Serie rechtsextremer Angriffe im Nordosten

Tour de Mecklenburg

Seit Jahresbeginn häufen sich in Mecklenburg-Vorpommern antisemitische Anschläge und rechtsextreme Übergriffe.

Es liest sich wie ein Fortsetzungsroman. Oder wie das Deutsche Haus. In der Nacht zum 25. Februar haben unbekannte Rechtsextremisten die Gedenkstätte des KZ-Außenlagers Wöbbelin bei Ludwigslust zum wiederholten Mal geschändet. In dem früheren Außenlager des Hamburger Konzentrationslagers Neuengamme starben von Februar bis Mai 1945 über 1 000 Häftlinge. Insgesamt 6 000 Menschen waren von der SS dorthin verschleppt worden. Heute erinnert ein Relief aus Sandstein an die Toten.

Und genau auf dieses Mahnmal hatten es die Täter abgesehen. Mehreren Steinfiguren, die Häftlinge darstellen, schlugen sie die Köpfe und Arme ab, den porösen Sandstein des Mahnmals besprühten sie mit einem roten Hakenkreuz. An einer Stele hinterließen die Täter antisemitische Schmierereien sowie einen Schweinskopf.

Inzwischen liegen wieder frische Kränze an der Gedenkstätte. Doch die Schändungen in Wöbbelin waren an diesem 25. Februar kein Einzelfall. Auch auf dem jüdischen Friedhof im nahe gelegenen Boizenburg und an einem Mahnmal für die Opfer des Todesmarsches aus dem KZ Sachsenhausen in Raben Steinfeld wurden Schweinsköpfe hinterlassen. Der jüdische Friedhof in Boizenburg war bereits wenige Wochen zuvor Ziel einer rechtsextremen Aktion. Am 1. Februar hatten unbekannte Täter alle 31 Grabsteine des Friedhofs umgeworfen und einen gusseisernen Davidstern zersägt. Am gleichen Abend wurde auch ein weiterer Gedenkstein für die Häftlinge eines KZ-Außenlagers auf dem Elbberg bei Boizenburg zerstört. Bislang gibt es von Seiten der Sicherheitsbehörden keine Informationen über den Stand der Ermittlungen; lediglich eine Belohnung von 1 000 Euro für Hinweise auf die Täter wurde ausgelobt.

Landesrabbiner William Wolff, der gemeinsam mit Vertretern der Jüdischen Gemeinde in Mecklenburg-Vorpommern und des Landesverbandes der Gedenkstätten das Außenlager Wöbbelin in der vergangenen Woche besuchte, sagte anschließend, er hoffe, »dass die Welle der Schändungen nur vorübergehend« sei.

Doch was Wöbbelin angeht, das nur zehn Minuten Autofahrt von Ludwigslust entfernt liegt, dürfte sich diese Hoffnung wohl kaum erfüllen. Denn in den vergangenen zwei Jahren waren die Gedenkstätte und viele Mahnmale in der Umgebung immer wieder Ziele von rechtsextremen Angriffen gewesen. Im Frühsommer 2000 beispielsweise schändeten Rechtsextreme den Gedenkstein, der vor dem Schloss Ludwigslust an das Gräberfeld von 166 Toten des KZ Wöbbelin erinnert. Wenige Wochen zuvor war die Gedenkstätte selbst mehrfach mit antisemitischen Parolen beschmiert worden.

Gleichzeitig zu den antisemitischen Anschlägen der letzten Wochen stieg auch die Zahl rechtsextremer Übergriffe in der Region rings um Ludwigslust. Zum Beispiel in der Kleinstadt Crivitz. In dem Ort, der knapp 4 500 Einwohner zählt, hat eine rechte Kameradschaft über Monate hinweg unter anderem nichtdeutsche Schüler der Realschule und einen Arzt terrorisiert, der von einem halben Dutzend Skinheads auf offener Straße angepöbelt und ins Gesicht getreten wurde.

Einen vorläufigen Dämpfer erhielt die Neonaziszene in Crivitz erst nach einem Überfall auf eine Faschingsparty des örtlichen Gymnasiums Mitte Februar. Nach dem Angriff wurden vier Rechtsextreme festgenommen, drei 19 bis 21jährige kamen in Untersuchungshaft, darunter ein 20jähriger, der Anfang Januar an einem Überfall auf eine Wohnung beteiligt war und die Polizei bei seiner Festnahme nach Angaben der Staatsanwaltschaft mit »Sieg Heil« begrüßt haben soll. Dorfbewohner erzählten der Schweriner Volkszeitung, die ansonsten eher zurückhaltend über die rechte Hegemonie in den Kleinstädten Westmecklenburgs berichtet, dass die Skinheads Polizeibeamte schon öfter mit dem ausgestreckten Arm begrüßt hätten. Dass nun, mit der Festnahme der vier Schläger, die Ruhe in der Gegend wiederhergestellt sei, ist indes wenig glaubhaft.

Denn Crivitz ist nicht der einzige Ort in der Region, in dem sich zu Beginn der Frühjahrsjagdsaison der Glatzen die Situation zuspitzt. Sei es im nahe gelegenen Tramm, wo Flüchtlinge mangels ausreichender Busverbindungen oft kilometerweit zum Einkaufen durch die Wälder laufen müssen, oder in Boizenburg und Ludwigslust selbst. In der Kreisstadt hat der bundesweit bekannte Hamburger Neonazi Klaus Bärthel für den 11. Mai erneut einen Aufmarsch der Freien Kameradschaften angemeldet - als Reaktion auf die Neonazismus-Ausstellung der VVN/ BdA, die im Februar in Ludwigslust gezeigt wurde (Jungle World, 04/02).

Bärthel, der dort den neonazistischen Zentralversand betreibt und das Propagandablatt der Freien Kameradschaften, das Zentralorgan, herausgibt, ist auch in der Gedenkstätte Wöbbelin kein Unbekannter. Denn auf dem Gelände der Mahn- und Gedenkstätte befindet sich das Grabmal von Theodor Körner, dessen deutschnationale Dichtung auf Mitglieder von Traditionsvereinen und Rechtsextreme eine ungebrochene Anziehungskraft ausübt.

Gemeinsam mit jugendlichen Begleitern erschien Bärthel im August 2000 zu einer Theodor Körner-Gedenkfeier auf dem Gelände. Unter dem Transparent »Nationaler Widerstand 88 Ludwigslust« lief er bei diversen Neonaziaufmärschen in Mecklenburg-Vorpommern auf, oder er hetzte gegen das örtliche Jugendzentrum Zebef, dessen Verantwortliche seit einiger Zeit versuchen, der rechten Hegemonie entgegenzutreten. Bärthel ist nicht der einzige überregional aktive Neonazi, der sich in Westmecklenburg ein neues Aktionsfeld gesucht hat.

In Hagenow ist es Jürgen Witt aus dem Umfeld der neonazistischen Säuerländer Aktionsfront (SAF) gelungen, eine rund 20köpfige Gruppe von jugendlichen Rechtsextremisten um sich zu scharen. Und auch Boizenburg gerät seit zwei Jahren immer wieder in die Schlagzeilen; dort unterhält der neonazistische TTV-Versand ein Postfach, und die Neonazis Thomas Wulff und Michael Grewe betreiben einen Neonazitreffpunkt in einem Gutshaus im Flecken Amholz.