Alternative Lebensformen

Techno-politisch

Drückende Hitze, Staub und Smog. Also machten sich einige Berliner Ende August auf den Weg, um ein Wochenende am Meer zu verbringen.

Der Verband für radikale Freikörperkultur hatte zu seinem Jahrestreffen in Hohen Wieschendorf im Raum Wismar eingeladen. Es ging darum, einen öffentlichen Raum zu besetzen und gegen die geplante Bebauung des Strandes mit Luxuswohnanlagen und einem Yachthafen zu protestieren.

Nach polizeilicher Einschätzung handelte es sich um eine »getarnte Techno-Veranstaltung vermutlich ultralinker Kräfte«, wusste die Schweriner Volkszeitung. Etwa 2 000 Menschen folgten dem Aufruf der Nudisten. Nach dem Open Air-Kino und einer Nacht am Lagerfeuer begann pünktlich zum Sonnenaufgang das sportlich-kulturelle Beiprogramm der Veranstaltung.

Endlich, dachten sich viele, und sammelten sich zum Tanz auf der Mole. Auf dem Festland braute sich indes etwas zusammen. Dieses Etwas kleidete sich grün, trug Mütze und war zu Verhandlungen nicht bereit. Rufe, Tumulte, im Zentrum der Einsatzleiter Walter Schuldt, der an den Steckern der Musikanlage riss. »Daraufhin wurde ich bedrängt und bespritzt, musste mich zurückziehen«, zitierte ihn die lokale Presse. Sein zweiter Angriff scheiterte gleichermaßen.

Da packte den rechtschaffenen Schuldt offenbar die Wut. Eilig zog er alle verfügbaren Einsatzkräfte der Gegend zusammen, neben gemeinen Dorfpolizisten auch einen Zugriffstrupp der Schweriner Bereitschaftspolizei. Im Laufschritt stürmten sie die Mole, um das unerhörte Treiben zu beenden.

Ausgerüstet waren sie für jeden Fall mit Helmen, Schlagstöcken, Tonfas, CS-Gas-Spray und natürlich Kameras. Es folgte ein noch größerer Tumult, man versuchte, das Mischpult zu beschlagnahmen, Knüppel waren im Einsatz, Flaschen flogen. Dann der panische Rückzug der Polizei - unter großem Geschrei und Gejohle. Bilanz: drei verletzte Beamte. Beute: die Hälfte des Mischpults.

Nach diesem Sieg der Bunten über die Uniformierten war außer Freude auch Verwunderung auf den Gesichtern der Beteiligten zu sehen. Ist Techno etwa doch politisch?

Mit Parolen wie »Schießt doch!« und »Haut ab!« hatten sie sich als »offenkundig Kämpfe mit der Polizei gewöhnte junge Leute« (Schweriner Volkszeitung) zu erkennen gegeben. Ein weiteres Anzeichen: Der reiche Schatz an italienischen Schimpfwörtern. Ist Genua nun wirklich überall?

Gegen das Neue helfen nur neue Methoden. Mittlerweile fahndet die Polizei mithilfe des Internet und der lokalen Presse nach den Teilnehmern des Festes. Das hat sie offensichtlich von den Berliner Kollegen, die nach dem 1. Mai zu ähnlichen Mitteln griffen, gelernt.