Öffentliches Gelöbnis am 20. Juli

Lebendige Tradition

Die rot-grüne Regierung hat den 20. Juli als Feiertag für die Bundeswehr etabliert.

Die Bundeswehr kann es nicht lassen. Seit drei Jahren jagt ein öffentliches Gelöbnis das andere. Die Gelöbnisoffensive initiierte der damalige Bundesverteidigungsminister Volker Rühe (CDU) 1998 nach einer Serie rechtsextremer Vorfälle im Militär, um das schlechte Image der Truppe aufzubessern und zugleich die erfolgreiche Integration der Soldaten in die Gesellschaft zu demonstrieren.

Das ist ihm nicht überall gelungen. In Berlin vertat sich Rühe 1998 gründlich, als er das Gelöbnis ausgerechnet am 13. August, dem Tag des Mauerbaus, stattfinden lassen wollte. Was er damit feiern wollte, blieb unklar. Den Sieg über den Osten? Die erfolgreiche Übernahme der Kampfgruppen der Arbeiterklasse? Proteste aus allen Parteien bewegten ihn schließlich zum Rückzug. Das Ausweichdatum 10. Juni jedoch war kaum glücklicher gewählt. Während des zweiten Weltkrieges verübten deutsche Truppen an diesem Tag Massaker in den Orten Oradour-sur-Glane (Frankreich), Lidice (Tschechoslowakei) und Distomon (Griechenland).

Die rot-grüne Bundesregierung hat inzwischen eine zweifache Frontbegradigung durchgeführt. Es wurde Abstand genommen vom Zentrum der Hauptstadt als Veranstaltungsort und der Rückzug in die Umgebung des Bendlerblocks angeordnet. Zugleich wurde der Jahrestag des Attentats auf Hitler, der 20. Juli, als ständiger Termin festgesetzt.

Der 20. Juli ist für die Bundeswehr von doppeltem Nutzen. Im öffentlichen Bewusstsein gilt das Attentat als »Aufstand des Gewissens« sowie als Beleg dafür, dass es zumindest einige Angehörige der Wehrmacht gab, die keine Nazis waren. Davon ausgehend, kann die Bundeswehrführung in ihr Traditionsverständnis auch die Zeit von 1933 bis 1945 einbinden. Hinzu kommt, dass das vermeintliche antifaschistische Vermächtnis der Attentäter zugleich als Auftrag interpretiert wird - zur Verhinderung eines vermeintlichen »Holocaust« im Kosovo etwa.

Diese Sicht der Dinge blendet historische Fakten jedoch bewusst aus, handelte es sich bei Claus Graf Schenk von Stauffenberg, Henning von Tresckow und den anderen Verschwörern schließlich nicht um jene Lichtgestalten, als die sie die Bundeswehr darstellen möchte. Auch unterlagen sie in ihren Funktionen als Generäle und Offiziere keineswegs einem »Befehlsnotstand«, wie er für untere Dienstgrade immer wieder behauptet wird.

Eines der schwersten Verbrechen der Wehrmacht galt Zivilisten, die unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung zu Tausenden hingemetzelt wurden. Im Gebiet der Heeresgruppe Mitte wurde die Partisanenbekämpfung von August 1942 bis August 1943 von Oberst Henning von Tresckow, Mitglied im Oberkommando der Heeresgruppe, geleitet. Tresckow war verantwortlich für ein Massaker an 100 Zivilisten, die Ende August 1942 zur »Vergeltung« für einen Partisanenangriff auf eine Eisenbahnstation im weißrussischen Slawnoje umgebracht wurden.

Tresckow war auch an der Umsetzung des Kriegsgerichtsbarkeitserlasses und des Kommissarbefehls vom Mai 1941 beteiligt. Diese Erlasse sahen neben einer weitgehenden Straffreiheit für Wehrmachtsangehörige, die Straftaten an Zivilisten begangen hatten, die sofortige Erschießung politischer Kommissare der Roten Armee vor.

Mit der Frage der Partisanenliquidierung beschäftigte sich auch der Mitverschwörer Erich Hoepner, General in der 4. Panzergruppe der Heeresgruppe Nord. Sein nicht realisierter Vorschlag lautete: »Ein Einsatz von Blaukreuz (...) gegen Partisanennester kann daher außerordentlich wirkungsvoll und erfolgversprechend sein.« Im August 1941 hatte er »als Strafmaßnahme« für einen Überfall »das in der Nähe liegende Dorf verbrannt und einige partisanenverdächtige Einwohner erschossen«.

Die Übergänge zwischen Partisanenbekämpfung, Antikommunismus und Antisemitismus waren fließend, teilten doch die meisten Offiziere das Feindbild vom »jüdischen Bolschewismus«. Besonders gründlich ging Arthur Nebe vor, der von Juni bis November 1941 die Einsatzgruppe B zur Ermordung der weißrussischen Juden leitete. In dieser Zeit wurden 45 000 jüdische EinwohnerInnen umgebracht. Nachdem Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich Ende Juni 1941 bemängelt hatten, dass die Einsatzgruppe in Grodno noch nicht tätig geworden war, reagierte Nebe sofort: »In Grodno und Lida sind zunächst in den ersten Tagen nur 96 Juden exekutiert worden. Ich habe Befehl gegeben, dass hier erheblich zu intensivieren sei.«

Nebe gehörte ebenfalls dem Kreis der oppositionellen Offiziere an. Diese nahmen ihn über seinen Tod hinaus in Schutz, obwohl sie genau wussten, was er getan hatte. Dem Abwehroffizier Rudolph Christoph Freiherr von Gersdorff hatte er regelmäßig den aktuellen Stand der Ermordungen übermittelt.

Ein anderes Betätigungsfeld für Hitler-Gegner unter den Offizieren war die Ermordung sowjetischer Kriegsgefangener. Diese oblag dem Generalquartiermeister, von 1940 bis 1994 war das General Eduard Wagner. Bevor er Stauffenberg am 20. Juli 1944 das Flugzeug nach Berlin zur Verfügung stellte, beteiligte sich Wagner intensiv am Aushungern der Gefangenen. Nichtarbeitende Kriegsgefangene haben zu verhungern, postulierte er.

Fakten wie diese werfen die Frage auf, inwiefern die Verschwörung des 20. Juli überhaupt noch als »Widerstand« gewertet werden kann. An die Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse wurde nicht gedacht, vorgesehen war eher das italienische Faschismusmodell einer autoritär strukturierten »Volksgemeinschaft«. Den »nationalen Aufbruch« von 1933 wollte die Mehrheit der Verschwörer von seiner »Verzerrung« durch Hitler befreien.

Es waren jedenfalls nicht die Verbrechen Hitlers, sondern sein militärischer Dilettanismus und die Unfähigkeit, den Krieg zu gewinnen, die die Offiziere zum Attentat bewogen. Daran ließen sie selbst keinen Zweifel. Wenn sich Empörung über die Untaten regte, spielte das Gewissen eine geringere Rolle als Bedenken bezüglich der Moral der Truppe, der »Ehre« der Wehrmacht und der Verprellung kollaborationswilliger Einheimischer.

Hitler erschien vor allem deshalb als Gefahr. »Das Leben der ganzen Nation steht auf dem Spiel«, schwante Eduard Wagner nach der Landung der Alliierten in der Normandie. Tresckow wollte die Rote Armee unbedingt »von Mitteleuropa fern« halten, und Stauffenberg wollte, dass »Deutschland im Spiel der Mächte noch einen einsetzbaren Machtfaktor darstelle und dass insbesondere die Wehrmacht in der Hand ihrer Führer ein verwendbares Instrument bleibe«. Dieses Erbe nimmt die Bundeswehr gerne an.