Ganz oder gar nicht

Immer die Teutonen

In seiner spezifischen Form der Krisenbewältigung unterscheidet sich der deutsche Sonderweg vom kapitalistischen Mainstream.

Die heutige Linke vertritt mit am entschiedensten die These von der »Stunde Null«, dem Zeitpunkt, da der deutsche Sonderweg endgültig in den Mainstream des Kapitalismus eingemündet und alle Macht in der Führung der USA identisch geworden sei, die Geburtsstunde also der berühmten »Globalisierung«. Den »Weltpolizisten« als Bollwerk des Guten zu verklären, wird jedem unterstellt, der weiterhin auch nur zwischen den USA und Deutschland differenzieren möchte.

Was aber hat eine solche Unterscheidung mit Verklärung zu tun, wenn sie weiß, dass es jene ohne dieses gar nicht geben kann und vice versa; dass beide - wie sehr sie sich auch unterscheiden - einander bedingen und also hier ein reales Gleichgewicht des Schreckens sich entpuppt, in dem es aber ganz und gar nicht gleichgültig ist, auf welche Seite einer sich stellt. Es kommt mit anderen Worten darauf an, die Identität von Identität und Nichtidentität im Verhältnis der beiden Mächte zu erfassen, um sich darüber Klarheit zu verschaffen, wie die Funktionen in der drohenden Bewältigung der Krise sich verteilen.

Demnach gibt es noch einen anderen Begriff von Krise als das, was Robert Kurz und die Zeitschrift Krisis als Markenzeichen eingetragen haben. Einen Begriff, der erst kenntlich macht, wovon das »Schwarzbuch Kapitalismus« nicht mehr als einen Exkurs übrig lässt: das ganze Ausmaß dessen, was die Deutschen geleistet haben und was sie sich darum jetzt leisten können.

Er macht es notwendig, noch einmal das alte gedankliche Ensemble der Kritischen Theorie zu vergegenwärtigen - jenseits ihrer an die Adresse der Nachkriegsdemokratie gerichteten Galanterien. Mit Walter Benjamin beginnend, der die Weltkriegsdeutschen als eine »blinde Masse« begreift - voll »tierischer Dumpfheit, aber ohne das dumpfe Wissen der Tiere« -, worin die Verschiedenheit individueller Ziele belanglos geworden sei »vor der Identität der bestimmenden Kräfte«; den »Gemeinschaftskräften« so untertan, »wie nur das Leben irgend eines primitiven exotischen Volks bestimmt sein kann von den Clangesetzen«.

Aber es sind eben keine Clangesetze. Darin folgt die Kritische Theorie dem Marxschen »Kapital«. Bei diesem hatte die Krise allerdings die Rechnung noch ohne den Staat gemacht. Nun aber ist es der Staatskapitalismus, der wie Max Horkheimer sagt, »die Krise für die Dauer des ewigen Deutschlands« hypostasiert. Die in dieser Bestimmung enthaltene Differenz zur Totalitarismustheorie wäre durchaus festzuhalten: Nur wer Deutschland so beim Namen nennt, hat das Recht, von Staatskapitalismus zu sprechen.

Wenn die Krise nach Marx darin besteht, die Einheit des Gegensatzes, der in der Ware steckt, gewaltsam geltend zu machen - mithin die Einheit des Gegensatzes von Produktion und Zirkulation, Mehrwerterzeugung und Mehrwertrealisierung -, dann hat der Nationalsozialismus die Krise in eben diesem Sinn hypostasiert. Er hat die Identität in der totalen Vernichtung - im Krieg für Deutschland und im Massenmord an den Juden - geltend gemacht.

Anders als der »Sozialismus in einem Lande« hat das »ewige Deutschland« darum eben kein Verfallsdatum. Es ist so endlos konzipiert wie der krisenhafte Charakter des Kapitals, dem es entsprungen ist; so kontinuierlich wie dessen Akkumulation, die es über die bisher größte Krise hinweg durch eine unfassbare Vernichtungsanstrengung vermittelt hat.

So erweist sich selbst der Gedanke, dass das Gesetz des Stärkeren das Wertgesetz abgelöst habe, wie ihn Wolfgang Pohrt im Anschluss an die Kritische Theorie auf den Punkt bringt, als ziemlich doppelbödig. Wäre es doch eine undialektische Betrachtungsweise, jene beiden »Gesetze« als einander ausschließende jeweils zu isolieren, wo die Krise gerade deren katastrophale Einheit und wechselseitige Bedingung erweist.

Die Frage, woraus der Stärkere seine Stärke bezieht, führt stets zurück zu jener Krise des Wertgesetzes, die sich durch das Gesetz des Stärkeren hindurch nur erneuert; und mit ihr der Wahn der Deutschen, endlich der Stärkere zu sein.