Die Spitzelaffäre sorgt in der Neonazi-Szene für Unruhe

Der Feind macht mit

Die Spitzelaffäre sorgt in der Neonazi-Szene für Unruhe.

Auch an mich sind sie schon früh herangetreten, mit ihnen zusammenzuarbeiten, und ich habe diese Dinge eindeutig abgelehnt. Und wenn andere das nicht getan haben und auch noch Geld dafür genommen haben, dann betrachte ich die ganz einfach als Verräter.« Ganz so einfach, wie es der NPD-Vorsitzende Udo Voigt auf der Pressekonferenz zur V-Mann-Affäre darstellte, ist es jedoch nicht. Die Parteispitze gibt sich zwar entrüstet und die Ausschlussverfahren gegen die in der vorletzten Woche aufgeflogenen V-Männer Wolfgang Frenz und Udo Holtmann laufen bereits.

Frenz' Tätigkeit sei der NPD-Spitze schon seit Jahren bekannt gewesen, gab der ehemalige Spitzel in der vorigen Woche im TV-Magazin »Report Mainz« zu. Wie so manche Nazifunktionäre, die in Diensten des VS stehen, will auch Frenz seine Vergütungen an die Bewegung weitergegeben haben. »Das Motiv war eigentlich in erster Linie, der NPD zu helfen und unter anderem auch zu gucken, wo überhaupt die Richtung der Ermittlungen bzw. der Ausforschungen der NPD hinlaufen sollten.«

Frenz' Karriere in der NPD ist zwar beendet. In Neonazikreisen fragt man sich aber, wie viele V-Männer es noch sein mögen, die mehr oder weniger wichtige Positionen bekleiden. »Es muss noch andere, viel bedeutendere und vor allem aktive Spitzel in der NPD geben«, vermutet das Aktionsbüro Norddeutschland. Und die nordrhein-westfälischen Freien Kameradschaften sind wütend darüber, dass die NPD seit 1997 wissentlich den V-Mann Udo Holtmann den dortigen Landesverband leiten ließ. Das so genannte Widerstandsbüro West erklärte, dass der Aufmarsch gegen die Wehrmachtsausstellung am vergangenen Samstag in Bielefeld die letzte Aktion gewesen sei, bei der die NPD auf die Unterstützung der Kameraden zählen konnte. Weil »der Parteivorstand der NPD alle unwissenden Mitglieder des Landesverbandes NRW und jeden Aktivisten, der sonst in irgendeiner Form mit Udo Holtmann zusammengearbeitet hat, in ein offenes Messer« laufen ließ, soll es künftig keine Zusammenarbeit mit hochrangigen Parteifunktionären, »den Verrätern und ihren Helfern«, mehr geben.

Dabei hatte die Affäre so günstig für die NPD begonnen. Die von Horst Mahler verbreiteten Verschwörungsthesen stießen auf breite Akzeptanz in der Naziszene. Der NPD-Anwalt behauptete, die Enttarnung von Wofgang Frenz sei von »interessierten Kreisen« lanciert worden, um das Verbotsverfahren gegen die Partei noch rechtzeitig zu stoppen. Eigentlich wollte die NPD selbst die »Bombe« mit den V-Männern in der mündlichen Verhandlung platzen lassen, um den Prozess zu ihren Gunsten zu entscheiden.

Doch nicht nur die NPD verbreitet Verschwörungsthesen. Auch andere Akteure der Naziszene, die ihr Schmuddelimage als Schläger und Brandstifter ablegen wollen, versuchen nun mit dem Verweis auf die aktuelle V-Mann-Affäre, alle rechtsextremen Straftaten den Geheimdiensten in die Schuhe zu schieben. Sehr beliebt in allen Organisationen von der DVU bis zur Nationalen Jugend Jena sind Aufzählungen von V-Leuten, die bisher wegen rechtsextremer Straftaten belangt wurden.

Dass es sich in den meisten Fällen eben nicht um eingeschleuste »agents provocateurs« handelt, die die Naziszene diskreditieren sollen, sondern um überzeugte Neonazis, die sich einfach gern für ihre Aktivitäten bezahlen lassen, wird dabei jedoch unterschlagen. So schreibt ein Teilnehmer des Forums von Signal-Online: »Sammelt sich ein nationales Grüppchen, siehe NPD, schon wird jemand bis in den Vorstand eingeschleust, der mit törichten Äußerungen eben gegen jene Gesetze verstößt ...«

Ähnlich argumentiert auch Manfred Rouhs, der Herausgeber der Zeitschrift Signal (ehemals Europa Vorn). Nachdem die ehemaligen JN- und NPD-Funktionäre Thorsten Crämer und Nico Wedding, die an einem Angriff auf eine Feier in der KZ-Gedenkstätte Kemna beteiligt waren, ebenfalls als informelle Mitarbeiter des VS benannt wurden, schlussfolgerte Rouhs, dass der Verfassungsschutz die Gedenkstätte überfallen habe. Der Staat schrecke offensichtlich vor keiner Schandtat zurück, um »Hass gegen Rechts zu schüren«.

Rouhs' Kommentar verharmlost nicht nur Nazi-Aktivitäten, sondern verdeutlicht zugleich die Furcht der Szene vor weiteren möglichen Spitzeln in ihren Reihen. So ist es wohl kaum ein Zufall, dass in dem Text das Wort »Kemna« in fast jedem zweiten Satz auftaucht, sondern eine beabsichtigte Doppeldeutigkeit. Denn Erwin Kemna, der Bundesschatzmeister der NPD, stand nicht nur früher bereits unter dem Verdacht, für den VS zu arbeiten, sondern wurde auch jetzt in Presseberichten immer wieder als möglicher Spitzel genannt.

Zwar hat der NPD-Bundesvorstand Kemna sowie Holger Apfel und Doris Zutt, die ebenfalls verdächtigt wurden, als Spitzel zu arbeiten, das volle Vertrauen ausgesprochen. Und Kemna hat rechtliche Schritte gegen den Tagesspiegel sowie gegen den CDU-Politiker Wolfgang Bosbach angekündigt; beide hatten ihn als VS-Mitarbeiter bezeichnet. Dennoch bleiben in der Szene Zweifel bestehen. So heißt es etwa auf der Webseite stoertebeker.net, dass es nicht das erste Mal sei, »dass sich ein führender NPD-Funktionär (Udo Voigt; A.L.) schützend vor einen Parteigenossen stellt, der sich dann letztlich doch als faules Ei entpuppt«.

Die NPD versucht indes, den Gerüchten mit Drohungen beizukommen. Sie beschwört den Zusammenhalt und kündigt Parteiverfahren gegen jene Mitglieder an, die weiterhin ihren Verdacht gegen Kader öffentlich äußern. Der stellvertretende Landesvorsitzende der Partei in Mecklenburg-Vorpommern, Maik Spiegelmacher, verklagte bereits stoertebeker.net wegen übler Nachrede gegen Kemna.

Doch dies dürfte nicht viel nützen. Es werden mit Sicherheit noch weitere Namen von Nazi-Kadern im Zusammenhang mit dem Verfassungsschutz auftauchen. Derzeit kursieren in der Szene Verhaltensmaßregeln, sich doch bitte nicht mit dem VS abzugeben und auch nicht zu versuchen, diesen wiederum aushorchen zu wollen. Die V-Mann-Affäre hat mit Sicherheit eines verstärkt: die Paranoia. Frei nach dem Forumsteilnemer »Wilhelm3«: »Der Feind hört mit!«