Horst Evers' »Die Welt ist nicht immer Freitag«

Viel zu tun im Bett

Horst Evers führt in die schillernde Welt des metropolitanen Herumgammelns.

Dass die Welt nicht immer Freitag ist, hatte man bislang, wenn schon nicht gewusst, so doch immerhin diffus geahnt. Die Welt ist hin und wieder auch mal Sonntag oder Mittwoch, was der Berliner daran erkennt, dass er an diesen Tagen Lesungen von Horst Evers besuchen kann.

Seit mehr als zehn Jahren beteiligt sich der gebürtige Evershorster, mit bürgerlichem Namen Gerd Winter, jeden Sonntag an »Dr. Seltsams Frühschoppen« in der Kalkscheune, jeden Mittwoch ist er gemeinsam mit Bov Bjerg und Manfred Maurenbrecher beim »Mittwochsfazit« in der Kunstfabrik Schlot zu sehen und zu hören - Veranstaltungen, deren stetig wachsende Popularität und anhaltend guter Ruf sich inzwischen bis zum Frankfurter Eichborn Verlag herumgesprochen haben. Dort sind nun Evers' beste Vortragsgeschichten der letzten fünf Jahre in einem Sammelband erschienen.

Evers' Erzähler ist der klassische Loser, der Nichtsnutz, der die Welt bevorzugt aus der Matratzenperspektive betrachtet, denn Aufstehen führt zu nichts als Unannehmlichkeiten: »Montagmorgen, 11 Uhr. Bin schon seit drei Stunden wach, sitze auf dem Sofa und starre auf meine Liste mit all den Sachen, die ich heute erledigen will. Bin extra um 8 Uhr aufgestanden, um mal alles fertigzukriegen, stattdessen sitze ich auf dem Sofa, starre auf die Liste, und denke nichts anderes als: 'Oh Gottegottegott, is das viel Zeugs, das kann man ja gar nicht schaffen, das schafft ja keiner, mannmannmann, du hast aber viel zu tun immer, und das wird auch nich weniger, jetzt biste schon seit 8 Uhr auffe Beine und is immernoch soviel zu tun, Jungejungejunge, wie früh sollste denn noch aufstehn?'«

Derart aufreibend und ereignisreich verstreichen des Helden Tage. Er ist lebenserfahren genug, um zu wissen, dass jedes verlockend klingende Angebot einen Haken hat. Und der heißt meistens Arbeit: »In letzter Zeit kommen ständig irgendwelche Millionenangebote von irgendwelchen Verlagen, Fernsehsendern oder Filmfirmen. Klingt aber besser, als es ist. Wenn man etwas genauer nachfragt, kriegt man nämlich ganz schnell raus, dass die dafür einen Sack voll Sachen geschrieben haben wollen, und auch sonst, dass man dafür ganz viel arbeitet. Na toll, den ganzen Tag schuften wie'n Tier. So kann ich auch Millionär werden. Nee, nich mit mir, da fall ich nich drauf rein. Erstmal.«

So kraucht er, ständig pleite und meist ziemlich orientierungslos, durch die Stadt, bis er endlich, erschöpft von der Mühsal bloßer Existenz, im Bus einschläft und dadurch die Endhaltestellen von Tegel-Ort bis Alt-Mariendorf bei Nacht kennenlernt: »Die Sache mit dem Heimweg wuchs sich langsam zu einem richtigen Problem aus. So konnte das nicht weitergehn ... Ich überlegte, was es mich kosten würde, an jeder Endhaltestelle des Berliner Nachtbusnetzes eine Wohnung anzumieten. Kam aber zu dem Schluss, dass die Kosten wohl so hoch wären, dass ich mir die BVG dann sicher nicht mehr leisten könnte. Mir blieb also nix, als es mit dem Heimweg immer und immer wieder zu versuchen. Irgendwann musste es doch mal klappen. Vorsichtshalber schrieb ich noch meine Adresse auf einen Zettel und hängte ihn mir um den Hals. Wenn das keine geniale Strategie war.«

War es nicht, denn als ihn der Schaffner, wieder zurück in Tegel, weckt, fehlen ihm Zettel sowie Haus- und Wohnungsschlüssel. Doch auch der Dieb, geschickt mit einem Telefonanruf zu Hause gestellt, wirkt nicht sehr glücklich: »'Hallo. Hier ist Horst Evers. Was machen Sie in meiner Wohnung?' - 'Ah, Sie sind dit. Gut, dasse anrufen. Mann, die Wohnung sieht ja vielleicht aus! Mein lieber Herr Gesangsverein. Da blickt ja kein Mensch durch. Wolln Se die nich mal aufräumen? (...) Sagen Sie, is in diesem ganzen Chaos überhaupt irjendwat von Wert?' - 'Nich dass ich wüsste, aber wenn Se was finden, ich wär bereit zu teilen.' - 'Na schönen Dank auch, da suchen Se man schön alleene, ick muss weiter!'«

Diese Humoresken könnten in jeder beliebigen Stadt spielen, und doch können sie nur in Berlin spielen. Sie vermitteln einen zutreffenderen Eindruck vom Zustand dieser Stadt als drei Dutzend wissenschaftliche Hauptstadtstudien. Die Invasion der Politprominenz und der jüngst implantierte Metropolenglamour bleiben wohl noch für lange Zeit fremd in einer Stadt, deren eigentliches Wesen viel mit Evers' Protagonisten gemeinsam hat. Der Dalles, der so zur Gewohnheit geworden ist, dass man sich ein Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen kann; die permanente Krise ohne Aussicht, jemals wieder soliden Boden unter den Füßen zu gewinnen; die ziellose Umtriebigkeit; das geschäftige Phlegma; das alles verschlingende Chaos, das zum Glück immer wieder über die geordnete Langeweile triumphiert; das ewige Verlierertum, das am Ende doch den Erfolg davon trägt über die smarten Parvenus; und vor allem die Fähigkeit, die eigene Unfähigkeit weich in Humor einzubetten - all das, was Berlin so sympathisch macht, macht auch die Geschichten von Horst Evers liebenswürdig.

Doch leider scheint Evers dem sanften Charme seiner stilleren Pointen nicht recht zu vertrauen, allzu gerne gibt er dem Komikaffen mit heillosen Übertreibungen Zucker. Was passiert, wenn man eine Hose beim Umzug und beim Renovieren und dann noch einmal acht Tage lang trägt? Je nun, sie wird wohl etwas müffeln. Ganz gewiss nicht geschieht folgendes: »Die U-Bahn ist total voll. Aber nach nur einer Station müssen auf einmal alle aussteigen, und ich hab den Waggon für mich allein. Beim Umsteigen kann ich irgendwelchen Passanten auf dem Bahnsteig insgesamt 50 Nasenklammern verkaufen.« Das ist natürlich Quatsch. Und wenn der Erzähler einmal eine »heiße Tasse Kaffee solange auf das äußere, wacklige Fensterbrett« stellt, dann wird seine Nachbarin eben nicht »völlig unerwartet von einem herabstürzenden Pott mit heißem Kaffee niedergeschlagen«, sondern überaus erwartungsgemäß.

Solche Slapstickeinlagen wirken im Buch zu dick, auch wenn ein Livepublikum sie bejubeln mag. Es sind nun einmal Vortragstexte, geschrieben für die Bühne und nur zwecks Zweitverwertung gedruckt. Am besten lässt man sie sich von Horst Evers persönlich vorlesen. Wurde bereits erwähnt, dass das in Berlin jeden Mittwoch und jeden Sonntag möglich ist? Ja? Na dann ist ja gut.

Horst Evers: Die Welt ist nicht immer Freitag, Eichborn, Frankfurt/M. 2002, 144 S., 12,95 Euro