Gott im Mund

Wie soll der amerikanische Gegenschlag sein? Hart wie Peter Scholl-Latour, effektiv wie Georg Gafron und humorvoll wie Rudolf Scharping.

Nichts wird je wieder sein, wie es vorher war, hieß es in fast allen Blättern. Aber »mehr als sonst wird man in den USA auf die Reaktionen der Verbündeten achten. Das betrifft auch die in der Vergangenheit oft distanzierte bis hin zu offen antiamerikanische Berichterstattung mancher Medien.« Nun werden die Amerikaner zwar nicht recht wissen, welche Medien gemeint sind, und in ruhigeren Tagen vielleicht sogar der Ansicht sein, eine gewisse Distanz gehöre zum Journalismus.

Auf Georg Gafron, ihren besten Freund und engsten Verbündeten, werden sie sich aber zu jeder Zeit verlassen können. Dass in seiner BZ »zehntausende Menschen« verbrannten, während sie selbst die Zahl der Opfer noch auf 4 000 schätzten, mögen sie als nicht besonders pietätvoll empfunden haben, aber die Lust am Unglück anderer, und wenn es auch die besten Freunde und engsten Verbündeten sind, belebt das schweinejournalistische Geschäft.

Die gerechte Empörung notfalls auch mit Lügen zu vergrößern, ist das schweinejournalistische Ethos. Daran wird keine Katastrophe, keine Zeitenwende und kein Paradigmenwechsel etwas ändern. Deshalb war es wohl nicht nur die Trauer, sondern auch die Aussicht auf viele weitere blutrote Titelseiten, die in Georg Gafron, während er seine Tränen trocknete, die Gewissheit wachsen ließ: »Der amerikanische Gegenschlag wird hart und effektiv sein.«

Hart wird der Schlag sein, denn Härte ist das mindeste, was nun vom amerikanischen Präsidenten verlangt wird. Effektiv wird er nicht sein. Denn niemand weiß, wer eigentlich zu schlagen ist. Die Geheimdienste, denen man vorwirft, sie hätten versagt, als der Massenmord noch zu verhindern war, erhielten den Auftrag zu ermitteln, wer dahinter steckte, und im Fall, das sei in wenigen Tagen nicht möglich, herauszufinden, dass es bin Laden war.

Irgendjemand muss den Befehl gegeben haben, irgendjemand muss der Drahtzieher und Geldgeber gewesen sein, und mindestens ein Staat muss die Terroristen mindestens geduldet haben. Andernfalls ließe sich die amerikanische Militärmaschine nicht in Gang setzen und George W. Bush stünde hilflos da. Bin Laden und Afghanistan sind sicher keine schlechte Wahl, die Bomben treffen außer den Unschuldigen, die sie immer treffen, in diesem Fall auch einige ausgemachte Schurken. Die Wirkung, die sie haben sollen, werden sie aber verfehlen.

Henry Kissinger, ein hervorragender Terrorismusexperte schon deshalb, weil er einem Präsidenten als Außenminister diente, der chilenische Terroristen dafür bezahlen ließ, dass sie eine demokratische Regierung mit Bombenanschlägen erschütterten, gibt nun seinen guten Rat. »Selbstverständlich muss es auf die eine oder andere Weise einen Vergeltungsakt geben, und ich werde ihn mit Sicherheit unterstützen.«

Auch er weiß nicht, wen ein solcher Akt treffen soll, unterstützen wird er aber ganz gewiss jeden Akt der einen oder anderen, womöglich auch der dritten oder vierten Art. Nach diesem Akt »sollte die Regierung den Auftrag erhalten, eine sehr systematische Antwort zu geben - eine Antwort, die, so möchte man hoffen, so endet wie der Überfall auf Pearl Harbour: mit der Zerstörung des Systems, welches für ihn verantwortlich gewesen ist.« Und ein solches System muss es geben, denn »ein Angriff wie derjenige vom Dienstag erfordert systematische Planung, eine gute Organisation, eine Menge Geld und einen Kommandostützpunkt«.

Wieso eigentlich? Die Anschläge in New York und Washington haben bewiesen, dass man keine Bomben und Raketen braucht, um Tausende zu ermorden. Denn die Waffen, mit denen man den Gegner bekämpft, stellt er selbst bereit, sie sind aus Stahl und Kerosin, und es reichen ein paar Taschenmesser, um sich ihrer zu bemächtigen. Jedes Dutzend zu allem entschlossener Fanatiker wird ein paar Tausend Dollar für die Pilotenschule aufbringen können, und für ein paar Handys, mit deren Hilfe man die geplante Aktion absagt, wenn der betreffende Inlandsflug sich verspätet, reicht es allemal.

Wenn es ein internationales Netzwerk des Terrors gibt, wofür wenig spricht, hülfe seine Zerstörung wenig. Dass die traditionellen militärischen Mittel nicht dazu taugen, mit dieser Bedrohung fertig zu werden, ist offensichtlich. Die Bestrafung solcher Regierungen, die Terroristen fördern oder dulden, wird diese nicht zum Verschwinden bringen, die Bestrafung der Völker, in denen sie sich bewegen wie Maos Fische im Wasser, erst recht nicht. Sollten sich die vermeintlich Unterdrückten eines Tages von ihnen abwenden, wird ihre Erbitterung wachsen.

Trotzdem verlangen einige maßgebliche Köpfe in den führenden Zeitungen den »nahtlosen Schulterschluss« aller westlichen Staaten und eine militärische Strafexpedition. Selbst Peter Scholl-Latour, der an der Täterschaft Bin Ladens zweifelt und dem amerikanischen Präsidenten voraussagt, dass seine Truppen nichts gewinnen werden, empfiehlt zum Schutz vor dem Terror die Aufrüstung Europas und eine europäische Atombombe. Außerdem kritisiert er deutsche Minister, die bei ihrer Vereidigung den Namen Gottes nicht mehr in den Mund nehmen mögen. Ein christliches Abendland könnte mit dem Islam immerhin von Gleich zu Gleich sprechen. Es ist aber, Gott sei Dank, nicht mehr zu haben.

Dem Historiker Walter Laqueur steht wohl auch deshalb der Sinn nach »massiver Gewalt«, weil er sie, weit jenseits der Wehrfähigkeit, nicht mehr selbst auszuüben braucht. Immerhin räumt er ein, es gebe manche Menschen, die »Kummer« haben und deshalb zum Terror neigen. Eine Welt ohne »Kummer« werde es aber niemals geben, deshalb sei die Annahme naiv, man könne den Terrorismus beenden, indem man irgendwelche sozialen Ursachen beseitigt.

Rudolf Scharping hingegen kündigte in der vergangenen Woche während einer Pressekonferenz an, die Politik werde sich nun aber ganz gewiss der Armut in der Ferne widmen und insbesondere Nordafrika wirtschaftlich an die EU heranführen. Dass unser Verteidigungsminister ein humorvoller Mann ist, wusste man seit langem, er hätte aber sein satirisches Talent nicht ausgerechnet zu diesem Anlass vorführen müssen.

Die Ursache des Terrors ist selbstredend der Kapitalismus, es gibt ja nichts anderes. Von ihm kann man ihre Beseitigung also nicht erwarten. Die Bedürfnisse, die er weckt, wird er nicht befriedigen, und die Versprechen der Freiheit und des Wohlstands, die er immer wieder macht, wird er nicht halten. Für diese Versprechen stehen die USA, und ebenso dafür, dass sie nicht erfüllt werden. Die USA stehen für die westlichen Werte und für den Verrat an ihnen.

Was jetzt aus der so genannten Dritten Welt gekommen ist, hat aber mit Befreiung nichts zu tun, es ist eine Unterdrückungsbewegung, der Angriff galt den Werten und nicht dem Verrat. Und selbst wenn der Westen den eigenen Regeln folgte, selbst wenn die kapitalistische Globalisierung, die manche nun schon abgesagt haben, die ganze Menschheit beglückte, gäbe es immer noch genug Irre, denen gerade das nicht gefiele.