Lange Leitung nach Europa

George W. Bushs erster Besuch in Europa war von deutlicher Kritik begleitet. Die EU-Staaten wollen sich von den USA nicht mehr reinreden lassen.

Madrid-Brüssel-Göteborg-Warschau-Ljubljana: Einen weiteren Bogen um Berlin hätte George W. Bush während seiner fünftägigen Europareise kaum machen können. Das meinte zumindest Die Welt und kritisierte die rot-grüne Bundesregierung für ihre Vernachlässigung der Beziehungen zu den USA.

In der Tat mangelte es nicht an Reizthemen bei Bushs Antrittsbesuch in Europa. Der Klimaschutz, die so genannte Schnelle Eingreiftruppe der EU, das Raketenabwehrsystem NMD (National Missile Defense) und die wahrscheinliche Kündigung der ABM-Verträge von 1972, die eben jenes System verbieten, sowie die Ost-Erweiterung der Nato sorgten für Spannung. Dass einige europäische Regierungen im Zusammenhang mit der Hinrichtung von Timothy McVeigh am vergangenen Montag Bush auch noch seine Vorliebe für die Todesstrafe vorhielten, dürfte eher ein Symptom für die schlechten Beziehung als ein ernsthafter Konfliktpunkt gewesen sein.

In Madrid machte der Präsident zuerst Station. Am vergangenen Dienstag traf er sich mit Premierminister José Aznar und König Juan Carlos und skizzierte das ideologische Programm seines Besuches. Er wolle die Europäer überzeugen, dass sie in den USA weiterhin einen »vertrauenswürdigen Freund« hätten. Die ABM-Verträge seien ein Relikt aus dem kalten Krieg und würden die Menschen daran hindern, die Zukunft zu erforschen. Die Ost-Erweiterung der Nato sei zu forcieren, und sie solle auch ehemalige Sowjetrepubliken einschließen. Russland brauche keine Angst davor zu haben, dass sich freiheitsliebende Völker seinen Grenzen nähern, erklärte er.

Spanien ist eines der wenigen konservativ regierten EU-Länder, entsprechend freundlich war der Empfang. »Von hier aus geht es abwärts«, erklärte ein Mitarbeiter der Pressestelle des Weißen Hauses.

Am Mittwoch in Brüssel ging es dann auch weniger harmonisch zu, obwohl alle Beteiligten bemüht waren, keinen allzu rauen Ton anzuschlagen. Bush diskutierte mit Nato-Generalsekretär Lord Robertson und anderen »Führern der freien Welt« (Bush) die Zukunft der Nato. Die Differenzen lagen auf der Hand. Sollte die EU wie geplant ihre Schnelle Eingreiftruppe aufbauen, die unabhängig von den USA operieren könnte, würde die fast vollständige Kontrolle der USA über die Militäroperationen der Nato-Staaten bröckeln. Die Ost-Erweiterung der Nato war auch hier ein Thema. Bush meinte, keinem Land sollte ein Vetorecht beim Anschluss weiterer Staaten an das Militärbündnis eingeräumt werden. Die USA haben es offensichtlich eiliger als die europäischen Länder, an die Grenzen Russlands vorzustoßen.

Bushs Militärprogramm ist eindeutig gegen die Interessen Russlands gerichtet. Der russische Präsident Wladimir Putin sprach sich mehrfach klar gegen eine Erweiterung der Nato aus und hält auch an den ABM-Verträgen fest. Gegenwind kam dann auch aus Frankreich und von der deutschen Bundesregierung, die stets um ein gutes Verhältnis zu Russland bemüht ist. Bundeskanzler Schröder bezeichnete die US-amerikanischen Pläne zur Raketenabwehr als unausgereift. Zudem müssten Russland und China eingebunden werden.

Frankreichs Premierminister Jacques Chirac bezeichnete die NMD-Pläne als Einladung zur Weiterverbreitung von atomaren Waffen und den ABM-Vertrag als Säule globaler Sicherheit. Ein wichtiger, wenn auch unausgesprochener Grund für die Ablehnung des NMD-Programms sind die interne Planung der EU und die mit ihr verbundenen Kosten: Neben der Schnellen Eingreiftruppe eine kostspielige Raketenabwehr aufzubauen, würde jeden Verteidigungshaushalt in Europa sprengen.

Auf der Gipfelkonferenz der USA und der EU in Göteborg verschärfte sich der Dissens. Das Kyoto-Protokoll von 1997 war das wichtigste Thema dieses Treffens. Die EU-Staaten wollen es noch in diesem Jahr ratifizieren, Bush hingegen lehnt es rundheraus ab und will sowohl die Förderquoten für fossile Brennstoffe als auch den Umsatz der Energiewirtschaft und damit den Energieverbrauch in den USA steigern. Er bekannte sich zwar in unverbindlichen Worten zum Klimaschutz, kritisierte aber das Abkommen von Kyoto als schlecht fundiert und politisch ungerecht.

Das Ziel des Abkommens, den CO2-Ausstoß der Industrienationen auf den Stand von 1990 zu reduzieren, sei unrealistisch und benachteilige die USA. »Wir sind willens, beim Klimaschutz eine führende Rolle einzunehmen«, sagte Bush. »Aber der Kyoto-Vertrag ist schlecht ausbalanciert. Er schließt die Entwicklungsländer nicht ein.« China sei das Land mit dem nach den USA zweitgrößten CO2-Ausstoß, außerdem liege Indien ebenfalls auf einem Spitzenplatz. Dabei bezog sich Bush allerdings auf absolute Werte, nicht auf die Schadstoffmenge pro Einwohner.

Bush formulierte darüber hinaus Zweifel am Interesse der Europäer, den immerhin schon vier Jahre alten Vertrag zu erfüllen. »Die Europäische Union wird am Kyoto-Protokoll festhalten und es bald ratifizieren. Die USA haben einen anderen Weg gewählt«, lautete der abschließende Kommentar des EU-Ratspräsidenten Göran Persson zu diesem Thema. Als Bush dann seine Vision von einem geeinten Europa vortrug und sich für einen zügigen Beitritt osteuropäischer Staaten aussprach, platzte dem EU-Kommissar für äußere Angelegenheiten, Chris Patten, der Kragen: »Die USA sind kein Mitglied der Europäischen Union.«

Der Staatsbesuch am Freitag in Polen verlief für Bush wieder etwas ruhiger. Er traf sich mit dem Ministerpräsidenten Aleksandr Kwasniewski und durfte eine Rede in der Warschauer Universität halten, in der er sich erneut für eine zügige Integration Osteuropas, möglicherweise sogar Russlands, in die EU aussprach.

Am Samstag war die Schonzeit aber schon vorbei. Beim Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana stand wieder die Militärpolitik im Mittelpunkt. Auch wenn Putin, auf dessen Initiative das Treffen zustande kam, bereits seine Kompromissbereitschaft in der Balkanpolitik signalisiert hatte, bei den Themen NMD undOst-Erweiterung der Nato blieb er hart.

George W. Bush hat sich während seines Besuchs in Europa keine Freunde gemacht. Das liegt aber nicht nur an den USA, sondern auch an den Interessen der führenden europäischen Nationen. Wenn Deutschland und Frankreich den USA den Rang als Großmacht nicht allein überlassen wollen, sind Reibereien programmiert, und alte antiamerikanische Ressentiments werden aufgekocht. Persson brachte es zum Ausdruck: »Die EU ist eine der wenigen Institutionen, die wir als Balance zur weltweiten Dominanz der USA entwickeln können.« Die nächsten Jahre werden zeigen, ob das transatlantische Bündnis die europäischen Machtgelüste verkraftet, oder ob die Welt in absehbarer Zeit in neue Blöcke geteilt sein wird.