Nach den Wahlen in Hamburg und Berlin

Koalitionen des Grauens

Die Wahlen in Hamburg und Berlin haben das strategische Dilemma der CDU offenbart.

Noch bevor der neue Hamburger Senat am vergangenen Mittwoch vereidigt wurde, hatte die frisch geschmiedete Koalition aus CDU, FDP und Ronald Schills Partei Rechtsstaatliche Offensive den ersten handfesten Skandal produziert. Weil Schills Wahldrohung, sofort 2 000 neue Polizisten einzustellen, aus finanziellen Gründen nicht zu realisieren war, wollte die rechtskonservative Koalition auf andere Art den starken Senat markieren und vereinbarte, die Justizvollzugsanstalt Vierlande, anders als vom Vorgängersenat beschlossen, nicht zu schließen.

Das Gefängnis befindet sich auf dem Gelände des einstigen Konzentrationslagers Neuengamme, einem Außenlager von Sachsenhausen. 106 000 Menschen waren hier ab 1938 inhaftiert, über die Hälfte von ihnen verhungerte, starb an Krankheiten oder wurde von den SS-Wachmannschaften umgebracht. Als das Gelände 1948 der Hansestadt übergeben wurde, fiel ihr nichts Besseres ein, als in den alten Gebäuden eine Justizvollzugsanstalt einzurichten. Über vier Jahrzehnte brauchte die Stadt, bis sie sich 1989 endlich dazu entschloss, den Knast auf dem Tatort nationalsozialistischer Verbrechen aufzulösen.

Und noch einmal elf Jahre dauerte es, bis der Senat im September 2000 ein Gesamtkonzept für die Gedenkstätte Neuengamme verabschiedete. Einer der zentralen Punkte war dabei die Räumung der Justizvollzugsanstalt. Und obwohl die CDU dem Konzept damals einhellig zugestimmt hatte, vereinbarte Hamburgs neuer Bürgermeister Ole von Beust nun mit seinen Koalitionspartnern, dass der Knast Vierlande bleibt.

Damit hatte der neue Senat eindrucksvoll und mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit demonstriert, auf welcher Tradition in Deutschland die Rhetorik vom starken Staat aufbaut. Auch, wenn Bürgermeister von Beust schließlich doch noch einen Rückzieher machte, zumindest einen halben. Angesichts zahlreicher Proteste verkündete er, man habe in den Koalitionsvereinbarungen nun festgeschrieben, dass künftig alle Pläne für das ehemalige KZ-Gelände nur in Absprache mit den Opferverbänden realisiert würden.

Ob die Opferverbände allerdings tatsächlich mit Rechtsradikalen verhandeln werden? Denn auch wenn von Beust selbst gemeinhin als Liberaler verschrien ist, seine Koalition reicht dank Ronald Schill und seinen Freunden bis tief ins rechte Lager. »Ich kann Hitler wegen der Juden ja verstehen. Mir selber wird körperlich unwohl, wenn ein Türke vor und ein Pole hinter mir im Supermarkt steht.« Dies soll der Abgeordnete und Schatzmeister der Rechtsstaatlichen Offensive, Norbert Frühauf, vor zwölf Jahren in einem Seminar an der Hamburger Universität geäußert haben. Das zumindest behauptet eine ehemalige Mitstudentin, die diesen Vorwurf mit einer eidesstattlichen Erklärung untermauerte.

Der Fraktionsvorsitzende der Schill-Partei in Eimsbüttel, Christian Brandes, ist im Gegensatz zu seinem Schatzmeister Frühauf noch Student und als solcher Mitglied in der Burschenschaft Germania, deren Verbindung in die rechtsextreme Szene so offenbar ist, dass selbst der Verfassungsschutz davon zu berichten weiß. Schill aber hat mit solchen Leuten in der eigenen Partei keine Probleme. »Das ist doch gut so«, kommentiert er die Tatsache, dass seine Rechtsstaatliche Offensive vor allem am rechten Rand Stimmen sammelte und so in Hamburg die NPD, die DVU, die Republikaner und den Bund Freier Bürger, die zuletzt rund acht Prozent der Wähler hinter sich gebracht hatten, auf zusammen unter ein Prozent drückte.

Das Unangenehme für die CDU und Oberbürgermeister Ole von Beust mag dabei weniger sein, dass Rechtsausleger mit in der Regierung sitzen. Problematisch ist allein, dass sie nicht Mitglied der CDU sind. Hamburg verdeutlicht ein Dilemma, in dem die Union in zahlreichen Bundesländern und auf Bundesebene steckt: Unter der vermeintlich liberalen Angela Merkel, deren verzweifelte Disziplinierungsversuche in der Debatte um den zukünftigen Kanzlerkandidaten ihre mangelnde Autorität nur noch unterstreichen, laufen der CDU die konservativen Wähler in Scharen davon. Nur dort, wo Hardliner wie der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber oder sein hessisches Pendant Roland Koch die ausländerfeindliche Karte ausspielen, schafft es die Union, ihr Potenzial auszuschöpfen.

Doch in manchen Bundesländern ist die CDU weit davon entfernt, in absehbarer Zeit wieder Regierungsmacht zu erlangen, ohne eine Koalition mit der SPD eingehen zu müssen. Etwa in Sachsen-Anhalt, wo im April Landtagswahlen anstehen, aber auch in Mecklenburg-Vorpommern oder in Schleswig-Holstein - von Berlin ganz zu schweigen.

So könnte es für die CDU durchaus auch von Vorteil sein, wenn die Schill-Partei sich wie geplant über die Grenzen Hamburgs hinaus ausbreitet , zum Beispiel nach Sachsen-Anhalt. Denn dort könnte Schill die Wähler der zerfallenden DVU einsammeln, welche vor vier Jahren immerhin 13 Prozent der Stimmen erhielt. Die Schill-Partei könnte im Gegensatz zur Frey-Partei für die CDU durchaus einen Koalitionspartner abgeben. Ähnliches könnte auch in Mecklenburg-Vorpommern möglich werden, wo man der Schill-Partei, würde sie dort antreten, in Umfragen fast 20 Prozent der Wählerstimmen prophezeit. Der Erfolg der rechtslastigen Offensive stößt denn auch bei so manchem Christdemokraten auf klammheimliche Freude.

Doch andererseits ist es auch möglich, dass die Schill-Partei die CDU im Osten links liegen lässt. So soll die Vorsitzende der Jungen Union, Hildegard Müller, jüngst in einer CDU-Vorstandssitzung davor gewarnt haben, dass die Rechtsstaatliche Offensive stärker als die Union werden könnte. Und der niedersächsische Landesvorsitzende Christian Wulff befürchtet gar, dass eine bundesweite Ausbreitung der Partei die Union in ihrer Substanz gefährden könnte. Die CDU drohe ihren Rang als Volkspartei zu verlieren, wenn die rechtskonservative Wählerschaft in Zukunft lieber Schill als der Union ihre Stimme gebe.

Rechts drückt also die Rechtsstaatliche Offensive, und in der Mitte ist es sowieso längst eng geworden für die CDU. Dass Bundeskanzler Schröder nicht gewillt ist, seinen Platz dort wieder zu räumen, hat er bewiesen, als er den Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit anwies, keine Koalition mit der PDS einzugehen.

In Berlin stehen alle Zeichen auf Ampel-Koalition. Die mag zwar ohne große Zukunft sein und vielleicht schon nach der Bundestagswahl 2002 wieder auseinander brechen, aber bis dahin hat Schröder Ruhe. Für die Linke hat das den positiven Effekt, dass man beim nächsten Mal noch gefahrlos PDS wählen kann, denn in die Bundesregierung kommen die demokratischen Sozialisten vorerst nicht.

Für die Union kann die Konsequenz nur heißen, noch stärker auf ausländerfeindliche Ressentiments und Law-and-Order-Propaganda zu setzen. Dafür braucht sie einen Kandidaten, der den starken Mann so glaubwürdig mimt, dass er auch rechtsaußen Zustimmung findet. Da bleibt nach dem derzeitigen Stand nur Stoiber übrig - oder doch Roland Koch.