Anstieg rechtsextremer Straftaten in Nordrhein-Westfalen

Rechts im tiefen Westen

Die Zahl der rechtsextremen Straftaten im SPD-regierten Nordrhein-Westfalen ist stark angestiegen.

Die überregionale Presse nahm kaum Notiz von einem Vorfall, der sich Anfang Oktober in Niederschelderhütte bei Siegen ereignete. 40 Skinheads terrorisierten dort zwei Nächte lang mehrere türkische Familien. Mit Silvesterraketen schossen sie auf die Häuser der Migranten. Auf einem Video ist dokumentiert, wie sie dabei »Wir verbrennen euch!« riefen.

Ein Straßenzug wurde offensichtlich zur national befreiten Zone. »Die Skinheads hatten die ganze Kölner Straße abgesperrt. Da hing eine SS-Flagge aus dem Fenster raus, und dann haben wir uns die Hassreden von Adolf Hitler anhören müssen«, berichtet eine Nachbarin. »Ich habe die Polizei angefleht, Beamte vorbeizuschicken.« Doch die habe auf den niedrigen Personalstand verwiesen. Der Grund: Die Uniformierten waren zu einer NPD-Demonstration abgestellt.

Ein typisches Beispiel für die Verhältnisse in Nordrhein-Westfalen? Vielleicht nicht unbedingt in dieser extremen Erscheinungsform. Aber die Zahl der angezeigten fremdenfeindlichen und antisemitisch motivierten Körperverletzungen in dem SPD-regierten Bundesland ist im ersten Halbjahr 2001 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum deutlich gestiegen. 59 gewalttätige Übergriffe weist der Zwischenbericht des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes für die Monate Januar bis Juni aus. Im Vorjahr waren es im selben Zeitraum 41. Die Zahl der angezeigten Volksverhetzungen und Schmierereien stieg ebenfalls deutlich an.

Dabei hatte die Zahl der als rechtsextremistisch klassifizierten Straftaten sich bereits von 1999 auf 2000 fast verdoppelt. Die Zahl der Gewalttaten war gar um 130 Prozent gestiegen. Nach dem - bis heute nicht aufgeklärten - Handgranatenanschlag gegen zumeist jüdische Schüler einer Düsseldorfer Sprachschule im Juli 2000 schoss die Zahl der registrierten Delikte in Nordrhein-Westfalen in die Höhe. Einige besonders brutale rechte Übergriffe in Düsseldorf und Wuppertal erregten auch überregional Aufsehen (Jungle World, 41/00).

Dass die Zahl der angezeigten Taten gestiegen ist, mag auch darauf zurückzuführen sein, dass sich seit der öffentlichen Debatte über Rechtsextremismus das Anzeigeverhalten geändert hat. »Nach meiner Erfahrung trauen sich die Opfer von Rechtsextremismus jetzt eher, zur Polizei zu gehen«, sagt Ralf-Erik Posselt, Sprecher von SOS Rassismus Nordrhein-Westfalen. Andererseits werde der rechtsextreme Hintergrund von Straftaten von Polizei und Politik oftmals immer noch verleugnet. Und das Interesse der Medien habe längst wieder nachgelassen.

Man kann der rot-grünen Landesregierung nicht vorwerfen, dass sie in den letzten anderthalb Jahren völlig untätig gewesen sei im Kampf gegen rechts. So rief et-wa Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) im August des vergangenen Jahres das »Bündnis für Toleranz und Zivilcourage - Gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit« ins Leben. Regelmäßig sollten die beteiligten Gruppen, Parteien und Verbände zusammenkommen. Doch das Bündnis hat sich zuletzt im Frühjahr getroffen. Auch eine vollmundig angekündigte Stabsstelle in Clements Staatskanzlei wurde nicht eingerichtet.

Ein landesweites Aussteigerprogramm soll potenziellen Aussteigern aus der rechten Szene unter anderem bei Arbeitssuche, Entschuldung und Behördengängen helfen. Gleichzeitig sollen Nazis durch Hausbesuche der Polizei unter Druck gesetzt werden. Die Zwischenbilanz könne sich sehen lassen, meint Innenminister Fritz Behrens. Acht Personen hätten bisher eine Ausstiegserklärung unterschrieben, verkündete der Sozialdemokrat vor zwei Wochen stolz. 15 weitere stehen offenbar kurz vor der Unterschrift. Der Rest der offiziell rund 1 000 nordrhein-westfälischen Nazis blieb unbeeindruckt.

Mit einer Datenbank über rechtsextreme Demonstrationen will Behrens seit März »noch wirksamer gegen die Inflation von Neonaziaufmärschen vorgehen«. Dort sollen Informationen abgerufen werden können, wie Polizei und Justiz gegen rechte Aufmärsche »ihre Spielräume genutzt haben«. »Wir wollen dem braunen Spuk ein Ende setzen«, versprach Behrens. Und dennoch bleibt Nordrhein-Westfalen weiterhin ein Aufmarschgebiet für Neonazis. So stehen in den nächsten zehn Tagen Demonstrationen freier Kameradschaften in Winterberg und Hagen an.

Andere Rechte geben sich biederer als die Stiefelfaschisten und haben Erfolg damit. In Köln macht die rechtsextreme Bürgerbewegung pro Köln gegen die Verlagerung des Straßenstrichs mobil. Kopf der Gruppierung ist der ehemalige Ratsherr der Deutschen Liga für Volk und Heimat, Manfred Rouhs. Er und seine Kameraden werden von einem Teil der Medien hofiert. Die Kölner Ausgabe der Bild etwa sprach von »Bürgerprotesten« und ließ die Sprecherin der rechten Truppe unkommentiert zu Wort kommen. Der Sender RTL bat Rouhs zum Interview vor die Kamera. Die Mobilisierung der Antifa gegen die rechtsextremen Blockwarte tendiert gegen Null. Lediglich ein Fackelmarsch der Rechten konnte rund 150 Antifaschisten bewegen, auf die Straße zu gehen. Sie sahen sich den Anfeindungen von Anwohnern ausgesetzt.

»Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass extremistische und insbesondere fremdenfeindliche Einstellungen stärker verbreitet sind, als es die Zahlen über Straftaten nahe legen«, gesteht Minister Behrens ein. Eine bemerkenswerte Feststellung für einen Politiker, der sich in der Flüchtlingspolitik oft genug als knallhart erwiesen hat. So verteidigte er die schmerzhafte so genannte Schaukelfesselung von Flüchtlingen, bei der Arme und Beine auf dem Rücken zusammengebunden werden und die im Abschiebeknast Büren zeitweilig praktiziert wurde. Sie wird vom Flüchtlingskommissariat der Uno als Foltermethode eingestuft.

20 Millionen Mark hatte die Landesregierung in diesem Jahr für antirassistische Arbeit in den Kommunen bereitgestellt. Das Programm wird vermutlich keine Fortsetzung finden. Denn der Sommer der Antifa ist Geschichte. Auch im bevölkerungsreichsten Bundesland.