Debatte über den Imperialismus

Multitude aller Länder

Der Imperialismus hat sich nicht zugunsten eines homogenen »Empire« verabschiedet. Es gibt weiterhin konkurrierende Nationalstaaten.

Längst grassiert das Spezialistentum auch in der Linken. Dass der Philosoph Georg Lukács die Totalität als entscheidende Kategorie des Materialismus bestimmte, ist lange her. Mit der postmodernen Absage an »große Erzählungen« und der Hinwendung zu »Mikro-Politiken« wurde dem Verzicht auf die Kritik des Ganzen die höhere Weihe philosophischer Reflexion verliehen.

»Empire« von Antonio Negri und Michael Hardt bedient sich allerlei postmoderner Theoriebrocken und ist doch gleichzeitig einer der wenigen Versuche, aufs Ganze zu gehen und die Weltgesellschaft auf den Begriff zu bringen. Damit erfüllt das Buch offenbar ein weit verbreitetes Bedürfnis. Ein Bestseller in den USA, wurde es bereits vor dem Erscheinen der deutschen Übersetzung auch hierzulande als das Buch zur Zeit gehandelt. Der Philosoph Slavoj Zizek feiert es gar als »Kommunistisches Manifest für unsere Zeit«.

Ein etwas unhandliches Manifest ist es allerdings. Auf knapp 500 Seiten wird der Übergang vom Imperialismus zum Empire skizziert, der als Eintritt in die globale Postmoderne verstanden wird. Zweifelsohne gelingt dabei mancher Volltreffer. Der postkolonialen Theorie etwa wird auf wenigen Seiten attestiert, eine vergangene Epoche zu »dekonstruieren« und die Realität des globalen Kapitalverhältnisses, die kulturelle Hybridisierung, fälschlich als Programm für Subversion zu interpretieren.

Über weite Strecken jedoch liest sich »Empire« wie ein Reader's Digest kritischer Gesellschaftsanalysen der letzten Jahrzehnte. Demnach wurde die fordistische Großfabrik zerlegt und im globalen Raum verstreut; der Kolonialrassismus ist dem flexiblen Management kultureller Differenzen gewichen; nationale Wirtschaftsräume und ihre kolonialen Satelliten sind im totalen Weltmarkt aufgehoben, die Linie zwischen Zentrum und Peripherie mithin ist verwischt und der Nationalstaat geschwächt; der imperialistische Krieg wurde von der humanitären Intervention abgelöst, wobei gerade hier die Unterscheidung zwischen Legitimationsideologie und Wirklichkeit auffällig wenig reflektiert wird.

Die Schwächen von »Empire« liegen dort, wo es Neuland betritt. Der Begriff, der dem Buch den Namen gab, soll die politische Verfasstheit des schrankenlosen Weltmarkts bezeichnen. Das römische Imperium und die amerikanische Verfassung stehen Pate für eine politische Form, die durch Einschluss funktioniert und schließlich kein Außen mehr kennt. Im Widerspruch zum linken Antiamerikanismus wird der Imperialismus als vornehmlich europäische Angelegenheit begriffen, die auf der historischen Linie von der absolutistischen zur nationalstaatlichen Souveränität liegt. Mit der ist es nun, in der Postmoderne, vorbei: Ein Netzwerk der Herrschaft legt sich über den Globus.

In ihrer Skizze der veränderten weltweiten Machtverhältnisse treffen Negri/Hardt mitunter ins Schwarze, etwa wenn sie die Nichtregierungsorganisationen als Vorposten des Empire bezeichnen. Doch wie steht es mit ihrer These, Souveränität habe sich vom Nationalstaat gelöst? An der Spitze der globalen Herrschaftspyramide, die Negri und Hardt entwerfen, residiert zwar Amerika, doch es agiere vorzugsweise unter dem Dach der Uno. Hier geben gerade die Ereignisse seit dem 11. September den Autoren Unrecht. Die USA verfolgen einen strikten Unilateralismus, die Uno ist abgemeldet, und selbst in der Nato gibt es Reibereien. Mehr noch: Es sind die Europäer, die jene Züge an den Tag legen, die Negri/Hardt einem von innerimperialistischen Rangeleien gereinigten Empire unter US-amerikanischer Dominanz zuschreiben.

Gegen Amerika profiliert sich Europa als unparteiische Kraft des kulturellen Dialogs und des sozial-ökologischen Menschheitsinteresses. Amerika schickt die Bomber los, Deutschland arrangiert das Palaver der Warlords. Dieses Verhältnis ist nicht nur eines der Arbeitsteilung, sondern auch der Konkurrenz. Zwar steht die militärische Übermacht Amerikas einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den imperialen Blöcken bis auf weiteres entgegen; von einer Verlagerung der Souveränität auf transnationale Netzwerke kann aber keine Rede sein.

Der strategische Sinn des Empire-Konzepts erschließt sich beim Thema Produktion. Dem italienischen Operaismus, zu dessen wichtigsten Aktivisten und Theoretikern Negri in den sechziger und siebziger Jahren zählte, bleibt »Empire« mit dem Primat der Kämpfe verpflichtet. Wie der Widerstand der Sklaven den Übergang zum freien Arbeitsmarkt erzwang, so stürzten Fabrikkämpfe die fordistische Gestalt des Kapitals in die Krise, zwangen die Befreiungsbewegungen im Süden den Imperialismus zum Rückzug und unterminierte massenhafte Migration die Homogenität der Nation. Das Empire entpuppt sich als eine Station auf dem Weg der Befreiung des weltweiten Proletariats, das neuerdings »Multitude« heißt.

Das eigentliche Problem von »Empire« liegt darin, wie Kommunismus mittlerweile buchstabiert wird. Das Verdienst des Operaismus ist es, die traditionsmarxistische Apologie der Fabrik als Brückenkopf sozialistischer Rationalität inmitten der Anarchie des Marktes attackiert und den »Kampf gegen die Arbeit« propagiert zu haben. Bei Negri und Hardt verkehrt sich beides ins Gegenteil. Die gewachsene Bedeutung der Kommunikation in allen Bereichen der Produktion wird apologetisch als selbstbestimmte Kooperation der Multitude vorgestellt, die auf rätselhafte Weise im Jenseits des Kapitals munter vor sich hin produziert.

Dass die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit stellenweise durchlöchert ist, wird nicht nur zum Ende des Lohnregimes verabsolutiert, sondern als Befreiung gefeiert. Bio-Politik nennen Negri/Hardt das in fragwürdiger Anlehnung an Michel Foucault, der den Begriff allerdings kritisch als Bezeichnung der modernen, im Namen des Lebens auftretenden Macht gemeint hatte. Viel zu eindimensional nämlich hätten Marx und die kritische Theorie den Prozess der reellen Subsumtion gedacht, in dem das Kapital mehr und mehr den Arbeitsprozess und schließlich die ganze Gesellschaft durchdringt.

Negri/Hardt drehen den Spieß einfach um und machen daraus eine Eroberung der Produktion des gesamten Lebens durch die Multitude. Die vakante Stelle der Kritik der politischen Ökonomie nimmt nun eine Ontologie der Produktion ein: Leben, Wunsch, Liebe und Arbeit fließen in einem lebensphilosophischen Brei des Herzens zusammen, in dem das Kapital nicht vorkommt. Dieses nämlich wird folgerichtig als »Parasit« denunziert, der - und spätestens hier ist der Verweis auf strukturellen Antisemitismus mehr als ein Ritual - seinem Wirt die Lebenskräfte aussauge.

Dass mit diesem Manichäismus die seitenlangen Ausführungen in »Empire« über die »Kontrollgesellschaft« (Gilles Deleuze) vergessen sind, in der »Macht« diffus werde und in die Individuen einwandere, ist nur eine der vielen Ungereimtheiten des Buches. Verblüffend ist auch, wie Negri/ Hardt nach allem widersinnigen Gerede vom Fehlen jeglicher Vermittlung zwischen Empire und Multitude schließlich Existenzgeld und ein universales Bürgerschaftsrecht fordern. Wurde eben noch das Empire als Käseglocke über der eigentlich die Weltgesellschaft konstituierenden Multitude dargestellt, so wird diese nun auf niemand anderen als den Staat verwiesen, der Geld und Rechte gewähren soll.

Beides wird konformistisch als Anerkennung der Wirklichkeit eingeklagt, die bloß verhüllt wird. Weil die kommunikativ-kooperative Vernetzung der Multitude jegliches Wertmaß außer Kurs gesetzt habe - als hätte sich der Wert der Ware Arbeitskraft jemals an deren Leistung bemessen - steht jedem Produzenten ein garantiertes Einkommen zu; weil überall Migranten arbeiten, muss universale Bürgerschaft her. Mit dem Bekenntnis zum republikanischen Prinzip, das Arbeit und Bürgerschaft verknüpft, erweist sich die kommunistische Rhetorik als Zierat.

Als »Empire« zwischen dem Golf- und dem Kosovokrieg verfasst wurde, war die Antiglobalisierungsbewegung noch nicht in Sicht, die mittlerweile als konkrete Gestalt des vagen Begriffs der Multitude diskutiert wird. Vieles in »Empire« liest sich als hellsichtige Vorabkritik des ideologischen Sortiments der Gipfelstürmer. Negri/Hardt wenden sich gegen eine Verklärung des nationalen Sozialstaats und nationaler Befreiungsbewegungen, gegen den Antiamerikanismus und die regressive Sehnsucht nach dem authentischen Lokalen, das es ohnehin nicht mehr gibt.

Die von ihnen noch konstatierte Unverbundenheit jüngerer sozialer Kämpfe - Peking 1989, Los Angeles 1992, Frankreich 1995 - scheint mit der Bewegung gegen die Globalisierung aufgehoben. Doch das Unverbundene findet sich vornehmlich in reformistischen Forderungen an den Staat zusammen.Und gerade hier ermöglicht »Empire« keine Kritik der Bewegung, sondern unterfüttert die so kreuzbraven wie naiven Forderungen mit reaktionärem Produktivismus. Wollte man sich an der Bewegungspolitik beteiligen, verzichtete man schon immer auf Kritik, um den kleinsten gemeinsamen Nenner nicht zu gefährden. Dass in der monatlichen Jungle World-Beilage Subtropen die radikale Linke mittlerweile zum Mitmachen bei den Staatsfetischisten von Attac aufgefordert wird, passt ins Bild.

Eine ungekürzte Fassung des Artikels erschien in iz3w Nr. 260.