EU-Offensive in Nahost

Friedensengel ohne Mandat

Nach Fischers Vermittlungsbemühungen setzt die EU eine Beobachtertruppe im Nahen Osten durch. Die deutsche Friedensbewegung will wegen Auschwitz intervenieren.

Der Besuch von Außenminister Joseph Fischer im Nahen Osten, angeblich eine »fact finding mission« (Spiegel), die durch Zufall zur »historischen Mission geriet«, half vorzubereiten, wovon die EU seit langem träumt: eine eigene, von den USA unabhängige »Friedenstruppe« in der Region zu stationieren.

Selbst Mitglieder der israelischen Friedensbewegung wie der linke Schriftsteller Yoram Kaniuk sind sich bewusst, dass die »Europäer schon seit langer Zeit anti-israelisch« eingestellt sind. Spätestens seitdem verschiedene EU-Staaten einseitig ökonomische und politische Sanktionen gegen Israel forderten, ist in Jerusalem klar, dass jeder Einsatz so genannter Friedens- oder Beobachtertruppen aus Europa eine einseitige Unterstützung der Palästinenser bedeutet. In Israel erinnert man sich noch gut daran, dass auch der Kosovo-Krieg de facto mit einer »friedlichen« OSZE-Mission begonnen hat. Mit entsprechender Ablehnung berichtete daher die linksliberale Tageszeitung Ha'aretz in ihrer Sonntagsausgabe, dass Vortrupps einer EU-Beobachtertruppe - sogar ohne Zustimmung des Europäischen Rates - nur in Absprache mit den Palästinensern auf den Weg gebracht wurden.

Mittlerweile musste Ha'aretz zufolge gar eine offizielle Einsatzstelle der EU-Truppe in Bethlehem wieder geschlossen werden, weil entsprechende Einrichtungen nicht mit der israelischen Seite vereinbart waren. Zu Recht befürchtet Ha'aretz, dass es sich bei dieser Truppe um den europäischen Versuch handelt, den Konflikt im Sinne der palästinensischen Seite zu internationalisieren und US-amerikanische Vermittlungsversuche zu unterlaufen. Am Sonntagabend, nach der Schließung des EU-Außenpostens in Bethlehem, meldete die Nachrichtenagentur Reuters, EU-Außenkoordinator Xavier Solana habe in Jerusalem erklärt, vier EU-Vertreter würden die Einhaltung der Waffenruhe beobachten. Dies geschehe mit Zustimmung Israels und der Palästinenser. »Wir tun nichts ohne die Zustimmung beider Seiten«, so Solana.

Erst vor dem Hintergrund dieser neuen Intervention wird klar, welche Rolle dem vom »Friedensengel« Fischer (Morgenpost) vermittelten Waffenstillstand in Europa und Deutschland beigemessen wird. Hatte der britische Kommissar Chris Patten vor dem Besuch Fischer noch wegen angeblich pro-israelischer Einstellung als »Hypothek für die Außenpolitik der EU« bezeichnet, konnte jetzt das ZDF jubeln: »Die traditionelle Zurückhaltung Deutschlands im Nahost-Konflikt kann es so in Zukunft nicht mehr geben.«

Auch Ulrich Wickert verstand, dass Deutschland und die EU nun endlich ihre eigene Nahostpolitik durchsetzen können. In einem schon vorab verbreiteten Interview der Tagesthemen fragte er Fischer: »Sie haben mehr erreicht als der amerikanische Nahost-Vermittler. Neidet ihnen Washington das? (...) Ihr Erfolg (...), stärkt er Europas Stellung im Nahost-Konflikt?« Fischers sybillinische Antwort, man müsse sich eben in der Nachbarschaft einer Region engagieren, »in der unsere Leute Urlaub machen«, umschrieb dabei nur vage, dass dem deutschen Geopolitiker Israel, wie die Bild-Zeitung vor kur-zem titelte, längst zum Hinterhof Europas geworden ist.

Noch vor der Meldung, dass eine eigene EU-Beobachtertruppe nun in den Palästinensergebieten stationiert sei, hatten auch andere deutsche Medien längst verstanden, dass Fischers »Mission« für die euro-deutschen Ambitionen im Nahen Osten weit mehr war als die Vermittlung einer profanen Waffenruhe. So freute sich der Tagesspiegel-Kommentator Bernd Ullrich, dass Deutschland fortan »zwar nicht mächtiger, aber freier« werde. Den alten Gedanken der Grünen aus den achtziger Jahren aufgreifend, die von der besonderen deutschen Verantwortung für die »Opfer der Opfer« sprachen und die Palästinenser meinten, erklärte er: »Nun hat Deutschland erstmals zufällig eine führende Rolle außerhalb der unmittelbar eigenen Interessensphäre gespielt. Dass dies in Israel möglich war, erstaunt. Fünfzig Jahre nach dem Krieg, nach den schrecklichsten Verbrechen unserer Geschichte, hat sich historische Schuld in politische Haltung verwandelt, die, wenn der Zufall hilft, respektiert wird und etwas bewegen kann.«

Zielsicher wurde von fast allen Medien das ganze Repertoire des deutschen Israel-Ressentiments aufgeboten, um nicht trotz, sondern wegen Auschwitz ein interventionistisches Engagement Deutschlands im Nahen Osten zu forcieren. Die mediale Eskalationstaktik funktioniert nach einem bekannten und im Jugoslawien-Krieg bewährten Muster: Die Konfliktparteien werden als ethnische Kollektive definiert, die wegen ihrer historischen Bestimmung nicht anders können, als sich bis aufs Messer zu bekriegen.

Erst wenn Konflikten die politisch motivierte Rationalität genommen wird, ist die Stunde des deutschen »Schlichters« gekommen, dann nämlich, wenn in den Kommentarspalten der Zeitungen von »Faustrecht«, »blinder Gewalt« und »sinnloser Vergeltung« die Rede ist. Ohne Fischers Intervention, so machten FAZ und Welt am Sonntag ihren Lesern klar, hätte nach dem Selbstmordattentat der Hamas in Tel Aviv ein schrecklicher Vergeltungsschlag der Israelis stattgefunden.

Ideologisch begleitet wurde Fischers »Verhandlungssieg« mit dem ebenfalls zuvor auf dem Balkan erprobten Trick, zu unterstellen, Deutschland sei in den Konflikt eigentlich ohne eigenes Zutun geraten; nur der Zufall oder Sachzwänge hätten ihm die Mission zugespielt, »den Wahnsinn in Nahost (zu) stoppen« (BZ). Und so tritt der »ehrliche deutsche Makler« und nicht mehr der hinterlistige US-amerikanische Lobbyist auf den Plan, wenn sich die vermeintlich essenziellen Wesensarten ethnischer Kollektive gewaltsam ausdrücken.

Es entspricht aber der alten und schon seit jeher gegen den angeblichen jüdischen Eigennutz gerichteten deutschen Ideologie, selbstverständlich immer nur höheren Zielen zu dienen. Denn das antiamerikanische Ressentiment, eigene Interessen schadeten der Allgemeinheit, richtet sich gegen die Vorstellung, politische Konflikte ließen sich mit einem Kompromiss beilegen. Deshalb auch fehle der »internationalen Gemeinschaft der politische Wille, ihre eigene Rechtsordnung über die Interessen einzelner Mitglieder zu stellen. Dann aber kann es nicht verwundern, wenn es radikalen Kräften immer wieder leicht fällt, nur die eigenen Interessen zu hofieren und Faustrecht als legitim und gerecht erscheinen zu lassen.« (Freitag)

Nach einigen kleinen Seitenhieben gegen die Palästinenser in diesen Ausführungen lässt es sich um so deutlicher gegen die israelische Politik wettern. Wenn aber das Vorgehen Israels zum Faustrecht wird bzw. »nicht vernunftgeleitet« (Wickert) wirkt, bedarf es eines - in diesem Fall deutschen - Außenstehenden, um den Konflikt zu schlichten, weil, so der Freitag, »den Kombattanten diese Einsicht mehrheitlich verschlossen« bleibe.

Diesmal haben nicht nur die Grünen und Rupert Neudeck mit Verweisen auf Auschwitz und einem unermüdlichem Einsatz für unterdrückte Völker die Interventionsfähigkeit Deutschlands in Regionen ermöglicht, in denen vornehmlich Nachkommen der Opfer deutscher Außenpolitik leben. Arbeitsteilig hat vor allem das friedensbewegte und antiimperialistische Milieu seine nationale Pflicht erfüllt. Wenn der Freitag beide Seiten unterschiedslos »durch eine verwirrende Vielzahl ethnischer, nationalistischer und religiöser Mythen überwuchert« sieht, bereitet er der neuen EU-Intervention den Boden.

Den notwendigen Verweis auf Auschwitz hingegen steuerte das Ende letzter Woche veröffentlichte »Friedengutachten 2001« führender deutscher Friedensforschungsinstitute bei. Dort wird Israelis wie Palästinensern gleichermaßen die »Erziehung zum Hass in den Schulen und der Märtyrerkult unter radikalen Jugendlichen ebenso wie religiöser und nationaler Fanatismus« unterstellt, als sprengten sich allwöchentlich israelische Selbstmordattentäter in Ramallah oder Hebron in die Luft.

Die Absicht dieses Gutachtens aber ist es, eine »Empfehlung« an die deutsche Außenpolitik auszusprechen, die sich so nicht einmal die »Zeitung für Deutschland« zu formulieren traute: »Die historische Schuld, die das deutsche Volk gegenüber den Juden auf sich geladen hat, macht Sanktionen gegenüber Israel zu einem heiklen Thema. Aber letztlich gründet auch das Unrecht, das den Palästinensern widerfährt, im Zivilisationsbruch von Auschwitz. Druck auf Israel auszuüben, damit es wieder vom Kriegs- auf den Friedenskurs umschwenkt, sollte deshalb kein Tabu darstellen.«

Was hier im Gestus des Tabubruchs dahergewalsert kommt, ist die Quersumme aus altem linken antizionistisch-antisemitischen Gefasel und Fischers und Scharpings Instrumentalisierung von Auschwitz während des Kosovo-Kriegs. Ob Solanas »Spezialisten und Geheimdienstmitarbeiter« (Spiegel) in Bethlehem wissen, was sie der deutschen Friedensbewegung zu verdanken haben?