Auf die Straße gegen Bush

Hilfe! Die USA machen gegen die Welt mobil.

Pfingsten 1987. Der Rauch der ersten Kreuzberger 1. Mai-Krawalle hat sich gerade verzogen. Während die ausgebrannte Ruine von Bolles Supermarkt noch von der kurzen Nacht der Anarchie zeugt, steht schon der nächste Polizei-Großeinsatz an. Ronald Reagan besucht Berlin, West-Berlin, Frontstadt. Während Reagan am Brandenburger Tor ausruft: »Mr. Gorbachev, tear down this wall!«, demonstrieren auf dem Kudamm rund 50 000 Menschen gegen den US-Präsidenten. Die Demonstration wird eingekesselt, Kreuzberg komplett abgeriegelt, die Polizei prügelt sich den 1. Mai-Frust von der Seele.

Pfingsten 2002. Die 1. Mai-Krawalle haben gerade ihre 15. Wiederkehr gefeiert, diesmal war statt Bolle Plus dran. Und pünktlich zum Jubiläum ist wieder ein US-Präsident in Berlin, Gesamt-Berlin, Bundeshauptstadt. Der heißt jetzt George W. Bush, ansonsten aber liegen die Unterschiede im Detail: Reagan hatte noch das »Reich des Bösen« im Visier. Bush hat sich die »Achse des Bösen« vorgenommen. Was Reagan das SDI war, ist Bush der Raketenabwehrschirm, mit dem er die USA unangreifbar machen und ihnen damit freie Hand verschaffen will. Wurden die gigantischen Rüstungsprogramme einstmals mit dem Kampf gegen den Kommunismus gerechtfertigt, heißt der Feind jetzt »internationaler Terrorismus«. Schon damals führten die USA schmutzige Kriege in Lateinamerika und Zentralasien bzw. ließen sie führen. Und die von den USA gestützten und geförderten Diktaturen hießen damals Chile und Südafrika und heute Saudi-Arabien.

Der wichtigste Unterschied zu den achtziger Jahren ist, dass die geopolitischen Interessen des State Department noch umfassender geworden sind und sich dank des inzwischen einzigartigen militärischen Potenzials nun besser durchsetzen lassen. Gibt es heute also weniger Grund, gegen einen US-Präsidenten zu demonstrieren als vor 15 Jahren?

Natürlich hat sich einiges verändert. Mit dem realexistierenden Sozialismus verschwand auch die reale Hoffnung auf eine bessere Welt. Einstmals progressive Befreiungsbewegungen, linke Regierungen und Parteien entledigten sich ihrer letzten sozialistischen Ideologiereste, übrig blieben Opportunisten, Populisten und Despoten. Ungleichheit, Hunger und Krieg haben zugenommen. Ohne realistische sozialistische Perspektive aber bleibt den wachsenden Elendsmassen dieser Welt als Ausweg nur noch der religiöse Wahn, der, nebenbei bemerkt, von den herrschenden Klassen besser zu handhaben ist.

Das Ende des Kalten Krieges hatte außerdem zur Folge, dass Deutschland wieder von der Leine gelassen wurde, und natürlich kann es für die Linke keine Option sein, dass Deutschland bzw. ein von Deutschen beherrschtes Europa nun so stark wird, dass es den USA bei den kommenden innerkapitalistischen Verteilungskämpfen Paroli bieten kann. Doch selbst wenn die FAZ, Fischer und diverse deutsche Friedensfreunde es gerne anders hätten: Deutschland bzw. Europa ist längst noch nicht so weit.

Und auch wenn die Gefahr nicht zu unterschätzen ist, die von Mächten ausgeht, die sich »einen Platz an der Sonne« erkämpfen wollen: Dreh- und Angelpunkt der kapitalistischen Weltordnung sind und bleiben die USA. Es ist keine Weltverschwörungstheorie, wenn man konstatiert, dass sie es sind, die - zusammen mit anderen - die ökonomische und damit auch die soziale Verfasstheit der Welt bestimmen. Wer angesichts der Attentate von New York und Washington in den USA plötzlich den einzig wahren Hüter von Demokratie und Menschenrechten halluziniert, der hat entweder seinen Verstand an der Garderobe abgegeben oder will noch rechtzeitig den Zug in die Neue Mitte erwischen.

Es gibt also weiterhin gute Gründe, gegen den obersten Repräsentanten dieser einzig verbliebenen Weltmacht zu demonstrieren - wenn man diesen Protest nicht zum Kampf für die Macht des eigenen Staates macht, sondern zum Kampf gegen die Macht an sich. Wer Angst hat, dass er dabei auch in die Gesellschaft eher unappetitlicher Figuren gerät, der sollte in Deutschland am besten gar nicht mehr auf die Straße gehen.