Palästinensische Schulbücher

Nicht für die Schule, für den Tod lernen wir

Aus ihren Schulbüchern erfahren palästinensische Schüler, warum es sich lohnt, ein Märtyrer zu sein.

Die Schulbücher, die palästinensischen Kindern und Jugendlichen die Welt erklären, sind in die Kritik geraten. Auch zu Beginn des neuen Schuljahres in diesem Monat wird sich Naim Abu al-Hommos, Minister für Bildung der palästinensischen Autonomiebehörde, ein paar Fragen gefallen lassen müssen. Ähnlich wie im letzten Herbst, als die im Auftrag seiner Behörde entwickelten Schulbücher für die erste und sechste Klasse präsentiert wurden.

Die Inhalte, die nach dem erstmalig unter palästinensischer Regie entworfenen Lehrplan den Schülern nahe gebracht werden sollen, geben reichlich Anlass dazu. Nachdem das US-amerikanische Center for Monitoring the Impact of Peace (CMIP) eine Studie über den Lehrstoff veröffentlicht hatte, entschied das italienische Parlament im Dezember letzten Jahres, die finanzielle Unterstützung, die Italien als Hauptfinanzier des Projektes zugesagt hatte, einzustellen.

Auch von deutschen EU-Parlamentariern ist mittlerweile Kritik zu hören. Nachdem die Welt am Sonntag die Frage aufgeworfen hatte, ob die Schulbücher, die antisemitische Stereotype verbreiten, auch mit deutschem Steuergeld gefördert werden, sah man sich im Auswärtigen Amt genötigt, eine Prüfung anzukündigen.

Die mittlerweile oft zitierten Passagen, in denen »Profitgier« und »Illoyalität« als Merkmale der Juden bezeichnet werden, stammen in der Regel aus Büchern, die von den jordanischen und ägyptischen Behörden im Sommer 1967 übernommen wurden. Dass auch die neuen Bücher, die schrittweise für jeweils zwei Jahrgänge eingeführt werden sollen, nicht weniger problematisch sind, macht eine Untersuchung des Middle East Media Research Institute (Memri) deutlich.

Zwar fehlen so deutliche Anfeindungen, wie sie in den alten, aber immer noch verwendeten Büchern zu finden sind, doch auch im aktuellen Unterrichtsmaterial geht es um den »wirtschaftlichen Einfluss«, die »Intriganz« und »Gerissenheit« der Juden.

Diese Zuschreibungen basieren zumeist auf Darstellungen, wie sie auch im Koran und der Sunna, den Erzählungen über den Propheten Mohammed, aus der Frühphase des Islam zu finden sind. Mit dem Hinweis auf die religiösen Texte machen sich die Schulbücher an die Darstellung des Konflikts zwischen Mohammed und den jüdischen Gemeinden. Auch in den Lehrbüchern zur christlichen Erziehung wird auf den Konflikt mit den Juden angespielt. Die Betonung der Rolle des Judas als Verräter Jesu dient dazu, die Eigenschaften, die den Juden in den Büchern zur nationalen und islamischen Erziehung zugeschrieben werden, anschaulich zu machen und zu bestätigen.

Die Juden sind danach die Ursache der Konflikte, und dabei belassen es die Bücher. Die Juden und das Judentum werden im Zusammenhang mit den Eroberungen Mohammeds in der Frühphase des Islam erwähnt. Die heutige Situation von Juden und deren religiöse Bindungen an die Region fehlen vollständig. Selbst in Unterrichtseinheiten, die sich mit der religiösen Bedeutung des historischen Palästina beschäftigen, fehlt jeder Hinweis auf das Judentum, und die Existenz des Staates Israels wird schlichtweg ignoriert. Weder in Texten noch auf Karten oder Illustrationen taucht der israelische Staat auf. Orte wie Jaffa, Akko und Nazareth werden umstandslos als palästinensische Städte bezeichnet, die genauso wie Ramallah und Nablus zum palästinensischen Territorium gehören.

Der Kritik, die an dieser Darstellung nicht nur von israelischer Seite geäußert wurde, begegnete Abu Hommos mit dem Hinweis, man habe in den Schulbüchern keine politische Entscheidung vorwegnehmen wollen. Schließlich seien die genauen Grenzverläufe noch umstritten.

Dass mit der Kritik an den antisemitischen und antiisraelischen Inhalten der Schulbücher aber nur ein Teil des Problems angesprochen ist, wird deutlich, wenn man sich die Ideen anschaut, die der Erzählung von der palästinensischen Nation zu Grunde liegen. Bereits in den Richtlinien des Bildungsministeriums, nach denen die Bücher gestaltet sind, wird eine Interpretation der palästinensischen Geschichte festgeschrieben: »Niemals war die Identität eines Volkes so sehr der Gefahr der Unterdrückung oder Zerstörung ausgesetzt wie die palästinensische. (Das Streben nach der) Bewahrung seiner Identiät vor vollständiger Auflösung ist das grundlegende Merkmal der Existenz dieses Volkes und die Garantie für sein Überleben in der Gegenwart und der Zukunft.«

Die Zugehörigkeit zu einer Nation wird dabei als natürlich angenommen, und so werden in den Lehrbüchern zur Bevölkerungsgeografie Menschen nach ihren körperlichen Merkmalen sortiert. Das Ziel dieser Lektionen, so erklärt das Schulbuch, sei es, die Schüler gegen rassistische Diskriminierung zu immunisieren.

Zu diesem Zweck wird die Menschheit in »kaukasische«, »mongoloide« und »negride« Abstammungsgemeinschaften unterteilt. Den »Zusammenhang von natürlichen Begebenheiten und physischen Merkmalen der Menschen« vermitteln Tabellen, in denen »welliges, weiches Haar« oder »runde Köpfe« jeweils den Kaukasiern, Mongoliden oder Negriden zugeschrieben werden. Die Palästinenser gehören demnach, glaubt man der Weltkarte, die die »Abstammungsgemeinschaften« illustriert, zusammen mit den Europäern und den Australiern zu den Kaukasiern.

Die palästinensische Geschichte wird als eine einzige Folge äußerer Bedrohungen interpretiert, was sich insbesondere in den Büchern zur nationalen und islamischen Erziehung niederschlägt. Das Zusammenleben in der palästinensischen Gesellschaft ist dementsprechend den Erfordernissen unterworfen, die mit dem Funktionieren der Gemeinschaft und insbesondere mit deren Verteidigung einhergehen. Ausdrückliches Ziel ist es, »positive Gefühle wie Liebe, Loyalität und Bindungen an die Heimat und die religiöse Gemeinschaft zu wecken und zu fördern«.

Die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft beschränkt sich dabei in erster Linie auf die Pflichten, denen die Schüler nachzukommen haben. Rechte sind zweitrangig. Gerade in den Lektionen, die die Gleichheit der Geschlechter hervorheben, wird deutlich, dass diese Gleichheit an das Funktionieren der Gemeinschaft gebunden ist. Der Respekt gegenüber Mädchen und Frauen erwächst lediglich aus den Aufgaben, die Palästinenserinnen in der Vergangenheit erfüllten oder in der Gegenwart wahrnehmen.

Der Stolz auf die Zugehörigkeit zur palästinensischen Gemeinschaft reicht nicht, die Nation fordert den aktiven Einsatz. Oder, wie es in einer ganzseitigen Illustration eines Gedichts eindringlich heißt: »Der ehrbaren Seele sind zwei Ziele: Tod und Begehren.« Dabei beginnt dieser Einsatz bereits in der Bewahrung gemeinsamer Werte und Traditionen. Reinlichkeit, sowohl als Körperhygiene wie auch als Umweltschutz verstanden, wird in verschiedenen Lektionen unter dem Merksatz »Reinlichkeit ist des Glaubens« angemahnt.

Die Bewahrung »der Sauberkeit und Schönheit der Heimat« wird allerdings keineswegs allein als ökologische Aufgabe verstanden. Die Reinhaltung der eigenen Identität bezieht sich ausdrücklich auch auf die Abwehr »ausländischer Werte«, die im Schulbuch zur Nationalen Erziehung mit der Abbildung von Punks anschaulich gemacht werden.

Die derart homogenisierte Gemeinschaft, die äußeren und inneren Gefahren ausgesetzt ist, verlangt schließlich die Verteidigung der Nation. Mit dem Koranvers, »warum sollten wir zögern zu kämpfen, wenn wir aus unseren Häusern und von unseren Kindern vertrieben wurden«, wird die Aufforderung verbunden, »die Heimat« mit »allen Mitteln zu verteidigen«. Die ursprünglich islamische Konzeption des Shahid, des Märtyrers, wird dabei ausdrücklich als nationale Verpflichtung aller Mitglieder der Gemeinschaft gedeutet. In direkten Fragen an die Schüler wird erörtert, wie sie sich - ähnlich wie andere Kinder, die als Märtyrer für die palästinensische Sache starben und in die Geschichte eingingen - für die Verteidigung der Nation einsetzen können.

Im Unterschied zu den alten Schulbüchern, die an den »Glanz des ägyptischen Königreiches« erinnerten, propagieren die neuen Schulbücher damit einen exklusiven palästinensischen Nationalismus, dessen autoritäre Gemeinschaftsvorstellungen mit vermeintlich existenziellen Bedrohungen korrespondieren.

Angesichts der Definition der palästinensischen Nation als homogener, natürlicher Gemeinschaft, die sich in einem fortwährenden Kampf um das kulturelle Überleben befinde, erscheint das weitgehende Fehlen von offensichtlichen antisemitischen Stereotypen nur als geringfügige Verbesserung. Die Vermittlung von Vorstellungen eines Existenzkampfes und die Glorifizierung des Märtyrertums in Schulbüchern für Sechs- und Zwöljährige könnten sich langfristig als folgenschwerer erweisen.