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Die Taliban behaupten, mit den Anthrax-Briefen nichts zu tun zu haben. Man wisse ja nicht mal, was das überhaupt sein soll, dieses komische Anthrax. Sehr komisch, das geht uns genauso, und trotzdem haben wir damit zu tun, weil irgendwelche Idioten dieses Zeug verschicken und damit eine riesige Postparanoia auslösen und das schöne unschuldige Medium Brief wahrscheinlich für alle Zeiten diskreditieren. Kein Wunder, dass sich ungeöffnete Briefe in unseren Fächern stapeln, wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass dies hier schon seit Menschengedenken üblich ist.

Milzbrand, wie Anthrax in Deutschland genannt wird, kannte bis vor sechs Wochen doch kein Mensch. Milzbrand klingt jedenfalls fies. Aber nicht ganz so bedrohlich wie Anthrax, sondern eher nach Schorf, schlecht gelüfteter Wohnung und offenen Beinen. Jedenfalls hat Milzbrand dem Sound nach etwas mit mangelnder Hygiene zu tun, aber nichts mit dem »global threat«, sondern mehr mit dem kalkulierbaren Risiko. Milzbrand klingt dabei so schlecht erfunden wie Gerfrierbrand.

Aber hey, das waren noch Zeiten, als Gefrierbrand den Inhalt deutscher Kühlschränke bedrohte, eine aus der Retro-Perspektive betrachtet doch relativ ungefährliche Sache, von der im Wesentlichen nur die junge ambitionierte Hausfrau betroffen war, deren ebenfalls junger ambitionierter Ehemann völlig überraschend seinen Chef zum Abendessen mitbrachte, und die Klimax des Katastrophenszenarios bestand darin, dass die karrierefördernden Steaks irgendwelche Stellen hatten, die dann Gefrierbrand genannt wurden und die dazu führten, dass eine ohnehin langweilige Ehe und eine noch langweiligere Karriere ein jähes Ende fanden. So klasse war das damals, der Horror in den Zeiten des Gefrierbrandes.

Falls Sie in der Vergangenheit keine TV-Werbung für Frischhaltefolien verfolgt haben, haben Sie bislang wahrscheinlich kein Wort verstanden, und Sie werden den Epochenbruch, der hier verhandelt wird, auch nicht so ganz begreifen wollen. In den Zeiten von Gefrierbrand war's einfach. Viren kamen per Mail, die »I love you« versprachen und die den Computer dann sehr komische Sachen machen ließen, was nicht weiter schlimm war, weil der Webmaster gerufen wurde, der dann auch komische Sachen machte, und man bekam für einen Tag frei oder durfte die Post sortieren und hatte dabei keineswegs das Gefühl, einen Märtyrerjob zu machen. Und hätte man ein Briefchen geöffnet und weißes Pulver darin gefunden, dann wäre man superglücklich und einfach mucksmäuschenstill gewesen. Die fucking Polizei zu rufen wäre jedenfalls das Allerletzte gewesen, was einem eingefallen wäre.