Die Linke und die Bundestagswahl

Stoppt Stoiber!

Ein bisschen Anti-Stoiber-Aktionismus würde nicht schaden.

Stell' dir vor, Stoiber will Kanzler werden, und die Linke zuckt mit den Schultern und sagt: »Mir doch egal!« Und dann erzählt sie dir, dass die Unterschiede zwischen Schröder und Stoiber so groß gar nicht sind und dass ja eigentlich das ganze neoliberale System abgeschafft gehört, dass sie dazu im Moment aber leider viel zu müde ist, und dann geht sie schlafen ...

Ist es das, was man unter einer radikalen Haltung zu verstehen hat? Ganz gelassen abwarten, was passiert, und mit allem nichts zu tun haben wollen, weil die Dinge eh nicht so laufen, wie man selbst gerne möchte? Es ist jedenfalls merkwürdig ruhig in dem Land, das Edmund Stoiber demnächst gerne regieren möchte. Die Linke nimmt's gelassen und verschenkt das Thema »Stoiber« an die Systemkritik. Also keine Stoppt-Stoiber-Kampagne weit und breit in Sicht.

Natürlich ist es völlig normal, wenn Leute keinen Nerv haben, sich mit Parteipolitik zu befassen und sich unterschiedliche Parteiprogramme durchzulesen, die von Steuergesetzgebung, Rentenreform und Familienpolitik handeln, sondern sich auf die vage Ahnung verlassen, dass überall ungefähr derselbe Mist drinsteht bzw. am Ende immer ungefähr derselbe Mist dabei 'rauskommt.

Allerdings sollte man solch ein stinknormales Desinteresse am Politbusiness nicht gleich als eine irgendwie schlaue oder linke Position ausgeben, dazu ist die Mir-doch-egal-Haltung einfach nicht exklusiv genug, sie gleicht der von Millionen anderen abgeklärten Politlethargikern und beruht nicht unbedingt auf messerscharfer Analyse und Kritik.

Dann vielleicht doch lieber gleich Reformist werden! Denn das Gute am Reformismus ist, dass er auch schon mal bereit ist, dass Schlimmste zu verhindern und sich nicht auf durch radikale Theoreme erzeugte Lähmungserscheinungen herausredet, wenn es drauf ankommt. Und aus linker Sicht müsste die innenpolitisch schlimmste Option in diesem Jahr nicht Rot-Grün unter Schröder, sondern eigentlich Edmund Stoiber heißen. Wenn Schröder die Katastrophe ist, ist Stoiber die Vollkatastrophe.

Aber die Aussicht, dass Stoiber, dessen aktuelle Wahlkampfstrategie darin besteht, ein ohnehin dürftiges Zuwanderungsgesetz zu blockieren, die künftige Regierung führt, scheint selbst die Linken nicht mehr sonderlich zu schrecken.

Dabei ging die Vorstellung, der ehemalige Gebirgsjäger und Warner vor einer durchrassten Gesellschaft, Edmund Stoiber, könne das Rennen um die Kanzlerkandidatur machen, vor einigen Monaten selbst vielen moderaten Christdemokraten noch entschieden zu weit. Stoibers schmutziger alter Mann, Innenminister Beckstein, galt bis zum 11. September als ein genauso antiquiertes Modell wie sein DDR-Pendant Erich Mielke. Und der Wirtschaftslobby grauste es bei dem Gedanken, dass eine auf Abschreckung und Abschottung zielende Migrationspolitik, wie sie die CSU immer gepredigt hat, zum Modell der Zukunft avancieren könnte. Dass ein Kanzler Stoiber nicht nur andere Prioritäten setzen wird, sondern für eine politische Trendwende steht, ähnlich der von Berlusconi in Italien eingeleiteten, haben diese Leute zumindest gesehen.

Was einem linken Politikverständnis, das immer aufs Ganze geht, irgendwann abhanden kommt, ist genau dieses Distinktionsvermögen, ohne das man sich den politischen Diskurs aber genauso gut schenken kann.

Aber genau der steht auf dem Spiel, wenn die politische Kritik lediglich die groben Ähnlichkeiten zu fassen kriegt, die feinen Unterschiede aber nicht. Ob eine Stoppt-Stoiber-Kampagne eine gute Idee ist und wie sie aussehen könnte, ist da eigentlich eine nachrangige Frage. Schaden könnte eine Prise Anti-Stoiber-Aktionismus allerdings nicht. Spätestens wenn Günter Grass mit Stoppt-Stoiber-Button auf die Straße ginge, käme eine Diskussion zustande, die den Laden ein bisschen aufmischen würde.