Sozialdemokraten diskutieren über die Globalisierung

SPD heißt jetzt Attac

Die Sozialdemokraten greifen an. Im Bundestagswahlkampf entdecken sie rechtzeitig die Globalisierung.

Gerhard Schröder hatte sich schnell eine Meinung gebildet. Die Globalisierungskritiker seien »Desperados, denen man nur mit Härte begegnen kann«. Außenminister Joseph Fischer äußerte sein »Entsetzen über den Vandalismus und die sinnlose Gewalt«. Er warnte vor »einer überkommenen linksradikalen Ideologie«. Das war im Sommer des vergangenen Jahres, und die Statements der beiden Politiker wurden angesichts der gewalttätigen Proteste gegen den EU-Gipfel in Göteborg und gegen das G 8-Treffen in Genua abgegeben. Seither hat sich einiges verändert.

Zwar ist Carlo Giuliani immer noch tot, und immer noch sitzen Leute, die an den besagten Protesten teilnahmen, im Gefängnis, doch die Grünen und die Sozialdemokraten haben begonnen, ihr Verhältnis zu der Bewegung zu entspannen. Den Anstoß dazu gab Daniel Cohn-Bendit, der schon im vorigen Jahr Fischer kritisiert und ihm vorgeworfen hatte, »die Wahrnehmung der Herrschenden« übernommen zu haben. Cohn-Bendit erkannte, dass »eine neue politische Generation heranwächst, und die Grünen merken es nicht«. Wenn man sich als Regierungspartei auch von den radikalen Kräften einer Bewegung zu distanzieren hat, so kann man sich dennoch positiv auf die reformistischen beziehen und ihre Inhalte aufgreifen. Die Guten ins Töpfchen, lautete seither das Motto der Grünen.

Bei den Sozialdemokraten hingegen kam es erst in der vorigen Woche zum globalisierungskritischen Coming-out. Zuvor war in dieser Hinsicht nicht viel geschehen, außer dass Oskar Lafontaine bei Attac eingetreten war und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul eine Studie zur so genannten Tobin-Steuer auf Spekulationsgewinne in Auftrag gegeben und sich vorsichtig für die Einführung dieser Steuer ausgesprochen hatte. Noch ein paar Einladungen an die eine oder andere NGO zu Kamingesprächen, und das war's.

In der vergangenen Woche aber ging's dann mal wieder richtig los bei den Sozialdemokraten. Den Anfang machte Bundespräsident Johannes Rau: Er hielt eine so genannte Berliner Rede. Es war seine dritte, und er eiferte einmal mehr seinem Vorgänger im Amt, Roman Herzog, nach, der in seiner »Ruck-Rede« 1997 die Deutschen aufgefordert hatte, für den Standort Deutschland endlich wieder in die Hände zu spucken.

Am Dienstag sprach dann Bundeskanzler Gerhard Schröder bei einer Wirtschaftstagung der SPD unter dem Motto »Globalisierung - Aufgabe nationaler Wirtschafts- und Finanzpolitik«, am Donnerstag folgte seine Regierungserklärung im Bundestag zum Thema. Das war ein bisschen viel Globalisierungskritik in einer Woche. Die Sozialdemokraten erweckten den Eindruck, die Spaßoffensive der FDP mit einem inhaltlichen Gegenschlag kontern zu wollen.

Viel zu lachen gab es bei der Rede von Bundespräsident Rau, die im gewohnten Kirchentagston gehalten war, nicht. Dabei waren die Anleihen bei Attac nicht zu überhören, etwa wenn er sagte: »Nein, die Globalisierung ist kein Naturereignis. Sie ist von Menschen gewollt und gemacht. Darum können Menschen sie auch verändern, gestalten und in gute Bahnen lenken.« Auf der Attac-Homepage heißt es prägnanter: »Globalisierung ist kein Schicksal - eine andere Welt ist möglich«.

Handfestes hatte Rau nicht zu bieten. Er beklagte die Kluft zwischen reichen und armen Ländern, den wachsenden Handel mit Wertpapieren und die Spekulation, räsonierte über die Tobin-Steuer, ohne sich festlegen zu wollen, und lobte die Globalisierungskritiker: »Diese Bewegung hat viel angestoßen, sie stellt richtige Fragen. Das gilt auch dann, wenn es bei Demonstrationen immer wieder zu Gewalt kommt«. Ein Bundespräsident, der gewaltbereiten Chaoten zugesteht, richtige Fragen gestellt zu haben - es ist Wahlkampf, jede Stimme zählt.

Rau forderte eine »Insolvenzordnung für Staaten«, eine »internationale Finanzmarktordnung«, überhaupt solle mal wieder Ordnung geschaffen werden, ein »Ordnungsrahmen« müsse her. Der Verbraucher solle auch weiterhin fair gehandelten Kaffee kaufen, und schließlich knüpfte Rau an seine erste Berliner Rede an, in der er vor den negativen Auswüchsen der multikulturellen Gesellschaft gewarnt hatte. Er beklagte, dass die Globalisierung »Entfremdungsgefühle« bei den Menschen erzeuge und »zum Verlust kultureller Vielfalt und kultureller Identität« führe.

»Wo erschließt uns die Globalisierung Zugang zu fremden Kulturen? Und wo führt sie zu einem undefinierbaren Einerlei der Lebensstile?«, fragte Rau und hatte auch schon eine Gegenstrategie parat: »Wir brauchen Heimat und Bodenhaftung«. Vor allem Europa sei gefordert: »Wir Europäer müssen unsere Vorstellungen einer sozialen und ökologisch verpflichteten Marktwirtschaft noch stärker als bisher einbringen.« Auch für das Problem, dass in den USA ein Manager im Jahr 1999 durchschnittlich 475 mal so viel verdiente wie ein Industriearbeiter, hatte Rau eine Lösung: »Wir sollten in Deutschland einen anderen Weg gehen.«

Damit hatte er die wichtigsten Elemente einer rechten Globalisierungskritik zusammengefasst: Kritik an der Spekulation und nicht an den Produktionsverhältnissen, in denen ursprünglich die soziale Ungleichheit entsteht; Bezug auf einen imaginären, vermeintlich sozialeren Kapitalismus in Europa im Vergleich zum barbarischen Kapitalismus in den USA; und gegen das Unbehagen vieler Menschen an den Verhältnissen empfahl er ganz im »Jargon der Eigentlichkeit« (Theodor W. Adorno) die Rückbesinnung auf die Heimat und die Verwurzelung.

So manchen Globalisierungskritikern sagte dieses Programm zu. Attac freute sich in einer Presseerklärung: »Berliner Rede von Bundespräsident Rau bestätigt unseren Weg«. Zwar sei Rau »nicht in allen Punkten« zuzustimmen, aber man werte es »als einen großen Erfolg, dass es über die Notwendigkeit, die neoliberale Globalisierung in ihre Schranken zu weisen, mittlerweile einen breiten gesellschaftlichen Konsens gibt«.

Attac-Sprecher Felix Kolb gab sich etwas angriffslustiger. Rau habe den »Markt verherrlicht« und »Geld als Instrument der Freiheit« glorifiziert. Aber insgesamt überwiege das »Gefühl, Rau hat was verstanden«. Kolb konnte zwar »nicht erkennen, wo die EU im Handel progressiver ist als die USA«, aber seine Organisation habe keine einheitliche Position in dieser Frage, ebenso wenig wie bei dem Problem der »kulturellen Globalisierung«. »Aber es stimmt schon: Vielfalt gleicht sich an.«

Dieses von Rau gut bestellte Feld durfte Schröder am vorigen Donnerstag dann in seiner Regierungserklärung noch einmal beackern. Er konnte durchaus mit Raus leeren Formeln mithalten, etwa wenn er sagte: »Ohne eine klare Agenda für globale Gerechtigkeit werden wir keine globale Sicherheit erreichen können«. Aber Schröder brachte auch neue Aspekte zur Sprache. So machte er die Globalisierung für den in Europa stärker werdenden Rechtsextremismus, wie zuletzt in Frankreich oder den Niederlanden, verantwortlich. Diese Sorge durfte man ihm abnehmen, sind doch in den vergangenen Jahren etliche sozialdemokratisch geführte Regierungen durch Mitte-Rechts-Bündnisse abgelöst worden.

Als Gegengift empfahl Schröder mal nicht den Rekurs auf die Heimat, sondern eine Politik der »Nachhaltigkeit«. Dieses beliebte Motiv aus den achtziger Jahren, das schon die Grünen auf ihrem Parteitag im März wieder für sich entdeckt hatten (Jungle World, 13/02), erlebte nun auch bei den Sozialdemokraten seine Wiedergeburt. Alles sollte »nachhaltig« sein: die Umweltpolitik sowieso, die Steuer- und die Familienpolitik, und sogar die Außenpolitik. Selbst das weltweite militärische Engagement Deutschlands wollte Schröder als Teil dieser »Nachhaltigkeitsstrategie« bewertet wissen, denn: »Es darf keine Tabuisierung des Militärischen geben.«

Damit aber war die sozialdemokratische Kritik an der Globalisierung endgültig auf den Punkt gekommen. Nun war zu erahnen, wie die Sozialdemokraten »der Globalisierung eine politische Richtung zu geben« gedenken, wie Schröder es versprach. Mit solch feiner Ironie und einem derartig globalisierten Humor kann nicht einmal die FDP aufwarten. Oskar Lafontaine aber dürfte sich erst mal einen fair gehandelten argentinischen Wein eingeschenkt haben.