Machtwechsel in Berlin

Keine Macht für niemand!

Die neue Regierung wird nichts ändern, sondern nur die alte Politik besser verkaufen.

Bleibt auf dem Teppich! Hebt euch den Sekt für bessere Gelegenheiten auf! Dass ein langjähriger erzkonservativer CDU-Regierungschef von einem bekennenden schwulen Sozialdemokraten abgelöst wird, hat zwar durchaus seinen Reiz. Vor allem für einen Bayern wie mich ist diese Vorstellung durchaus erhebend. Aber als Bayer hat man auch Erfahrung mit angeblich linken Großstadt-Regierungen. In München haben wir ja seit Jahren eine rot-grüne Koalition und einen SPD-Oberbürgermeister.

Und das kommt dabei heraus: die erste Abschiebung eines in Deutschland geborenen 14jährigen; anlässlich der Wehrmachtsausstellung der größte genehmigte Nazi-Aufmarsch seit 50 Jahren; ein zusammengebrochener Wohnungsmarkt mit Mietpreisen, die sich kaum noch jemand leisten kann, usw. usf. Und dass rot-grüne Koalitionen unschlagbar sind, wenn es zum Beispiel um die Zahl von Kinderabschiebungen geht, hat ja bereits Nordrhein-Westfalen unter Beweis gestellt.

Nun hat so ein Regierungswechsel nach jahrzehntelanger Herrschaft einer Clique natürlich zur Folge, dass alte Seilschaften abgelöst werden durch neue. Der berühmte Berliner Sumpf wird halt seine Farbe wechseln: vom schwarz-braunen Morast mit rötlichen Einsprengseln zum rotgrünlichen Ökoschlamm. Ansonsten wird die neue Regierung das auslöffeln müssen, was ihr die alte eingebrockt hat, nämlich 65 Milliarden Mark Schulden bei nur etwa 16 Milliarden Mark an Steuereinnahmen pro Jahr und einer Zinsbelastung von 11,2 Millionen pro Tag.

Was für eine Politik wird dabei wohl herauskommen? Der neue rot-grüne Senat - vielleicht wird's nach den Neuwahlen auch ein rot-roter, ein rot-rot-grüner oder gar ein rot-gelb-grüner - wird genau dieselbe Funktion übernehmen wie Tony Blair in Großbritannien oder Gerhard Schröder auf Bundesebene. Er wird die Politik seiner konservativen Vorgänger fortführen. Er wird nichts anders, aber alles besser machen. Er wird das System perfektionieren, statt es zu verändern. Und er wird dieselbe Politik viel besser verkaufen können, weil es nämlich keine Opposition mehr geben wird gegen die »erforderlichen deutlichen Einschnitte« zur Haushaltssanierung und zur Sicherung des Standorts Berlin.

Dank des Regierungswechsels wird Berlin zudem endlich im neoliberalen Kapitalismus ankommen; jetzt wird hier das nachgeholt, was in den Konzernen schon längst gelaufen ist. Das alte System der Patriarchen ist passé, gefragt ist der smarte Manager. Aussitzen ist out. Wie schon die Kohl-CDU auf Bundesebene hat diese Entwicklung auch die CDU Diepgens in der Hauptstadt vollkommen verschlafen. In der modernen Mediengesellschaft sind andere Qualitäten gefragt, und die werden von einem Klaus Wowereit oder einem Gregor Gysi weit besser verkörpert.

Wirklich wichtig aber ist, um mit Kohl zu sprechen, was hinten rauskommt. Und die Chancen stehen gut, dass es bei einer von der SPD geführten Regierung eine noch größere Scheiße sein wird als bisher. Wie man das schafft, haben Schröderfischerscharping auf Bundesebene ja schon ausreichend demonstriert. Beruhigend ist zumindest, dass die Stadt Berlin allein keine Kriege führen kann, jedenfalls nicht gegen fremde Staaten. Allerdings hat Rot-Grün bei der Räumung der Mainzer Straße ja schon einmal gezeigt, dass diese Koalition auch bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen nicht abgeneigt ist und im Ernstfall weiß, auf welcher Seite sie steht.

So wie die Bundesrepublik Deutschland nur in ihrer kleinen Version erträglich war, als schmaler Streifen zwischen Nordsee und Alpen, unter genauer Beobachtung der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs und mit einer Hauptstadt, die so provinziell war, dass sich heute kaum noch jemand an ihren Namen erinnern kann, so hatte auch Berlin seine beste Phase, als es noch geteilt war und die westliche Hälfte irgendwo im politischen und staatlichen Nirwana schwebte. Nach dem Mauerfall sollte Berlin zum Modell für ein Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten werden. Herausgekommen ist ein finanzielles und städtebauliches Fiasko, das Modell ist offensichtlich gescheitert. Und das ist auch gut so. Dafür sollten wir der CDU danken. Jeder rot-grüne oder rot-rote Versuch, zu retten, was noch zu retten ist, muss dagegen strikt zurückgewiesen werden.