Neues Album von Manu Chao

Der rote Stern im A

Würde man sich einen musizierenden Globalisierungsgegner herbeiimaginieren - er hätte die Biographie von Manu Chao und würde seine Musik machen.

Was will uns dieses Plattencover sagen? Ein Mann steht auf einer Uferpromenade. Er trägt ein braunes Jackett, dazu eine grüne Trainingshose mit roten Streifen und Turnschuhe, auf dem Kopf hat er eine Mütze. Er schlägt einen Akkord auf seiner Gitarre an, die er dabei selbstvergessen betrachtet. Im Hintergrund sieht man eine Hafenanlage, Möwen fliegen umher. In großen gelben Lettern prangt der Name des Künstlers über dem Strand, Manu Chao. Die Buchstaben sehen leicht handgesetzt aus, ein Eindruck, den der Titel der Platte noch verstärkt, »Proxima Estacion ... Esperanza« heißt es da, und die ersten beiden Worte sehen aus wie auf einer Reiseschreibmaschine getippt. Ein roter Stern schaut aus dem A von Chao hervor. Das Cover ist nachcoloriert, keine der Farben stimmt, künstlich strahlen sie einen an.

Wenn es so etwas wie Globalisierungsgegner-Pop gibt, dann hier - auch wenn sich Manu Chao bei jeder bietenden Gelegenheit gegen politische Vereinnahmung wehrt. Vielleicht aber gerade deshalb. Das machen die Globalisierungsgegner schließlich auch. Sie sind alles mögliche - Antifaschisten, Grüne, Kommunisten, Postkommunisten, Vegetarier, Gewerkschafter, kritische Polizisten, Autoknacker, Umweltschützer, Christen, Auszubildende, Computerprogrammierer, NGO-Macher, Studenten, Dozenten und Professoren, Busfahrer, Bauern und Betroffene - aber Globalisierungsgegner sind sie eigentlich nur, wenn sich die Globalisierer irgendwo treffen und die Kameras auf den Krawall warten.

Aber würde man aus einem dieser wartenden Grüppchen die Quersumme ihrer ästhetischen Vorlieben herausaddieren, würde man ihre Köpfe und Körper an eine riesengroße Jukebox anschließen, die das Begehren, das dann in sie hineinfließen würde, in konsumierbare Kulturprodukte umwandeln könnte: Es käme etwas ähnliches heraus wie »Proxima Estacion ... Esperanza« und der Protagonist hätte eine ähnliche Biographie wie Manu Chao.

Aufgewachsen ist er in Paris, als Sohn des spanischen Journalisten Ramón Chao, der vor dem Franco-Regime nach Frankreich geflohen war. Tagsüber trieb er sich auf den Straßen herum und hing mit den Eckenstehern seiner Gegend ab, abends saß er mit seinem Vater und dessen linksradikalen Emigrantenkumpels aus Lateinamerika in der Küche. Schließlich gründete er Mano Negra, jene legendäre Band, die Punk, spanische Folklore, Rock, Reggae und Raï verschmolz. Nach einer sagenumwobenen Südamerika-Tournee auf einem Schiff löste sich Mano Negra auf. Manu Chao zog nach Barcelona und reiste um die Welt. Wo immer er sich herumtrieb, nahm er mit einem tragbaren Homestudio Musik auf, die er schließlich auf »Clandestino« veröffentlichte, einer Platte, die er der zapatistischen Bewegung widmete. Ohne zunächst eine große Plattenfirma im Rücken zu haben, ja ohne überhaupt Werbung für die Platte zu machen, verkaufte Manu Chao von »Clandestino« zwei Millionen Exemplare.

Es ist also alles da. Die amtlich linke Herkunft, die streetwiseness, die Punk-Vergangenheit, der Südamerika-Bezug, das Gefühl nirgendwo zu Hause zu sein, die Abneigung gegen die Marketing-Mechanismen der Kulturindustrie, ein riesiger Erfolg, der fast ausschließlich auf Mund-zu-Mund-Empfehlung beruht und die Weigerung, für irgendjemand anders zu sprechen als für sich selbst.

Man kann sich den musizierenden Globalisierungsgegner also ungefähr so vorstellen wie den Mann auf dem Cover von »Proxima Estacion ... Esperanza«. Für Grenzregimes hat er nur Hass und Verachtung übrig. Er selbst hat zwar einen Pass, seine Freunde aber nicht. Weil er die Weite sucht, treibt er sich mit Vorliebe in Hafenstädten herum, selbst wenn er nicht sofort weiterzieht, kann er immer an den Hafen gehen und den auslaufenden Schiffen nachschauen oder die Möwen beobachten. Hafenstädte haben auch deshalb seine Sympathie, weil dort traditionellerweise eine Menge Menschen stranden, die keine Heimat mehr haben und auch keine mehr wollen. Viel ist diesen Leuten schon versprochen worden, selten wurde es gehalten. So sitzen sie in irgendwelchen Kneipen, oder stehen an Straßenecken und erzählen sich Geschichten - manchmal darüber, was sie verloren haben, meistens aber darüber, was möglich wäre, wäre die Welt ein anderer Ort. Und diese Geschichten sind es, aus denen der musizierende Globalisierungsgegner seine Inspiration zieht. So sagt es Manu Chao wenigstens in Interviews, und schaut man sich seine Kombination von schmierigem Jackett und Trainingsjacke an, gibt es keinen Grund, daran zu zweifeln.

Deshalb hat er auch immer seine Gitarre dabei, jenes Instrument, das von den Wandervögeln und den fahrenden Bluessängern über die Neofolkbewegung und die Hippies bis zu all dem, was man heute unter Rock zusammenfasst, immer ein Symbol für selbstbestimmtes Musizieren gewesen ist, das ohne diese Codierung auch im Flamenco und im Reggae seinen Platz hat und praktischerweise überall funktioniert.

Der musizierende Globalisierungsgegner ist ein Nomade. Er zieht umher, und weil er glaubt, die Kapitalströme würden überall alles gleich machen, würden alle kulturellen Produkte nach internationaler Marktgängigkeit zurichten, singt er in vielen Sprachen. Wenn möglich in der Sprache derjenigen, die er trifft. Auf dass diese Vielsprachigkeit dann vielleicht eines Tages die Grenzen wegsprengt und ein freies Fließen in Gang setzt. Er bastelt, fügt Bausteine zusammen, macht selber. Wenn nichts anderes da ist, nimmt er eine Schreibmaschine, sonst einen Computer.

Die Revolution oder das, was frühere Generationen einmal darunter verstanden haben, ist für den musizierenden Globalisierungsgegner nicht mehr wichtig. Nicht dass er etwas dagegen hätte, wenn sie eines Tages einmal vorbeikommen und Hallo! sagen würde, aber eigentlich geht es ihm um anderes. Wenn schon Politik, dann etwas in der Art der Zapatisten. Lokal verankert, global vernetzt und all das nur, um anzukündigen, dass man sich in dem unwahrscheinlichen Fall, dass die eigenen Forderungen tatsächlich erfüllt werden sollten, selbst auflösen werde. Das ist eine Vorstellung von Politik, in der sich der musizierende Globalisierungsgegner wiederfindet. Dafür packt er dann auch einen roten Stern in das A seines Namens. Viel mehr hat es aber nicht zu bedeuten. Aber das Gefühl, in der Defensive zu sein, ist dieser Musik fremd.

Manu Chao: »Proxima Estacion ... Esperanza«. Virgin