Medienzentrum in Friedrichshain-Kreuzberg geplant

Im Schatten des Investors

In Friedrichshain-Kreuzberg soll das neue Medienzentrum der Hauptstadt entstehen. Endlich, Berlin wird wie London.

Seit dem Sommer erregt »Mama Su« am Heinrichplatz die Gemüter. Die erste Sushi-Bar hat in Kreuzberg eröffnet - ausgerechnet am früheren Hausbesetzertreffpunkt gibt es nun den Modeimbiss der Neuen Mitte zu kaufen. Während Andrea Albertini in der Jungle World das übliche Kreuzberger Publikum als Gäste ausmachte, sichtete die Gastrokritikerin der Zitty Anzugträger und schwärmte von einer Atmosphäre wie in Notting Hill - dem multikulturellen Londoner Stadtteil, der gerade den klassischen Prozess der Gentrification durchläuft. Prominente und die obere Mittelklasse ziehen zu, Migranten und kleine Ladenbesitzer gehen, weil sie sich die gestiegenen Mieten nicht mehr leisten können.

Droht nun eine ähnliche Entwicklung in Kreuzberg? Der Bezirk ist solcher Debatten müde. Bereits vor mehr als zehn Jahren prophezeiten Autonome dem Bezirk die Umstrukturierung, wie es im Szenejargon hieß. Stattdessen wurde Kreuzberg zum ärmsten Bezirk der Hauptstadt.

Doch fehlende Paranoia heißt nicht, dass keine Bedrohung vorhanden ist. Während Mitte und Prenzlauer Berg ihre Gentrification hinter sich brachten, erlebte Kreuzberg ebenso wie Friedrichshain - offiziell sind die beiden Stadtteile seit Jahresbeginn ein Bezirk - eine erstaunliche Renaissance. Neue Kneipen eröffneten, Prominente wie Franka Potente zogen her, MTV drehte seine Interviews mit Fanta4-Mitglied Smudo im heruntergekommenen Wrangelkiez. Rund um den Ostbahnhof, zwischen Industriebrachen, East Side Gallery und Spree entwickelte sich eines der Zentren der Clubszene, mit dem »Maria am Ostbahnhof« an der Spitze. Und wo die Subkultur feiert, wirft der Investor schon seine langen Schatten.

Während »Mama Su« das Kreuzberger Sommerloch füllte, entwickelte sich ohne größere Diskussion die Gegend am Ostbahnhof zum Investorenmekka. Derzeit sind rund zehn Projekte in Vorbereitung oder in Bau - mit 120 Hektar ist deren Gesamtfläche achtmal so groß wie der Potsdamer Platz. Sieben Projekte haben sich zwecks besserer Vermarktung unter dem Namen »Media spree« zusammengeschlossen. Die umfangreichsten Planungen betreffen das Gelände des Güterbahnhofs-Ost zwischen Mühlenstraße, S-Bahnhof Warschauer Straße und Ostbahnhof. Dort will die US-amerikanische Anschutz-Gruppe eine Veranstaltungshalle für rund 18 000 Personen bauen, die unter anderem durch die Berliner Eisbären, einen Eishockeyverein, genutzt werden soll. Für die Umgebung der Halle sind Kinos und Kultureinrichtungen ebenso im Gespräch wie Wohn- und Geschäftsgebäude. Derzeit durchläuft das Projekt ein städtebauliches Gutachterverfahren, das voraussichtlich im Januar 2002 abgeschlossen sein wird.

Gleich daneben versucht die Deutsche Post, ihr Areal am Ostbahnhof zu vermarkten. Auf 42 000 Quadratmetern ist ein neues Stadtquartier geplant, mit dem restaurierten Postbahnhof als historischem Kern. Weitere Projekte sind der »spreeport« an der Michaelkirchbrücke, der die dort ansässige Wagenburg zum Umzug zwingen würde, und »spreesinus« an der Holzmarktstraße, ein wellenförmiger, 16geschossiger Bau, entworfen vom Kanzleramtsarchitekten Axel Schultes. Das Zentrum Zukunftsenergien, direkt gegenüber dem Ostbahnhof an der Spree gelegen, ist bereits in Bau und soll im September 2002 fertig gestellt sein.

Grundlage der Planungen ist ein Gutachten der Firma Regioconsult, das Berlin 30 000 neue Arbeitsplätze in der Medienbranche mit einem Flächenbedarf von 500 000 Quadratmetern prognostiziert hat. »Media spree« soll »zum Herzstück einer neuen Medienlandschaft werden«, heißt es entsprechend in dem Prospekt der Investoren. Auch das »Regionale Entwicklungskonzept Wirtschaftsstandort Spreeraum Friedrichshain«, erstellt für den Europäischen Regionalfonds, will das Gebiet zum Medien- und Kulturstandort entwickeln. »Kulturelle Einrichtungen«, so heißt es dort, »werden für private Investoren erst interessant, wenn Sie als Bestandteil einer urbanen Nutzungsmischung das Standortprofil stärken.« Anschließend werden insbesondere das »Tempodrom« und das »Maria am Ostbahnhof« (»stadtbekannte Diskothek«) als Standortfaktoren erwähnt. Es fehlt allerdings die Anmerkung, dass beide Veranstaltungsorte der Gegend nicht mehr lange erhalten bleiben werden. Das »Tempodrom« zieht im Dezember um in den Neubau am Anhalter Bahnhof und dem »Maria« hat die Deutsche Post zum Jahresende gekündigt.

Geradezu symptomatisch für die Entwicklung von der Sub- zur Kommerzkultur steht die geplante Ansiedlung der Universal Music Deutschland im Spreespeicher an der Oberbaumbrücke. 2002 will der Musikriese, der unter anderem Eminem und Rammstein betreut, von Hamburg nach Berlin umziehen. Firmenchef Tim Renner bekundete in einem Interview im Tagesspiegel, Friedrichshain-Kreuzberg sei »extrem im Kommen«: »Da entsteht etwas wirklich Neues. Wie das aussehen wird, das lässt sich noch gar nicht abschätzen.« Ein Medienunternehmen lebe davon, dass es von einem »jungen, kreativen Umfeld« umgeben sei.

Erleichtert wurde Universal die Umzugsentscheidung übrigens durch Investitionszuschüsse in vermutlich zweistelliger Millionenhöhe durch EU, Bund und Land. Ein typischer Fall von Fehlsubvention im Rahmen des Aufbaus Ost: Hier wird kein neues Unternehmen geschaffen, sondern lediglich der Hauptsitz des bestehenden verlagert.

Die Finanzierung eines Konzerns wie Universal bei gleichzeitigen Haushaltskürzungen im Arbeits- und Sozialbereich zeigt die Eindimensionalität der Berliner Stadtentwicklungspolitik. Quer durch alle Parteien setzt man darauf, dass sich Investoren endlich der Stadt erbarmen und Arbeitsplätze im gehobenen Dienstleistungsbereich schaffen. Dabei nimmt man gern in Kauf, dass die Mieten in den umliegenden Vierteln steigen und die dort lebende Bevölkerung verdrängt wird.

Allerdings hilft es auch wenig, darauf zu hoffen, dass die Projekte sich im Zuge des Niedergangs der New Economy als Luftblasen herausstellen. Eine Umkehr in der Stadtentwicklungspolitik wird es nicht geben. Scheitert ein Konzept, zieht der nächste Investor ein neues aus dem Hut. Wer sich etwa darüber freute, dass das geplante Einkaufszentrum der Botag an der Kreuzberger Cuvrystraße wegen offenkundiger Unwirtschaftlichkeit nicht gebaut wird, sieht sich nun mit dem Plan der Wert-Konzept für ein Vier-Sterne-Hotel samt Loftwohnungen an derselben Stelle konfrontiert. Über die Spree sollen von dort aus Wassertaxis zu Terminals bei Universal oder Media spree-Bauten fahren.

Immerhin fühlen sich die Planer inzwischen in Kreuzberg an London erinnert: »Endlich ist es so weit, nach New York und London - den Lieblingsmetropolen der Ausgeflippten, Beseelten und Kulturbeflissenen, hat nun auch Berlin seine Docklands«, heißt es im Werbeprospekt. Dass London die höchsten Wohnungsmieten Europas hat, steht natürlich nicht dort.