Debatte über Bundeswehreinsatz

Völlig irritiert in den Krieg

Auch wenn es in den Regierungsfraktionen nicht alle verstanden haben: Der deutsche Militäreinsatz ist nationale Pflicht.

Für einen kurzen Moment hatte der US-amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in der vergangenen Woche die Fensterläden aufgestoßen und einen unverstellten Blick auf die Funktionsweise deutscher Politik ermöglicht. Denn bevor Rumsfeld in den USA obiges Statement vor der Presse abgab, behauptete Bundeskanzler Gerhard Schröder in Berlin, die USA hätten rund 3 900 Bundeswehrsoldaten für den Krieg gegen den Terror angefordert, darunter ABC-Abwehrkräfte, Einheiten zur Evakuierung von Verletzten, Spezialkräfte sowie Lufttransport- und Seestreitkräfte. So gibt die dpa am Dienstag, dem 6. November Schröder wieder.

Am nächsten Tag wurden die Fensterläden wieder geschlossen. Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye bezeichnete Rumsfelds Hinweis als »missverständliche Äußerung«, Schröder sprach von »Irritationen«. Rumsfeld selbst erklärte, die USA hätten »einige zuvor diskutierte Fähigkeiten« angefordert, dabei aber keine konkrete Zahl an Soldaten genannt.

Also alles nur Missverständnisse bei einem derart heiklen Thema? Die ganze Debatte um diese »Interpretationen« sei »extrapoliert« worden, sagte die Sprecherin des Auswärtigen Amtes, Sabine Sparwasser, gegenüber Jungle World. Es habe diese Anfrage gegeben, sie habe sich jedoch nicht auf eine bestimmte Zahl bezogen. Dies sei inzwischen klargestellt. »Amerika hat besonders Deutschland darum gebeten, Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen«, so Sparwasser.

Vielleicht hat sich aber auch Deutschland besonders vorgedrängt. Der Spiegel berichtet in seiner jüngsten Ausgabe, am Montag vor einer Woche seien insgesamt drei Briefe aus der US-Botschaft im Kanzleramt eingegangen. Im ersten Schreiben habe der US-Gesandte Terry Snell eine Einheit deutscher Spezialkräfte bestellt. Der außen- und sicherheitspolitische Berater des Kanzlers, Michael Steiner, habe die USA dann gebeten, lieber gleich ein ganzes Paket an Forderungen zu stellen - »aus Rücksicht auf die deutsche Innenpolitik«. Selbst das zweite Schreiben, mit dem Wunsch nach Spürpanzern und Sanitätern, habe der deutschen Seite nicht ausgereicht. Stete Nachforderungen könne Schröder dem deutschen Parlament nicht vermitteln, lautete die Argumentation. Erst der dritte Brief enthielt dann die »ersehnte Liste«, so der Spiegel.

Aber wie immer es auch gelaufen sein mag, in der Koalition stößt der bevorstehende Bundeswehreinsatz auf nicht zu vernachlässigenden Widerstand. Sofort nach Schröders Bekanntgabe erhoben sich kritische Stimmen, und bald war abzusehen, dass bei der Bundestagsabstimmung, die für den morgigen Donnerstag angesetzt ist, Rot-Grün keine eigene Mehrheit erreichen könnte.

In der SPD meldeten sich die schon aus der Debatte um den Mazedonien-Einsatz bekannten Abweichler zu Wort. Der Fraktionsvorsitzende Peter Struck, der diese Kritiker damals äußerst barsch abgekanzelt hatte, musste nun »eindeutigen« Gesprächsbedarf einräumen. Bei den Grünen waren es einmal mehr Abgeordnete um Hans Christian Ströbele, die ihr Nein zum Einsatz signalisierten. Ströbele fragte auf der Berliner Delegiertenkonferenz der Grünen am vergangenen Freitag: »Was müssen wir noch für Meldungen aus Afghanistan hören? Wie viel noch über zivile Opfer, damit wir Grünen, die Partei der Pazifisten, endlich dagegen sind?«

Doch nicht nur die so genannte Parteilinke rebellierte. Auch weniger widerspenstige Kollegen wie etwa der grüne Rechtsexperte Volker Beck sind auf Antikriegskurs. Die Vizepräsidentin des Bundestags Antje Vollmer sagte, sie wünsche sich eine »möglichst große Zahl von Grünen-Abgeordneten«, die gegen den Einsatz votierten und bekannte, sie habe nur noch »begrenztes Vertrauen« zu Schröder. Von der Realpolitik zur Attacke auf den Kanzler: Das war starker Tobak.

Dabei hatte Außenminister Joseph Fischer bei einer Sondersitzung der Bundestagsfraktion der Grünen am 7. November mit seinem Rücktritt gedroht, falls seine Fraktion dem Einsatz nicht zustimme. Doch dieses schreckt die grünen KriegsgegnerInnen nicht mehr. Sogar ein Austritt aus der Koalition wurde offen diskutiert. Bis zu einem Drittel der grünen Abgeordneten wollen ihre Zustimmung verweigern. Mehrere Landesverbände verabschiedeten Resolutionen gegen einen deutschen Militäreinsatz, bei vielen Kreisverbänden gibt es Forderungen, die Zahlungen an die Partei einzustellen. So sehen Proteste innerhalb einer ehemaligen Protestpartei aus.

Daran änderten auch die Reden von Fischer und Schröder am 8. November im Bundestag zunächst nichts. Fischer stellte noch einmal klar: »Nicht Amerika hat angegriffen. Es ist Amerika, es ist das amerikanische Volk, das angegriffen wurde, und zwar nicht zum ersten Mal.« Er nannte bin Laden und sein Netzwerk al-Qaida »eine Gefahr für den Weltfrieden« und betonte: »Niemand, meine Damen und Herren, führt Krieg gegen Afghanistan.« Zu Beginn des Kosovo-Krieges hatte der Bundeskanzler ebenfalls behauptet, man führe keinen Krieg. Mit den bekannten Folgen.

Auch Schröder versuchte in seiner Regierungserklärung, die KritikerInnen seines Kriegskurses zu besänftigen: »Es geht weder um die deutsche Beteiligung an Luftangriffen noch um die Bereitstellung von Kampftruppen am Boden.« Roland Claus (PDS) konterte später in der Debatte: »Wie kann es sein, dass Sie Spürpanzer einsetzen, aber keine Bodentruppen? Können Panzer fliegen?«

Schröder kam auch auf die deutschen Interessen in diesem zweiten deutschen Kampfeinsatz unter Rot-Grün zu sprechen: »Der Beitrag, den wir leisten wollen, ist auch Ausdruck unserer Bereitschaft, der gewachsenen Verantwortung in der Welt durch konkretes Handeln Rechnung zu tragen.« Da war sie wieder, die »gewachsene Verantwortung«, von der niemand so recht sagen will, woher sie eigentlich kommt. Auch Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping bestätigte in seiner Rede, dass es bei dem militärischen Beitrag Deutschlands nicht nur um den Kampf gegen den Terrorismus gehe, sondern auch um »die Rolle der Bundesrepublik Deutschland in einer sich entwickelnden multilateralen Verantwortungspolitik innerhalb der Nato und der Europäischen Union«. Wie das Gerede von der »gewachsenen Verantwortung« ist auch der Begriff des »Multilateralismus« nichts anderes als eine euphemistische Umschreibung für deutsche Weltmachtansprüche.

Angesichts dieser zusätzlichen Ziele des Einsatzes war es nicht verwunderlich, dass die Opposition auf der rechten Seite des Parlaments Zustimmung signalisierte. Sowohl CDU/CSU als auch die FDP begrüßten den deutschen Beitrag. Auch wenn Wolfgang Schäuble (CDU) gegenüber der taz die Begründungen für das militärische Engagement der Bundesregierung kritisierte. Er halte gar nichts davon, »dass wir uns nur aus Gründen der Solidarität mit den USA beteiligen müssen oder damit wir künftig eine andere Stellung in der Welt haben«. Schäuble will nur dann deutsche Soldaten losschicken, wenn »unsere Sicherheit so bedroht ist, dass dieser Einsatz notwendig ist«.

Aber weniger aus solchen Überlegungen heraus forderte die CDU, den Beschluss zur Bereitstellung auf sechs Monate zu begrenzen. Dahinter steckt eher das Kalkül, dass eine Diskussion um eine Verlängerung des Mandats kurz vor der Bundestagswahl im nächsten Jahr der Regierung nur schaden könnte.

Denn am Wochenende zeichnete sich bereits ab, dass die Koalition auch dann weitermachen will, wenn sie ihre Mehrheit im Bundestag verfehlt. Joseph Fischer könnte so Außenminister bleiben, und das Ende der Grünen wäre noch einmal verschoben. Schröder regiert sowieso weiter, egal in welcher Koalition, und der deutsche Einfluss bei einer Lösung für die Nach-Taliban-Ära in Afghanistan ist sichergestellt.