Vor dem G8-Gipfel in Genua

Criminal Lifestyle

Warming-up für den G8-Gipfel in Genua: Ein gigantisches Aufgebot an Sicherheitskräften und absurde Hetzkampagnen in den Medien sollen die Gegner fernhalten.

Die Altstadt von Genua ist eine der größten Europas. Zwischen dem Meer und den steil ansteigenden Bergen spannt sich ein weit verzweigtes Labyrinth aus kleinen Gassen und Treppen, in dem man sich leicht verlieren kann. In den Augen der italienischen Polizei gilt die Altstadt als nicht kontrollierbar. Die Sicherheitskräfte würden das Gipfeltreffen der G8, das vom 20. bis zum 22. Juli in der norditalienischen Hafenstadt stattfinden soll, am liebsten in das besser überschaubare Städtchen Monza verlegen.

Zu spät - der Gipfel lässt sich nicht mehr umorganisieren. Denn nicht nur die Regierungschefs der acht mächtigsten Industrienationen kommen an dem Juliwochende nach Genua. Erwartet werden auch mindestens 100 000 Globalisierungskritiker aus aller Welt. Ein Gegengipfel, das Internationale Sozialforum, beginnt bereits am 15. Juli mit Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen zu den Entschuldungskampagnen für die Länder des Trikont, zu Umweltfragen sowie zu den Möglichkeiten der so genannten demokratischen Kontrolle internationaler Finanzmärkte.

Insgesamt haben sich mehr als 300 Netzwerke, NGOs und Centri Sociali angekündigt. Das Spektrum reicht von Graswurzelgruppen bis zu katholischen Verbänden, vom internationalen Bündnis Attac über linke Parteien wie die Rifondazione communista bis zu Migrantenorganisationen.

Um gegen die rigide Einwanderungspolitik der EU zu protestieren, soll am 19. Juli in Genua eine von migrantischen Organisationen getragene Kundgebung stattfinden. Die zentrale Demonstration gegen den G8-Gipfel ist für den 21. Juli geplant.

Vittorio Agnoletto, der Sprecher der italienischen Koordinationsgruppe Genua Social Forum, betont, dass sich alle Kundgebungen auf »pazifistische Aktionen wie beispielsweise gewaltfreie Blockaden« beschränken werden. Er muss das so sagen. Immerhin verhandelt die Koordinationsgruppe seit Monaten mit den Behörden, damit die Kundgebungen genehmigt und Schulen und Grünflächen als Unterkünfte für die Globalisierungskritiker bereit gestellt werden - bislang blieben die Bemühungen allerdings erfolglos.

Etwas anders sehen die Vorbereitungen zum G8-Wochenende in den Centri Sociali aus. Das römische Centro Sociale Corto Circuito rühmt sich, die Tute Bianche erfunden zu haben. Die weißen Gummianzüge sollen den mit dem »Körper als Waffe« Agierenden vor Übergriffen der Staatsgewalt schützen. »Wir werden in Genua zivilen Ungehorsam zeigen«, sagt Andrea vom Corto Circuito. »Zur Zeit diskutieren wir, ob es sinnvoll ist, den Gipfel zu stören, indem wir in das Sperrgebiet eindringen, das rund um den Palazzo Ducale, in dem die G8-Vertreter tagen, eingerichtet wird. Oder ob es nicht effektiver wäre, das Gebiet durch eine Blockade abzuriegeln, sodass auch die offiziellen Teilnehmer nicht in das Sperrgebiet gelangen können.«

Währenddessen laufen seit Monaten Renovierungsarbeiten rund um den Veranstaltungsort in der Altstadt. Das Viertel wird herausgeputzt für das Gipfel-Wochenende. Zu sehen bekommen das jedoch nur wenige, denn die gesamte Altstadt soll zum Sperrgebiet erklärt werden.

Seit Wochen geht die Polizei von Haus zu Haus, um die Meldepapiere der Einwohner zu überprüfen. Viele Migranten, die seit einigen Jahren in der bisher preiswerten Altstadt lebten, haben das Viertel deshalb bereits verlassen müssen.

Während des G8-Treffens werden sich nur Einwohner mit einem speziellen Ausweis in der Sperrzone bewegen dürfen. Mit einer Kampagne fordert die Stadtregierung die Bevölkerung Genuas dazu auf, während des Gipfel-Wochenendes die Stadt zu verlassen. Die Besitzer kleinerer Hotels sind gewarnt worden, damit sie ihre Häuser zeitweilig schließen. Sie gingen sonst das Risiko ein, »Terroristen« zu beherbergen.

Das diesjährige G8-Treffen findet zu einem besonderen Zeitpunkt statt. Nur zwei Monate nach seinem Wahlsieg wird sich der neue italienische Premierminister Silvio Berlusconi als Gastgeber eines exklusiven Kreises präsentieren, der bisher auf ein offizielles Mandat beispielsweise der Uno verzichten konnte, dessen Vorschläge aber die internationale Politik deutlich mitbestimmen.

Umso ungelegener kommen Berlusconi jegliche Störungen. So will er sich mit den Führungsspitzen der Spezialpolizei, den Carabinieri, und der italienischen Geheimdienste treffen. Zuvorgekommen ist ihm jedoch der noch amtierende Innenminister Enzo Bianco mit der Idee, auch das Militär zur Verteidigung der Stadt hinzuzuziehen. In einer seiner letzten Amtshandlungen entschied Bianco, dass neben den vorgesehenen 17 000 Polizisten und Carabinieri auch 1 000 Soldaten gegen die erwarteten Demonstranten eingesetzt werden sollen.

Begleitet werden die martialischen Sicherheitsvorkehrungen vom Versuch, die Globalisierungskritiker in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. So brachte die konservative Tageszeitung Corriere della Sera die Alarmmeldung, die Gipfelgegner wollten angeblich mit »unkonventionellen Waffen« gegen die Sicherheitskräfte vorgehen. Geplant seien Attacken gegen das Computernetz des Gipfels. Mit ferngesteuerten Flugzeugen könnten die Gipfelgegner auch Chemikalien und biologische Substanzen über der Polizei abwerfen, wenn nicht sogar Ballons mit Aids-infiziertem Blut regnen lassen.

»Wir erleben eine Kampagne der Diffamierung und der Kriminalisierung, die dazu dient, die Gewalt der Polizei zu legitimieren, die sich ohne Unterschied gegen Zehntausende von Menschen richtet, die versuchen, den Ablauf des internationalen Gipfels zu boykottieren«, sagt Francesco Caruso, ein Sprecher des Netzwerkes No Global Forum.

Caruso erinnert an die Straßenschlachten am 17. März in Neapel, als die Polizei mindestens 200 der Demonstranten gegen das Internationale Forum zu Informationstechnologien verletzte. An der Kundgebung in Neapel nahmen lediglich 20 000 Menschen teil. In Genua werden fünfmal soviele Demonstranten erwartet.

Um Unentschlossene davon abzuhalten, überhaupt anzureisen, gibt es sogar Überlegungen, eine Klausel der Schengener Abkommen anzuwenden und die italienischen Grenzen vorübergehend wieder dicht zu machen. Der Flughafen und der Seehafen der Stadt werden in jedem Fall fünf Tage lang vollständig gesperrt sein. Keine Linienflüge, keine Fähren, keine Containerschiffe, keine Tanker - für die im Hafen ansässigen Firmen dürfte das G8 Treffen zu einer verlustreichen Veranstaltung werden.

Und auch auf dem Landweg ist die Stadt dann nur noch schwer zu erreichen. Voraussichtlich wird die Autobahn nach Genua nur mit einer Sondergenehmigung befahrbar sein, und auch einer der Fernbahnhöfe wird geschlossen. Die U-Bahn stellt ihren Betrieb am Gipfel-Wochenende gleich ganz ein. Sicherheitshalber ist es auch verboten, Plakate aufzuhängen und Flugblätter in der Stadt zu verteilen.

Seit Monaten werden zudem Mitglieder der verschiedenen Centri Sociali kriminalisiert. Im April stellte ein römischer Richter drei Personen bis Ende Juli unter Hausarrest, die seiner Ansicht nach eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Denn die drei, die unter anderem wegen Hausbesetzungen angezeigt wurden, hätten, so schrieben die Richter in ihrem Urteil, »die Kriminalität als Lebensstil« gewählt.