Anti-Terror ohne Glamour

Der amerikanische Feldzug gegen den Terror präsentiert sich angesichts realpolitischer Zwänge bisher als wenig glanzvolles Unternehmen.

Es war der außenpolitische Berater des amerikanischen Präsidenten, Brent Scowcroft, der Anfang Oktober im Interview mit dem Spiegel einige der bisher interessantesten Bemerkungen zu den US-Militärschlägen gegen Afghanistan machte. Auf die Frage, ob es sinnvoll sei, von einem »Krieg« gegen den Terrorismus zu sprechen, antwortete der ehemalige General: »Ja und nein. Sinnvoll, weil der Krieg der Mobilisierung dient.«

In den ersten Tagen nach den Terroranschlägen von New York und Washington sei »die Rede vom Krieg vor allem ein Weckruf« gewesen. »Die Wortwahl hat ihren Zweck erfüllt. Andererseits ist Krieg ein etwas irreführender Begriff, was die Natur des Konflikts angeht. (...) Nichtmilitärische Maßnahmen sind effizienter als jedes Kriegsszenario. Aber es gibt natürlich in Amerika das Bedürfnis nach einem Militärschlag als Antwort auf die schrecklichen Angriffe. Diese Erwartung muss irgendwie erfüllt werden. Aber ich warne vor hochfliegenden Hoffnungen.«

Der bisherige Verlauf der US-Kampagne gegen den Terrorismus zeigt, wie berechtigt diese Skepsis ist. Das betrifft bereits die Ausgangslage. Nach dem islamistischen Massaker stand die US-Regierung vor dem Problem, der logistisch anspruchsvollen, fernsehgerechten und in einem zynischen Sinne effizienten Machtdemonstration der Selbstmörder etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen. Im Schockzustand, während noch ermittelt wurde, behalf man sich zunächst mit der Rhetorik eines Kreuzzuges der Zivilisation gegen das Böse. Das politische Drohpotenzial dieser Rhetorik blieb diffus, im Vordergrund stand das Bemühen, angesichts der Kriegserklärung der mutmaßlichen Attentäter in die Offensive zu kommen.

George W. Bushs schnell folgende Ankündigung, die Weltbevölkerung und ihre Führer künftig noch strenger danach zu sortieren, ob sie den USA freundlich oder feindlich gesonnen seien, hatte bereits einen größeren realpolitischen Gehalt, war aber immer noch dem Bemühen geschuldet, der Wucht des Anschlages angemessen zu begegnen.

Die Aktion der Selbstmörder jedoch verkörperte die totale, von jeder Rechenschaftspflicht befreite Autonomie und damit in einer perversen Dimension die absolute Freiheit des Willens. Politik, wie sie in bürgerlichen Demokratien betrieben wird, kann einer solch radikalisierten Ungebundenheit nicht adäquat begegnen. Deshalb musste der Versuch, die Attentate mit eiskalter Entschlossenheit zu beantworten, eine Simulation bleiben.

Selbst in der Berufung auf vage Kategorien wie »Zivilisation«, »Stabilität« oder »Strafe« verpflichtet sich die Politik vitalen Normen. Während die Terroristen nur ihrem Todes- und Tötungswahn unterworfen waren, handelt sich die Politik durch solche Bindungen Unfreiheit ein. Die Performance der Terroristen besteht darin, blitzschnell Tatsachen zu schaffen, die Performance der Politik ist die der Prozedur. Sie birgt prinzipiell die Gefahr, widersprüchlich und zäh zu wirken. Genau das tut die bisherige Antiterrorkampagne der USA.

Dafür steht zunächst der Feldzug gegen das Taliban-Regime. Während die Kommuniques der US-Regierung von der monotonen Feststellung dominiert werden, man komme gut voran, und während die Kommentatoren in der letzten Woche über den Einsatz erster Bodenkommandos rätselten, wird die Wahrnehmung des Krieges stark durch seine zivilen Opfer, das Flüchtlingselend und die Hungerkatastrophe geprägt. Zu Beginn der vergangenen Woche bestätigte das US-Verteidigungsministerium, man habe irrtümlich ein Wohngebiet der afghanischen Hauptstadt Kabul bombardiert. Am letzten Mittwoch wurde gemeldet, ein Lagerhaus des Roten Kreuzes sei von US-Geschossen zerstört worden.

Bereits zuvor hatte die UN-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson verlangt, die Luftangriffe zu unterbrechen, um Hilfe für die Zivilbevölkerung zu organisieren. Auch Vertreter humanitärer Organisationen äußerten sich, etwa am vergangenen Freitag beim Besuch des deutschen Außenministers Joseph Fischer in Pakistan, skeptisch über die Militäraktionen. So überwog, zumindest bis am vergangenen Samstag erstmals der Einsatz von US-Soldaten gegen eine Kaserne der Taliban bestätigt wurde, außerhalb der USA der Eindruck, es handele sich um einen Feldzug von fragwürdiger Wirksamkeit mit den üblichen schmutzigen Begleiterscheinungen.

Praktisch in Frage gestellt wird der Kurs der US-Regierung von den beiden EU-Partnern Deutschland und Frankreich. Die Interessenlage in Berlin und Paris ist sehr widersprüchlich. Es herrscht Klarheit darüber, dass bei der Neuordnung der zentralasiatischen Region nur mitmachen darf, wer jetzt an der Front kämpft. Andererseits kann die Teilnahme am Krieg gegen ein islamistisches Regime die engen und profitablen Beziehungen gefährden, die man zum Iran, zum Irak, zu den Palästinensern, zu Libyen und anderen Staaten der Region unterhält.

Den Bemühungen vor allem Gerhard Schröders, diesem strategischen Dilemma zu entgehen, indem man sich mit einem symbolischen Kontingent am Krieg der USA beteiligt, ist George Bush bisher mit kühler Ablehnung begegnet. Das Doppelspiel Deutschlands und Frankreichs scheint den Strategen in Washington nicht entgangen zu sein. Es gipfelte am vergangenen Freitag darin, dass Schröder die mittlerweile tägliche Ankündigung eines baldigen deutschen Militärbeitrags bekräftigte und wenig später als Ergebnis des Gipfeltreffens in Gent verkündete, die EU sei sich darüber klar, dass ihre Stärken nicht so sehr auf dem militärischen, sondern mehr auf dem humanitären und politisch-diplomatischen Sektor lägen.

Die von Berlin und Paris erhobene Forderung, die Zukunft Afghanistans müsse unter Federführung der Uno gestaltet werden, ist deswegen nichts anderes als eine präventive Warnung an die USA vor eventuellen Alleingängen. Wie nervös das hiesige Establishment wegen der einstweiligen Nicht-Berücksichtigung Deutschlands durch die USA ist, wurde deutlich, als die Redaktion von Spiegel-Online am vergangenen Freitag einen Bericht über die chinesisch-amerikanischen Gespräche mit »Kungelei der Giganten« überschrieb.

Allerdings wird die amerikanische Anti-Terror-Perfomance nicht nur von den unerfreulichen Erfordernissen der Kriegsführung und von den weltpolitischen Ambitionen der EU behindert. Die realen, teilweise von den USA mit verursachten Macht- und Interessenverhältnisse in der Krisenregion machen deutlich, dass auch eine gewohnheitsmäßig auf Hegemonie orientierte Supermacht vorsichtig zu Werke gehen muss.

Diese Notwendigkeit wurde in der letzten Woche durch eine Szene beim Besuch des US-Außenministers in Pakistan illustriert. Neben Colin Powell am Mikrofon stehend, verlangte ausgerechnet der Militärdiktator Pervez Musharraf, eine künftige afghanische Regierung habe das ganze Volk und alle Ethnien zu repräsentieren und müsse von den Afghanen ohne äußere Einmischung selbst bestimmt werden. Das sollte heißen: Wenn die USA über die Nachfolger der Taliban entscheiden, will Pakistan mitreden und gegebenenfalls Fraktionen der islamistischen Ultras weiterhin an der Macht beteiligt wissen. Die USA sind derzeit genötigt, sich so etwas anzuhören, und vielleicht sogar, darauf einzugehen.

Die von den realpolitischen Verhältnissen erzwungene Verlogenheit der amerikanischen Antiterror-Kampagne, die sich nicht nur in der Zusammensetzung der Koalition und dem Ausschluss Israels zeigt, scheint derzeit in der Idee zu gipfeln, den teilweise ebenfalls islamistisch inspirierten Mörderbanden der Nordallianz in der künftigen Verwaltung Afghanistans eine wichtige Funktion zu übertragen.

Wenn diese Version einer Warlord-Herrschaft, die am vergangenen Samstag von Außenminister Fischer unterstützt wurde, genügend Sicherheiten bietet, dass der Terror sich demnächst wieder in der Region austobt und nicht weiterhin in die USA exportiert wird, dürfte Washington kaum zögern, Zivilisation und Barbarei wieder einmal kurzzuschließen.

Nichts anderes hat US-Verteidigungsminister Rumsfeld mit seiner Bemerkung gemeint, der Krieg gegen den Terror werde eine Vielzahl von wechselnden Koalitionen erleben. In Berlin wird man eine solche Dynamik als Chance begreifen. In Tel Aviv nicht.