Ja, ernten!

Die Mazedonien-Debatte im Bundestag erweckte den Eindruck, Deutschland sei nur den Vorgaben der Nato gefolgt und habe sich in den Einsatz hineinziehen lassen.

Obwohl während der Bundestagsdebatte über die Intervention in Mazedonien fast alle Abgeordneten ihre Treue zur Bundeswehr, zur Nato und zur bewaffneten Außenpolitik Deutschlands bekräftigten, wurde das Publikum einigermaßen unterhalten. In Stunden der Bewährung will der Patriot nicht einfach Patriot, sondern der beste Patriot sein. Er krittelt dann an der vaterländischen Konkurrenz herum und versucht, die Aufrichtigkeit ihrer Motive in Frage zu stellen. Wenn ungefähr 600 Patrioten zusammensitzen und über nationale Interessen und internationale Verantwortung verhandeln, gibt es deshalb immer Sternstunden der Streitkultur und viele Leute, die sich über das ordentliche Funktionieren der Demokratie freuen.

Die Debatte in der vergangenen Woche hatte drei Ergebnisse. Kaum waren die Stimmzettel ausgezählt, setzte sich ein Trupp Bundeswehrsoldaten in ein Flugzeug und entschwand in Richtung Skopje. Zum zweiten stellte sich heraus, dass es in der SPD und bei den Grünen noch ein paar Leute gibt, deren Meinung auch die hartnäckigste Bearbeitung durch die eigene Fraktionsführung übersteht. Die Argumente der Kritiker waren zwar weitgehend von einem alternativen Patriotismus getragen, aber immerhin führte ihre Standfestigkeit dazu, dass die Regierung Gerhard Schröders erstmals keine eigene Mehrheit für ein wichtiges Vorhaben zustande brachte. Das machte aber nichts, weil drittens die FDP und die meisten der CDU/CSU-Parlamentarier dem Einsatz zustimmten. Die CDU, die wochenlang mit einer Ablehnung gedroht und mehr Geld für die Bundeswehr gefordert hatte, wurde anschließend allerorten verspottet.

Bemerkenswert an der Mazedonien-Debatte, auch in den Wochen vor der Bundestagssitzung, war schließlich, welche Rolle »die Nato« in der Kommunikationsstrategie der Befürworter dieses Einsatzes spielte. Das Muster ist bekannt: Während innerhalb der Europäischen Union Entscheidungen meist auf Betreiben und nie ohne die Zustimmung Berlins beziehungsweise deutscher Pressure Groups zustande kommen, haben es sich die agierenden Politiker zur Gewohnheit gemacht, einfach »Brüssel« zu sagen, sobald jemand Beschwerden vorbringt.

Im Fall des Mazedonien-Einsatzes wurde dieser Modus um eine offensive Variante angereichert. Unentwegt taten Gerhard Schröder, Joseph Fischer, Rudolf Scharping und der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck kund, »die Nato« habe dies und jenes beschlossen und erwarte ein Mittun Deutschlands. So entstand eine absurde Situation. Während die rotgrüne Regierung unentwegt an die Bündnistreue appellierte, suggerierte das Sprechen über »die Nato«, Deutschland, einer der mächtigsten Staaten des Militärpaktes, habe mit dessen Entscheidungen nichts zu tun und sei lediglich ein Adressat für die Direktiven aus dem Hauptquartier.

Dass sich die Bundesregierung für ihre militärischen Interventionen mit solch schrägen Begründungen selbst ein Mandat erteilt, ist nicht neu. Es funktioniert aber immer besser. Zur wachsenden Aggressivität der Berliner Außenpolitik gehört gegenwärtig noch der Gestus demonstrativer Subordination. Josef Joffe, der außenpolitische Experte der Zeit, hat dies unmittelbar nach der Mazedonien-Entscheidung beispielhaft illustriert. Unter dem Titel »Joschka von Bismarck« schrieb er: »Für die Bundesrepublik wurde wahr, was Bismarck nur behaupten konnte: dass Deutschland keine weiteren Ambitionen habe, dass es 'saturiert, konservativ und friedlich' sei.« Allerdings, so Joffe, werde man wohl weiterhin keine Ruhe finden und als »unwillige Nummer eins in Europa« zum weltpolitischen Engagement geradezu gezwungen sein. »Wenn da bloß nicht all die anderen wären, die immer insistierender am deutschen Ärmel zupfen, die Palästinenser und die Mazedonier, die Nato und die EU.«

Der leisetreterische Gestus ist vor allem ans deutsche Publikum gerichtet. Er steht in einem diametralen Gegensatz zu den weltpolitischen Zuständigkeiten, die Deutschlands maßgebliche Kreise beanspruchen. Insofern lässt sich der Widerspruch zwischen gespielter Subordination und wachsendem Führungswillen nur eine begrenzte Zeit verdecken. Kluge Köpfe haben das längst erkannt. In derselben Ausgabe der Zeit, in der Joffe den Deutschen ein Unbehagen gegenüber weltpolitischen Ambitionen attestierte, ergänzte Gunter Hofmann, ebenfalls mit Blick auf die Mazedonien-Entscheidung, jetzt gehe es erst richtig los: »Schröder erntet. Seine Konsensdemokratie macht sich bei allen Tücken und Schwierigkeiten bezahlt. Jetzt könnte die überfällige Kontroverse über das, was deutsche und europäische Außenpolitik in der Ära der Gobalisierung heißt, also endlich beginnen.«

Dass ein prominenter Kommentator wahrheitsgetreu den Zusammenhang zwischen Militärpolitik und Globalisierung herstellt, ist (noch) selten, aber auch ansonsten zeigt Hofmann Weitblick. Einerseits sei es begrüßenswert, dass Außenminister Fischer keine großen Sprüche klopfe. »Was aber gleichwohl zu undeutlich bleibt, ist der außenpolitische Gestaltungswille, die Rolle, die man sich zutraut und die über die Haltung dessen hinausgeht, der sich hineinziehen lässt und dann bündnissolidarisch verhält.«

Zum Beispiel, so Hofmann unter Berufung auf eine aktuelle Äußerung des ehemaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher, müsse man Amerika dazu bringen, die »multipolare Weltordnung« anzuerkennen. Dieser Begriff wird unter Kritikern der USA immer beliebter, weil er die Kampfansage an die globale Hegemonie Washingtons mit akademischer Eleganz formuliert.

Was die Präsenz der Nato in Mazedonien angeht, herrscht inzwischen absolute Einigkeit, dass weder die Zahl der Soldaten noch die jetzt beschlossene Frist von 30 Tagen ausreichen werden. Dafür sorgen die Sachzwänge, die planmäßig herbeigeführt wurden. Zunächst hinderten die EU und die Nato den mazedonischen Staat, dem noch bis vor einigen Monaten einhellig ein beispielhafter Umgang mit seiner albanischen Minderheit bescheinigt worden war, daran, die UCK-Terroristen wirkungsvoll zu bekämpfen. Gleichzeitig unterstützte und hofierte der Westen die völkischen Befreiungskämpfer so lange, bis sie eine veritable »Konfliktpartei« abgaben. Der unter westlicher Federführung ausgehandelte Friedensplan und erst recht die Nato-Aktion zur Übernahme einiger alter UCK-Schießprügel sind so konstruiert, dass sie zur Sabotage geradezu einladen. Wer dann am Scheitern des Friedensprozesses schuld ist, wird die Nato entscheiden. Wahrscheinlich ist das aber gar nicht so wichtig.

Wie es weitergehen wird, hatte am Tag vor der Bundestagsdebatte August Pradetto, ein Politikprofessor an der Hamburger Bundeswehr-Hochschule, in der Frankfurter Rundschau skizziert. Man müsse, so Pradetto im Einklang mit vielen anderen so genannten Balkanexperten, das »Problem« ansprechen, »ob auch Mazedonien nur über einen protektoratsartigen Zustand in seiner bisherigen Form zu halten ist«. Die jüngste Politik der EU und der Nato spricht dafür, dass die Entscheidung zur Liquidation einer weiteren souveränen Republik längst gefallen ist. In Berlin hat man natürlich mit all dem nichts zu tun. Aber falls demnächst wieder irgendwo eine Schutztruppe aufgestellt wird, wird man wiederum nicht nein sagen können. Weil ja bekanntlich alle am deutschen Ärmel zupfen.