Krieg gegen Terror, Them Or Us

Die Terroranschläge vom 11. September haben die USA völlig überrascht. Die nahezu einhellige Antwort darauf heißt Krieg.

Der terroristische Angriff auf New York und Washington am vergangenen Dienstag kam für die USA und den Rest der Welt vollkommen überraschend. Die Skrupellosigkeit und minuziöse Planung der Anschläge scheinen einem Hollywood-Film der späten neunziger Jahre entnommen zu sein, das Ausmaß der Zerstörungen und das vorhergegangene völlige Versagen der Geheimdienste sind ein nationaler Alptraum für die USA.

Am Dienstag, den 11. September, kollidiert um 8.45 Uhr ein mit 92 Passagieren besetztes Flugzeug der American Airlines mit dem Nordturm des World Trade Center in New York. Die Nachricht von mehreren gleichzeitigen Flugzeugentführungen an der Ostküste macht die Runde. 18 Minuten später wird auch der zweite Turm von einem Linienflugzeug getroffen. Beide Türme stehen in Flammen, Panik bricht aus. Menschen stürzen sich aus hunderten von Metern Höhe aus den Fenstern.

Um 9.40 Uhr kracht ein weiteres Linienflugzeug auf die Westseite des Pentagons, des Verteidigungsministeriums der USA in Washington. Die US-amerikanische Luftfahrtbehörde (FAA) verhängt ein allgemeines Startverbot auf allen Flughäfen des Landes, internationale Flüge mit Zielflughäfen in den USA werden nach Kanada umgeleitet.

Um 9.50 Uhr kollabiert der über 400 Meter hohe Südturm des World Trade Center, die massiven Stahlträger sind bei Temperaturen von mehreren hundert Grad aufgeweicht und können dem Druck der oberen Stockwerke nicht mehr standhalten. Der Nordturm steht noch weitere 40 Minuten, dann bricht auch er zusammen. Ein viertes, ebenfalls entführtes Passagierflugzeug stürzt 80 Meilen südöstlich von Pittsburgh, Pennsylvania, in einen Wald.

Regierungsgebäude werden evakuiert, der Handel an der Wall Street ist ausgesetzt, das UN-Gebäude geschlossen. Augenzeugen vergleichen Lower Manhattan mit einem Kriegsgebiet. Für kurze Zeit machen Nachrichten von einer Autobombe am State Department die Runde. Die US-Luftabwehr wird in Alarmbereitschaft versetzt, Kriegsschiffe patrouillieren an beiden Küsten der USA.

Präsident George W. Bush erhält die Nachricht von den Anschlägen während eines Vortrages an einer Schule in Florida. Er spricht von einem »terroristischen Anschlag auf unser Land« und verlässt den Bundesstaat mit der Air Force One und fliegt zunächst nach Louisiana, wo er eine kurze Videoanspache an die Nation hält, dann nach Nebraska. Am Abend trifft Bush in Washington ein.

Der Nachrichtensender CNN berichtet live, fassungslose Reporter kommentieren stammelnd die Ereignisse. Es dauert Stunden, bis eine Schlagzeile gefunden ist: »America Under Attack.« Präsident Bush spricht von Vergeltung. Der Verdacht fällt auf die Organisation des aus Saudi-Arabien stammenden Islamisten Ussama bin Laden, der sich in Afghanistan versteckt hält. Als am Abend einige Raketen in der afghanischen Hauptstadt Kabul einschlagen, liegt der Gedanke an einen Racheakt der USA nahe. Doch Bush dementiert. Die afghanische Opposition soll's gewesen sein.

Die innenpolitischen Langzeitfolgen der Anschläge in den USA sind kaum abzusehen. Die Regierung verhängt den Ausnahmezustand. 50 000 Reservisten der US-Armee werden zur Verteidigung einberufen. Der Kongress bewilligt der Regierung 40 Milliarden Dollar für den bevorstehenden Krieg, der Senat stellt Bush die Carte Blanche für militärische Aktionen gegen die Täter aus. Aus »America Under Attack« wird »America's New War«. Themen wie das Steuersenkungspaket, Bildungs- und Gesundheitspolitik interessieren niemanden mehr. Die einzigen Fragen, die noch diskutiert werden, heißen: »Welche Schutzmechanismen haben versagt?«, »Wie organisieren wir die Vergeltung?«

Die Nation schart sich um ihre Symbole, Präsident Bush verzeichnet die größte Beliebtheit in der Bevölkerung seit seiner Wahl. Hastig durchgeführte Umfragen bescheinigen ihm die Unterstützung der Bevölkerung für einen langen, verlustreichen Krieg unter Einsatz von Bodentruppen. Der Senatsausschuss für Geheimdienste diskutiert die Aufhebung zweier in den siebziger Jahren verhängter Einschränkungen von CIA-Operationen: das Verbot politischer Morde und das Verbot, Terroristen anzuheuern.

Ob diese Verbote überhaupt jemals gewirkt haben, ist unklar und in diesem Zusammenhang auch nicht wichtig. Entscheidend ist, dass das politische Personal in den USA bereit ist, zu härteren Maßnahmen zu greifen und dafür auch Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen in Kauf zu nehmen. In den bürgerlichen Medien regt sich dagegen kein Widerstand, im Gegenteil, anfangs wirft man Bush sogar Feigheit vor. Die innere Aufrüstung hat begonnen.

Die Linke in den USA reagiert größtenteils hilflos. Medien wie Counterpunch, The Nation und die Internetzeitung ZNet beklagen den politischen Rechtsruck, den die Anschläge ausgelöst haben, und verurteilen einhellig die vom Verteidigungsminister Donald Rumsfeld angekündigte Auslöschung von Staaten, die tatsächliche oder vermeintliche Terroristen beherbergen oder unterstützen.

Doch bei der Forschung nach den Gründen für die Anschläge landen Autoren wie der Professor für Linguistik Noam Chomsky reflexartig im Nahen Osten - bei ihrem eigenen, gruseligen Antizionismus. Die von den USA finanzierte Unterdrückung der Palästinenser, so der Tenor, treibe Menschen so weit in die Verzweiflung, dass Selbstmordattentate das letzte verbleibende Mittel seien. Die Forderung nach dem Ende der Unterstützung Israels wird erhoben.

Die Anti-Globalisierungs-Aktivisten von der Ruckus Society in Berkeley und einige Umweltorganisationen hingegen haben alle für die nähere Zukunft geplanten Aktivitäten abgesagt. Offenbar interpretieren sie den New Yorker Massenmord als ultimativen antikapitalistischen Akt, als radikalisierte Konsequenz der eigenen Positionen. Der Sierra Club, die älteste Umweltschutz-NGO der USA, hat ebenfalls ihre Proteste gegen die Pläne der Bush-Regierung, im Mittleren Westen und Alaska fossile Brennstoffe zu fördern, vorerst eingestellt. In einer Presseerklärung heißt es dazu, man wolle angesichts der Lage keine Kritik an der Regierung üben, die als unpatriotisch ausgelegt werden könne.

Die Bush-Administration selbst vollzieht ebenfalls eine Kehrtwende: Der Isolationismus in der Außenpolitik ist vorerst vom Tisch. Außenminister Colin Powell versucht, die Golfkriegs-Allianz von 1991 zusammenzutrommeln. Die Unterstützung oder Beteiligung von Staaten wie Ägypten und Jordanien an dem bevorstehenden Krieg soll verhindern, dass eine gegen die USA gerichtete Allianz der arabischen Welt zustande kommt.

Die pakistanische Militärdiktatur, zur Zeit von den Vereinten Nationen mit Sanktionen belegt, wird ebenfalls hofiert. Powell will die Freigabe des pakistanischen Luftraumes für Angriffe gegen Afghanistan erwirken. Der pakistanische Geheimdienstchef reist nach Washington, um mit Vertretern des Pentagon über den Austausch von Informationen über die Organisation Ussama bin Ladens zu verhandeln.

Der Anschlag auf das World Trade Center und das Pentagon hat bereits jetzt vieles in der politischen Landschaft der USA verändert. Bush hat einen langen Krieg angekündigt, und während dieser Zeit dürfte jede Kritik an der Regierung im Kongress als Vaterlandsverrat aufgefasst werden. »Ihr seid entweder für uns oder gegen uns«, hat Colin Powell in der vergangenen Woche gesagt, und dabei Staaten wie Syrien gemeint.

Doch es steht zu befürchten, dass sich auch das liberale Spektrum in den USA diesen Satz zu Herzen nimmt und jegliche Kritik einstellt. So könnte es geschehen, dass selbst das National Missile Defense-Projekt, dessen Anwendbarkeit als Waffe gegen den Terrorismus durch die Ereignisse vom 11. September grundsätzlich in Frage gestellt worden ist, mit dem Hinweis auf die nationale Sicherheit durchgesetzt wird.