Schröders Asienreise

Ein Mantra geht um die Welt

Schröders Asienreise hat der deutschen Wirtschaft Milliardenaufträge eingebracht. Und auch in Washington engagieren sich seine Unterhändler für deutsche Interessen.

Es ist nicht unser Stil, auf Einfluss zu pochen«, beteuerte Klemens Semtener vom Auswärtigen Amt gegenüber Jungle World. Es gebe auch keine Verstimmungen in der Anti-Terror-Allianz, Deutschland sei im »ständigen Dialog« mit seinen Partnern. Der internationale Konsens sei groß, doch festgezurrte Konzepte gebe es nicht.

Die Süddeutsche Zeitung hat das am 31. Oktober ein wenig anders dargestellt. »Berlin pocht in Washington auf Einfluss«, lautete die Schlagzeile. Innerhalb der Anti-Terror-Allianz finde bereits eine »intensive Auseinandersetzung« über das Vorgehen in Afghanistan in der Post-Taliban-Ära statt. So zeichne sich ein Streit über das richtige Verhandlungsgremium ab, und Deutschland habe klar gemacht, dass es an einer politischen Lösung für Afghanistan beteiligt werden möchte. Der Asien-Beauftragte der Bundesregierung, Volker Stanzel, und der ehemalige deutsche Botschafter in Pakistan, Hans-Joachim Daerr, seien eigens nach Washington geflogen, weil die Bundesregierung befürchte, dass ihre Stimme nicht ausreichend zur Geltung komme.

Während sich Bundeskanzler Gerhard Schröder und in seinem Gefolge Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesinnenminister Otto Schily und Wirtschaftsminister Werner Müller auf einer Asienreise durch Pakistan, Indien und China befanden, mühten sich zwei Vertreter der Bundesregierung in Washington um die deutschen Interessen.

Denn zwei der für eine internationale Verwaltung Afghanistans diskutierten Modelle sehen keine deutsche Beteiligung vor. Nach dem ersten, dem Modell Fünf-plus-Fünf, würden die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen - China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA - und fünf Anrainerstaaten den Wiederaufbau des Landes politisch begleiten und steuern. Die fünf Anrainerstaaten sind Pakistan, Iran, Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan.

In einem zweiten Modell namens Zwei-Plus-Sechs-Forum würden Russland, die USA, die fünf Nachbarn sowie China beim Wiederaufbau die entscheidende Rolle spielen. Dieses Modell würde ein bereits 1997 von der UNO installiertes Gremium wieder beleben. Beide Modelle stoßen offenbar auf Ablehnung bei der Bundesregierung.

Bei der Bundespressekonferenz in der vergangenen Woche gab sich Außenamtssprecher Andreas Michaelis alle Mühe, den Eindruck von Missstimmigkeiten unter den Partnern zu entkräften. »Wir fühlen uns sehr gut eingebunden und vernetzt«, meinte Michaelis. Über die Zusammensetzung einer Staatengruppe sei überhaupt noch nicht entschieden. Zum deutschen Wunsch nach einer Beteiligung sagte er: »Ich glaube, wer die Außenpolitik dieser Regierung in den drei Jahren intensiv verfolgt hat

- ich glaube, man kann das auch für Vorgängerregierungen sagen - der weiß, dass es nicht dem deutschen außenpolitischen Stil entspricht, auf Einfluss zu pochen«.

Darüber dürften die Meinungen jedoch auseinander gehen. Denn was waren die Beschwörungen einer angeblich gewachsenen Verantwortung Deutschlands und die immer wieder erhobene Forderung nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat in den neunziger Jahren anderes als ein Beharren auf Einfluss? Auch Schröder trägt die deutschen Wünsche wie ein Mantra vor. Bei seinem Chinabesuch in der vergangenen Woche bekräftigte er in einer Rede vor der Pekinger Beida-Universität ein weiteres Mal die Bereitschaft Deutschlands zu einem militärischen Beitrag im so genannten Anti-Terror-Kampf. Die Bundesregierung sei bereit, sich in einem »sehr umfassenden Sinn« am Krieg zu beteiligen.

Doch ungeachtet dieser Beteuerungen, die die Bundesregierung fast täglich abgibt, lässt die Antwort der US-amerikanischen Verbündeten auf sich warten. Einmal heißt es, die Bundesregierung rechne mit einer Anfrage der USA, dann wird die Art und Weise des militärischen Beitrags der Bundesrepublik wieder im Nebulösen gehalten. Schließlich wird von deutscher Seite wieder Unterstützung angeboten und nichts geschieht. Am 17. Oktober verkündete Schröder, er gehe davon aus, »dass wir schon in Kürze umfangreichere Hilfe leisten müssen - auch mit unseren militärischen Möglichkeiten«. Klemens Semtener vom Auswärtigen Amt orakelte gegenüber Jungle World, dass es in dieser Woche schon losgehen könnte. Einen Tag später hieß es wieder, dass von Seiten der USA noch keine konkrete Anforderung militärischer Hilfe vorliege. Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping trug zur allgemeinen Verwirrung bei, indem er am Wochenende spekulierte, es könne sein, müsse aber nicht. Wann immer es auch so weit sein wird, das deutsche Drängen auf eine Beteiligung am Krieg ist jedenfalls unüberhörbar.

Gedrängt wird offensichtlich auch, wenn es um eine Nachkriegslösung für Afghanistan geht. Michaelis wies darauf hin, »dass wir in der Afghanistan-Frage durch die Reisen, die wir gemacht haben, aber auch durch die wesentliche humanitäre Rolle, die wir da spielen, sicherlich ein Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen sind, auf den man ungern verzichten würde«. Naja, hört sich eher so an, als ob Deutschland selbst ungern auf seinen eigenen Beitrag verzichten würde.

Offenkundig ist, dass humanitäre Hilfe und Wirtschaftspolitik für die Bundesregierung Instrumente sind, die eigenen Einflussmöglichkeiten zu erweitern. Das zeigte auch Schröders Reise durch Asien, bei der es nicht in erster Linie um die Stärkung der Anti-Terror-Allianz ging. Über vierzig »wichtige Menschen aus der deutschen Wirtschaft« (Schröder) reisten mit, darunter Vertreter von Siemens, Ron Sommer von der Telekom, der Vorsitzende der Bahn AG, Hartmut Mehdorn, und der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Michael Rogowski.

In Indien betonte Schröder die Bedeutung der Handelsbeziehungen der beiden Länder, das Potenzial sei »bei weitem noch nicht ausgeschöpft«. Er besuchte die Stadt Bangalore, das indische Silicon-Valley, wo zahlreiche deutsche Firmen vertreten sind. Dort wurde u.a. der Grundstein für ein neues Firmengebäude der SAP gelegt.

Bei seinem Besuch in Pakistan sagte Schröder dem Präsidenten Pervez Musharraf für dessen Engagement in der Anti-Terror-Koalition umfangreiche Hilfe zu. Das Land soll Hermesbürgschaften im Wert von 100 Millionen Mark erhalten, und Schröder versicherte, sich bei internationalen Währungsinstitutionen für den Erlass der pakistanischen Auslandsschulden einzusetzen.

Auch in China kam es zu Gesprächen über »Terror und Geschäfte« (Berliner Zeitung). In Peking wurden Verträge im Wert von 20 Milliarden Mark unterzeichnet. Bayer und BASF investieren kräftig in chinesische Chemiestandorte, und am vergangenen Freitag wurde im Beisein Schröders in Schanghai ein Stahlwerk von Thyssen-Krupp in Betrieb genommen. Die deutsche Wirtschaftsdelegation war rundum zufrieden.

Darüber hinaus schickt die Bundesregierung auch noch Unterhändler nach Washington, um ihr Interesse in Afghanistan zu untermauern. Dabei hat Deutschland bereits den Vorsitz in der so genannten Afghanistan Support Group inne, einem Koordinationsgremium, das aus den 15 wichtigsten Geberstaaten, der Europäischen Kommission und Organisationen der Vereinten Nationen besteht. Von neuer Qualität ist auch, dass sich Deutschland nicht im Namen der Europäischen Union engagiert. Daerr und Stanzel begaben sich nicht im Auftrag der EU nach Washington. Von europäischen Interessen war auch auf Schröders Asienreise keine Rede.

Die Süddeutsche Zeitung behauptete sogar, Schröder würde sich auf seinem Rückweg beim russischen Präsidenten Wladimir Putin für eine Einbeziehung Deutschlands in eine Nachkriegslösung für Afghanistan stark machen. Tatsächlich sprachen die beiden bei Schröders Kurzbesuch über Afghanistan. Gemeinsam forderten sie anschließend für das Land eine Regierung unter dem Dach der Vereinten Nationen.

Die enge deutsch-russische Beziehung, die in Deutschland als Männerfreundschaft zwischen Putin und Schröder dargestellt wird, dürfte in den USA argwöhnisch betrachtet werden. Vielleicht verzichten die Amerikaner auch deshalb noch auf einen militärischen Beitrag Deutschlands, weil die Bundesregierung unübersehbar eigene Wege geht. Deutschland kommt dabei zwar nicht immer so schnell voran, wie es vielleicht will, aber es pocht.