwischen Paul Celan und seiner Frau Gisèle

»Man spricht von dir. Aber wer!«

Man kennt ihn. Man kennt ihn nicht. Der Briefwechsel zwischen Paul Celan und seiner Frau Gisèle Lestrange-Celan erschließt der Beschäftigung mit dem Autor neue Möglichkeiten.

Paul Celan ist das bekannteste Gerücht der deutschsprachigen Lyrik des 20. Jahrhunderts. Dafür sorgte ein Gedicht, vielleicht auch nur eine Zeile, die den Hass nicht nur der Rechten auf sich zog: »Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.« In mal nur dummen, mal gehässigen Anspielungen wurde viel Makulatur produziert, wie Stefan Ripplinger kürzlich gezeigt hat (Jungle World, 49/00).

Ansonsten ist Celan ein Unbekannter, und selbst die seinem Werk Aufgeschlossenen machen sich nur schwer ein Bild von ihm. Das könnte sich nun ändern. Nachdem in den letzten Jahren einige Bände mit Zeugnissen erschienen sind, so die Korrespondenzen mit Nelly Sachs und Franz Wurm, erschließt der nun veröffentlichte Briefwechsel zwischen Celan und seiner Frau Gisèle Celan-Lestrange der Beschäftigung mit diesem Autor neue Möglichkeiten.

Zahlreiche neue Fakten geben Aufschluss über Umstände der Werkentwicklung. Damit wird sich die Celan-Philologie lange beschäftigen können, vor allem mit den Übersetzungs- bzw. Lesehinweisen zu seinen Arbeiten, die Celan seiner Frau auf Französisch gab. Nicht zuletzt aber dokumentieren die Briefe eine einzigartige Liebesgeschichte.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang Celans einige Jahre nach der Hochzeit mit Gisèle Lestrange im Dezember 1952 wieder aufgenommene Beziehung zu Ingeborg Bachmann, mit der er bereits 1948 in Wien zusammen war. Der Herausgeber Bertrand Badiou beschränkt sich hier ostentativ auf diskrete Bemerkungen, zitiert aber aus Gisèles Tagebuch erschütternde Passagen, in denen sich die Ehefrau mit der Geliebten identifiziert.

Nicht minder ergreifend sind jene Briefe, die Celans zahlreiche Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken bezeugen, darunter ein halbjähriger Zwangsaufenthalt, nachdem Celan versucht hatte, seine Frau zu töten, sowie eine längere Behandlung in Saint Anne nach einem Selbstmordversuch. In Celans Krisen mischen sich verschiedene Motive, Privates und Politisches, insbesondere das Gespür für einen virulenten Antisemitismus. So beging Celan den Selbstmordversuch im Januar 1967, nachdem er in Paris zufällig Claire Goll begegnet war, deren skandalöser Plagiatsvorwurf ihn über Jahre verfolgte und belastete.

Die Briefpublikation ist das Ergebnis einer deutsch-französischen Kooperation, die schon deshalb sinnvoll erscheint, weil die Celans auf Französisch korrespondierten. Nun haben wir eine sorgfältige Edition mit leserfreundlichem Apparat. Irritierend ist allerdings, dass der Herausgeber den fragwürdigen Begriff der deutschen »Muttersprache« in Bezug auf Celan verwendet. Gewiss lernte Celan Deutsch von seiner Mutter, allerdings nicht als einzige Sprache, wie es das Ideologem der »Muttersprache« als Norm unterstellt. Celan, der in der mehrsprachigen Bukowina geboren wurde, ist im Gegenteil ein Paradebeispiel für jene »wurzellosen Polyglotten aus volklichen Zwischenschichten«, gegen die völkische Germanisten gifteten. Zudem kam in deutscher Sprache, wie Maurice Blanchot in seiner Celan-Meditation »Le dernier à parler« schrieb, »der Tod über ihn, über seine Nächsten, über Millionen von Juden und Nicht-Juden«.

Die »Muttersprache« ist auch das Motiv, das im Briefwechsel der Eheleute die Auseinandersetzung mit Heidegger einleitet. Im September 1962 berichtet Gisèle über »eine Zeitschrift, von der ich nicht so recht weiß, was ich davon halten soll, man spricht darin viel von Dir, aber wer! (...) Zitate auch von Heidegger. Was soll man davon halten? Dieser so schmutzige Name, der von Dir spricht, von Deiner Muttersprache, Gedichte über Deine Mutter zitiert. Das tut mir weh. Wie wagt er daran zu rühren? Selbst wenn er intelligent ist - Ich finde das unanständig. Vielleicht will er wiedergutmachen oder sich einen Namen machen, indem er von Dir lebt, vom Wesentlichen Deiner selbst.«

Auch die berühmte Begegnung der beiden, als Celan schließlich nach einer Lesung in Freiburg im Juli 1967 Heidegger auf seiner Hütte in Todtnauberg aufsuchte, schlägt sich im Briefwechsel nieder. Celan hatte Vorbehalte, Heidegger im Rahmen seiner Lesung in Freiburg zu treffen. Er berichtet seiner Frau am 17. Juli 1967, sein Freund Franz Wurm habe ihm aufgetragen, Heidegger Grüße auszurichten, was ihn »nicht gerade beglückt«. Gisèle versteht die »Schwierigkeiten«, die »die Lesung in Freiburg mit der Anwesenheit Heideggers« bereitet.

Doch nach Paris zurückgekehrt konnte Celan Erfreuliches berichten. Das Zusammentreffen mit Heidegger schien aus seiner Sicht zunächst zufriedenstellend. Er setzte große Erwartungen in ihn. »Heidegger war auf mich zugekommen - Am Tag nach meiner Lesung bin ich mit Herrn Neumann (...) in Heideggers Hütte im Schwarzwald gewesen. Dann kam es im Auto zu einem ernsten Gespräch, bei dem ich klare Worte gebraucht habe. Herr Neumann, der Zeuge war, hat mir hinterher gesagt, daß dieses Gespräch eine epochale Bedeutung hatte. Ich hoffe, daß Heidegger zur Feder greifen und einige Seiten schreiben wird, die sich auf das Gespräch beziehen und angesichts des wieder aufkommenden Nazismus auch eine Warnung sein werden.« Celans Hoffnung wurde bekanntlich nicht erfüllt; statt dessen wurde der Besuch von Heidegger und seinen Getreuen apologetisch ausgenutzt.

In seinen Briefen gibt sich Celan deutlich als Linksradikaler zu erkennen. Davon zeugt die amüsante Episode, als Celan bei einem Kinobesuch im August 1965 den russischen Revolutionären applaudiert, was das Kinopublikum missbilligt. Von systematischem Interesse für die Celan-Interpretation ist das ausführliche Bekenntnis zu Gustav Landauer in dem an Erich von Kahler gerichteten Brief vom 28. Juni 1965, dessen Abschrift er Gisèle schickt: »Nicht, daß ich mir nicht im klaren wäre darüber, daß Landauer (...) die tragischsten, ja kindischsten (oder kindlichsten?) Irrtümer begangen und in die Welt (...) gesetzt hätte. Aber sehen Sie: mitten im Kriege kam mir, wieder und wieder, ein Gedanke Landauers in den Sinn (...): der Gedanke an die neu Ergriffenen. Daraus (...) habe ich in jenen Jahren gelebt.« Auch gegenwärtig habe dies für ihn Bedeutung: »In mir lebt, nicht ohne Schmerz, doch stark, jenes auch von Landauer Überkommene fort, auch mit einigen spartakistischen 'Trotz alledem' versetzt. Es lebt da (...) mit Älterem, Jüdischem, zusammen, ein wenig vereinsamt, doch nicht abgeschnitten von den Quellen, nicht ohne Hoffnung auf ein menschliches Heute und Morgen.«

Auch in den Zeiten der Trennung tauschen sich die Eheleute intensiv über aktuelle Ereignisse aus und teilen dieselben politischen Ansichten. Dies zeigt sich bei der Beurteilung des Sechstagekrieges im Juni 1967. In einem Brief, der nicht in die Sammlung aufgenommen wurde - eine unverständliche Entscheidung des Herausgebers -, gibt Gisèle ihre Einschätzung der Situation. Sie kommentiert zugleich die antiisraelische Wende der französischen Politik und verspricht, auch mit dem Sohn, der an diesem Tag Geburtstag hat, darüber zu reden. Paul antwortet: »Danke Gisèle, so zu denken, zu fühlen, zu handeln. Danke, an diesem Tag, Eric daran teilnehmen zulassen. Danke, daß Du mir die Gelegenheit gibst, Dir ein drittes Mal an einem einzigen Tag zu schreiben.« Er berichtet, er werde sich an einer Demonstration unter dem Motto »Israel lebe« beteiligen und schließt: »Israel wird siegen und leben.« Das Thema wird ihn auch nach Kriegsende weiter beschäftigen, so bei einem Aufenthalt in London im April 1968. Dort traf er u.a. Erich Fried, mit dem er »eine sehr offene, sehr fruchtbare (wie ich glaube) Auseinandersetzung über Israel, das Judentum, den Antisemitismus (einschließlich den von links)« hatte.

Damit ist ein weiteres zentrales Thema angesprochen. »Linksnibelungen« nennt Celan jene linken Antisemiten in Deutschland, die er beispielsweise im Juli 1965 »im 'Magnetfeld' der Gruppe 47 ihre Kreise ziehen« sieht. Er fasst dies zusammen in seinem Brief an Erich von Kahler: »Viel Beklemmendes geschieht, auch zu dieser Stunde, in der Welt - ich verliers nicht aus den Augen. Wie ich nicht aus den Augen verliere, was in Deutschland geschieht (...). - Linksnationalismus, auch Linksnationalismus, ist mir, wie Linksantisemitismus, verhaßt. Solange wir, die wir Juden sind, Juden zu sein und zu bleiben versuchen, nicht als Gleichgeborene und Ebenbürtige anerkannt werden, bleibt alles beim alten. Da, verehrter Herr von Kahler, scheints bleiben zu wollen, mit aller - auch von den 'Neuen', Jüngeren - bei Proto- und Paranazismus geschöpfter und wiederbelebter Kraft.« Und Celan fügt eine Losung an: »Gleichheit -: ja, immer. Gleichschaltung -: nie!«

Paul Celan/Gisèle Celan-Lestrange: Briefwechsel. Mit einer Auswahl von Briefen Paul Celans an seinen Sohn Eric. Aus dem Französischen von Eugen Helmlé. Hrsg. von Bertrand Badiou. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2001, 2 Bde., 590 u. 614 S., DM 160