Widerstand gegen geplante Massenentlassungen in Frankreich

Feuern verboten

In Frankreich wächst der Widerstand gegen geplante Massenentlassungen.

Ah ça ira, ça ira, ça ira, die Barone de Seillière an die Laterne«, hörte man einige Leute auf der Pariser Place de la République singen, frei nach einem anti-aristokratischen Lied aus der Zeit der Französischen Revolution. Ernest-Antoine de Seillière, ein Nachkomme der Barone von Wendel, ist der Präsident des französischen Arbeitgeberverbands Medef. Anderswo hörte man: »Die Bosse entlassen, entlassen wir die Bosse!« oder auch: »Sozialpläne, Schnauze voll - verbieten wir die Entlassungen!«

Am Samstag versammelten sich die von Massenentlassungen bedrohten Beschäftigten des Nahrungsmittelkonzerns Danone, der Fluggesellschaft AOM-Air Liberté und Textilarbeiterinnen der Dim-Betriebe zu einer Demonstration in Paris. Unterstützt wurden sie von verschiedenen Gewerkschaften und einem Spektrum, das von der Kommunistischen Partei über die Grünen bis hin zu den Trotzkisten reichte. Rund 25 000 Personen kamen, um gegen die »Sozialpläne« zu demonstrieren, die Ende März von einigen französischen Unternehmen vorgestellt wurden. Der Nahrungsmittelkonzern Danone hatte den Anfang gemacht und die Schließung zweier Werke in Calais und Ris-Orangis angekündigt (Jungle World, 19/01).

Der Zeitpunkt war damals von den Unternehmen bewusst gewählt worden: kurz nach den Kommunalwahlen Mitte März und in ausreichendem Abstand zu den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Frühjahr 2002. Denn aus Sicht der Unternehmer gilt es, die nach solchen Ankündigungen zu erwartende Empörung aus Wahlkampfzeiten herauszuhalten.

Einerseits fürchtet man populistische Maßnahmen der Politiker, die um Stimmen kämpfen. Und zum anderen will man Rücksicht nehmen auf die Regierung Jospin. Zumindest im Fall von Danone ist das anzunehmen, denn Konzernchef Franck Riboud steht den regierenden Sozialisten nahe.

Nach dem Bekanntwerden der Pläne der Unternehmen entwickelte sich eine Protestbewegung, die weit über die direkt Betroffenen hinausging. Am Anfang stand ein Boykott von Danone-Produkten, der freilich nur begrenzt wirksam wurde.

Die neue Bewegung war zugleich auch Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels. Denn als 1996 der Küchengerätefabrikant Moulinex eine größere Entlassungswelle einleitete - damals wurden 3 600 Arbeitsplätze einer Produktionsauslagerung nach Mexiko geopfert - dominierten noch ganz andere Kräfte die Debatte. Der damalige Chefideologe des neofaschistischen Front National (FN), Bruno Mégret, führte im Oktober 1996 eine straff vorbereitete Flugblattaktion vor den Werkstoren von Moulinex an. Gegen die Standortkonkurrenz in Zeiten der Globalisierung schienen nur noch reaktionäre, nationalistische Kreise protestieren zu wollen.

Doch diese Phase der schlimmsten politischen Regression ist erstmal vorbei. Von den Rechtsextremen hat man in der breiten Debatte in diesem Frühjahr keinen Ton vernommen, sie vermögen das Terrain derzeit nicht zu besetzen.

Aber auch innerhalb des linken und gewerkschaftlichen Spektrums haben die aktuellen Proteste Veränderungen mit sich gebracht. An erster Stelle steht dabei der offensichtliche Kontrollverlust des post-kommunistischen Gewerkschaftsbundes CGT, der sich gegen die Demonstration vom letzten Samstag aussprach. Im Sinne ihrer schon vor Jahren begonnenen Emanzipation von der Kommunistischen Partei, deren gewerkschaftliches Standbein sie in der Nachkriegszeit immer war, hatte die CGT bereits einen Aufruf zur ersten Demonstration gegen die Danone-Entlassungen am 21. April in Calais verweigert.

Denn die KP hatte die damalige Demo für ihre Zwecke instrumentalisiert. Der Partei geht es vor allem darum, sich wieder als veränderungswillige Kraft zu profilieren. Ihre Beteiligung an der Regierung Jospin hatte zur Folge, dass ihr die Wähler in Scharen davonliefen, sich zur Wahlenthaltung entschlossen oder für die trotzkistischen Parteien Ligue Communiste Revolutionaire (LCR) oder Lutte Ouvrière(LO) stimmten.

War die Demo in Calais das durchaus eigennützige Werk der KP, so hat der Protestmarsch vom letzten Samstag allerdings eine andere Vorgeschichte. Die Initiative zu dieser Demonstration hatten die streikenden Beschäftigten mehrerer Firmen ergriffen, die von Entlassungen bedroht sind. Am 3. Mai hatten 300 Basisvertreter im Pariser Gewerkschaftshaus den entsprechenden Beschluss gefasst - an allen Gewerkschaftshierarchien vorbei. Eine trotzkistische Manipulation sei das, tönte daraufhin die stellvertretende Vorsitzende der CGT, Maryse Dumas. Sie wies darauf hin, dass der Vorsitzende des Streikkomitees der Danone-Beschäftigten ein Mitglied der Ligue Communiste Révolutionaire (LCR) sei.

Prompt weigerte sich die CGT-Führung, zur Demo am 9. Juni in Paris aufzurufen und schickte lediglich eine Delegation vorbei. Die Basis sah das anders. Fast 25 Prozent der Demonstranten gaben sich als CGT-Mitglieder oder Anhänger zu erkennen. Einer der Hauptgründe für das Verhalten der CGT ist, dass sich der Gewerkschaftsapparat in rasantem Tempo der Sozialdemokratie nähert. Regierungschef Lionel Jospin hat die CGT offiziell eingeladen, an der Ausarbeitung des Programms für seine Kandidatur zur Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2002 teilzunehmen.

Da die Leitung des sozialliberalen Gewerkschafsbunds CFDT heute in vielen Fragen der konservativ-liberalen Opposition näher steht als den Regierungsparteien, ist für die CGT ein Platz frei geworden. Wie Le Monde am 30. Mai berichtete, scheint die CGT-Führung ein ausgesprochenes Interesse an einer solchen Annäherung zu hegen.

Die Entwicklung der beiden größten Gewerkschaftsbünde CGT und CFDT führt indes dazu, dass an der Basis andere Initiativen erfolgreich sind. So erlebt etwa die linksradikale, den Trotzkisten nahe stehende Gewerkschaft Solidaire-Unitaire-Démocratique (SUD) einen anhaltenden Aufschwung. In den Betriebsratswahlen beim Autofabrikanten Michelin am 31. Mai dieses Jahres erzielte die SUD-Liste, die erstmals antrat, auf Anhieb 24,2 Prozent der Stimmen. Hingegen rutschte die sozialliberale CFDT bei Michelin von 36 Prozent im Jahr 1999 auf 18,6 Prozent ab.

Zuvor hatte die Mehrheit der CFDT-Mitglieder aus Protest gegen ein arbeitnehmerfeindliches Abkommen zur 35-Stunden-Woche, das Samstagsarbeit und mehr »Flexibilität« vorsieht, die Organisation verlassen und eine SUD-Sektion gegründet.