Eine Bilanz der Aussteigerprogramme für Neonazis

Ausstieg rechts

Seit dem Frühjahr 2001 können Neonazis bequem die Szene verlassen. Oder auch nur so tun, als ob. Eine Bilanz

Das Aussteigerprogramm Nordrhein-Westfalens sei »erfolgreich angelaufen«, lautete die Nachricht, die Innenminister Fritz Behrens (SPD) im November verbreitete. Schon mehr als 25 Personen seien in das Landesprogramm aufgenommen worden, acht von ihnen hätten eine Ausstiegserklärung unterschrieben. Ob es sich dabei um Mitläufer, ehemalige Kader oder Naziskinsheads handelt, mochte der Minister allerdings nicht sagen.

Trotz einer signifikanten Häufung rechtsextremistischer Straftaten in der ersten Jahreshälfte 2001 in seinem Land verbreitete Behrens weiter Optimismus: »Mit dem Aussteigerprogramm gehen wir die rechtsextremistische Szene von innen her an. So bieten wir auch solchen Mitgliedern der rechtsextremistischen Szene einen Ansprechpartner, die bisher den Kontakt zu Polizei und Verfassungsschutz gescheut haben.« Im Angebot seien Gespräche mit Familienangehörigen, Arbeitgebern, Staatsanwaltschaften und Bewährungshelfern sowie die Vermittlung von Alkohol- und Drogentherapien, Hilfe bei der Arbeitssuche, Entschuldungsprogramme und Hilfe bei Behördengängen.

Schon im Oktober hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz erwartungsgemäß eine erfolgreiche Bilanz für die ersten sechs Monate des Aussteigerprogramms gezogen. Seit Mitte April 2001 hätten sich bei der Telefon-Hotline in Köln 720 Anrufer gemeldet, darunter etwa 150 ernsthafte Ausstiegskandidaten. Intensive Gespräche seien bislang mit 70 ausstiegswilligen Rechtsextremisten, vorwiegend 18- bis 30jährige Männer, geführt worden. Einige von ihnen hätten die rechte Szene bereits verlassen, erklärte das Bundesamt.

Von dem ursprünglich formulierten Ziel der »Verunsicherung der Szene« und dem Fokus auf »Führungspersonen der Neonazis« ist allerdings nicht mehr die Rede. Denn unter den Kandidaten sind nur wenige ehemalige Kader aus den alten Bundesländern, die sich längst aus der aktiven Neonaziszene zurückgezogen haben, und nun offenbar mit dem Segen der Behörden ihre Zukunft so sorgenfrei wie möglich gestalten wollen.

Lediglich aus Baden-Württemberg, das zu den ersten Bundesländern mit einem Aussteigerprojekt gehörte, kommen gedämpftere Töne. Bei 70 von etwa 750 jungen Menschen mit »rechtsextremistischem Potenzial« sei der Ausstieg »in Sicht«, behauptete zwar Landesinnenminister Thomas Schäuble im August 2001. Der zuständige Projektleiter beim LKA, Karl-Heinz Ortenreiter, berichtete der dpa allerdings, es sei »ganz schön schwierig, überhaupt Akzeptanz für das Programm aufzubauen«.

Zudem erweise sich die Arbeit für das Programm als sehr langwierig. So werde »schon ein hoher Rechercheaufwand benötigt, um überhaupt herauszufinden, wen wir ansprechen wollen und wen nicht«. Hinter dem vorsichtig formulierten Satz verbirgt sich offenbar die Erfahrung, dass eine Reihe von Interessenten vor allem auf die materiellen Angebote scharf ist oder auf ein mildes Urteil in laufenden Strafverfahren spekuliert.

Beispiele hierfür gibt es aus allen Bundesländern. So berichtete das Antifaschistische Infoblatt im Herbst 2001 von einem Berufungsverfahren gegen den Luckenwalder Rechtsextremisten Alexander Tomczyk, der einer Verurteilung wegen schweren Landfriedensbruchs entgehen wollte, indem er vor Gericht seinen Ausstieg behauptete, während ihm von den Zuschauerbänken Aktivisten aus dem Umfeld der Kameradschaft Germania aufmunternd zunickten.

Anlass zum Misstrauen gibt es genug, vor allem wegen entscheidender Details, die kaum an die Öffentlichkeit dringen. So haben bislang weder das Bundesamt noch die einzelnen Landesämter einen Kriterienkatalog vorgelegt, anhand dessen die »Ausstiegskandidaten« überprüft werden. Stattdessen scheint sich die Befürchtung unabhängiger AntifaschistInnen zu bestätigen, es gehe insbesondere dem Bundesamt nur um die Rekrutierung neuer Informanten. Denn auf eine parlamentarische Anfrage der PDS-Bundestagsfraktion nach dem Verlauf des Aussteigerprogramms in Thüringen erklärte die Bundesregierung schon im Juni des letzten Jahres, man sehe in der Führung von V-Leuten und den Absichten des Austeigerprogramms keinen Widerspruch.

Kaum mehr als ein Kopfschütteln ruft es deshalb hervor, dass einige der mithilfe der Medien inszenierten Ausstiege sich nach einigen Monaten vor allem als Effekthascherei erwiesen. So berichtete der Blick nach Rechts im November von einem Prozess vor dem Amtsgericht Ludwigshafen gegen den 25jährigen Anti-Antifa-Aktivisten Stefan Michael Bar, den Herausgeber der Neonazipostille Reichsruf.

Er hatte im Sommer 2001 im ZDF-Magazin »Frontal 21« seinen Ausstieg aus militanten Neonazikreisen verkündet, um wenig später bei einem NPD-Aufmarsch in Mannheim dadurch aufzufallen, dass er GegendemonstrantInnen und JournalistInnen filmte. Selbst die Staatsanwaltschaft kam nicht umhin, den Fernsehbericht als eine »Inszenierung« zu bezeichnen.

Auch in der Neonaziszene hat sich die erste Aufregung um die Programme gelegt. Verunsichert wird man hier allenfalls von V-Mann-Affären wie in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen. Ansonsten wird offensichtlich davon ausgegangen, dass »Wackelkandidaten« früher oder später schon den Weg zurück in den Schoß der örtlichen Szene finden.

Tatsächlich ist der Anreiz zum Ausstieg gerade aus den regionalen und kommunalen Kameradschaften besonders in den neuen Bundesländern gering. Die »Belohnungsstrategie« der staatlichen Programme negiere, dass die meisten Neonazis dort weder »arbeitslos noch wohnungslos noch sozial desintegriert« sind, kritisiert das Antifaschistische Infoblatt. Es gebe im Osten schlicht keinen Anreiz, Gruppen zu verlassen, die einen Rückhalt bieten. Darüber hinaus werde schlicht ignoriert, dass zu einem Ausstieg ein wirklicher Bruch mit der Neonaziszene gehöre, der aus eigenem Antrieb vollzogen werden müsse.