Flüchtlinge sollen in Ostberliner Plattenbauten untergebracht werden

Neue Heimat gesucht

Die Sozialverwaltung will Flüchtlinge in den leer stehenden Plattenbauten der Berliner Ostbezirke unterbringen.

Die gute Nachricht: Nach den Plänen der Sozialverwaltung unter Senatorin Heidi Knake-Werner (PDS) werden Flüchtlinge in Zukunft in Wohnungen statt in Heimen untergebracht. Die schlechte Nachricht: Die vorgesehenen Wohnungen befinden sich in den leer stehenden Plattenbauten der Berliner Ostbezirke, die ohne ihre neue Bestimmung wohl in naher Zukunft abgerissen werden müssten.

Der Beschluss des Abgeordnetenhauses, Sammelunterkünfte in Heimen für Asylbewerber zu vermeiden, war noch unter der großen Koalition im vergangenen Jahr gefasst worden. Dabei schien die Initiative des PDS-Abgeordneten Marian Krüger für eine Unterbringung von Flüchtlingen in Wohnungen zunächst aussichtlos. Seine Argumente stießen vor allem bei den Koalitionären aus den Reihen der CDU auf taube Ohren.

Ende des Jahres 2000 aber wechselte der PDS-Politiker von der Innen- zur Haushaltspolitik. Nunmehr konnte er seine alte Forderung, Flüchtlingen die Anmietung von Wohnungen zu gestatten, unter dem Gesichtspunkt der Haushaltskonsolidierung neu einbringen. Denn neben den zahlreichen Nachteilen für ihre Bewohner haben Wohnheime auch noch den Nachteil für die öffentliche Hand, wesentlich teurer zu sein.

Somit fand Krügers Vorschlag, anders als im Innenausschuss, im Hauptausschuss plötzlich Zustimmung, sogar bei der CDU. SPD und PDS übernahmen das Vorhaben in ihre Koalitionsvereinbarung, wo es nun heißt: »Die Koalitionsparteien haben sich darüber verständigt, Leistungsempfangenden nach dem AsylbLG soweit wie möglich die Unterbringung in Wohnungen zu gewähren.«

Nur mit der Umsetzung haperte es bislang. Vermieter zeigen sich trotz des großen Wohnungsleerstandes oft nicht bereit, an Flüchtlinge zu vermieten. Und einige Sozialämter verweigern die Übernahme der Mietkosten und Kautionen für Wohnungen.

Nun aber will die Sozialverwaltung den Beschluss mit einer Vorlage für den Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses umsetzen, die ganz an die Strategie der Abschreckung von Flüchtlingen erinnert, wie sie unter der ehemaligen Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU) praktiziert wurde. In dem von Staatssekretärin Petra Leuschner (PDS) unterschriebenen Papier heißt es, abgesehen von besonderen Einzelfällen sei es nicht mit dem Asylbewerberleistungsgesetz zu vereinbaren, wenn Flüchtlinge selbständig Wohnungen anmieteten. Denn das sei keine Sachleistung, wie sie das Gesetz ausschließlich erlaube.

Eine Vermittlung von Flüchtlingen in einzelne Wohnungen im so genannten »geschützten Marktsegment« komme nicht in Frage, heißt es in der Parlamentsvorlage. Damit ist ein Programm gemeint, das dem Teil der deutschen Klientel des Sozialamts, der bei Vermietern auch nicht sonderlich beliebt ist - Sozialhilfeempfänger, Mietschuldner und ehemalige Strafgefangene -, dazu verhelfen soll, wieder an eine eigene Wohnung zu kommen. Das Sozialamt verbürgt sich dabei gegenüber dem Vermieter für die Mietzahlung. Weil das Programm auf »die soziale Integration der Klientel« und »dauerhaftes Wohnen« abziele, seien Flüchtlinge nicht die Zielgruppe.

Doch die Parlamentsvorlage liefert die Lösung des Problems: »Demgegenüber wäre die Anmietung einer Anzahl von Wohnungen innerhalb eines Wohnblockes und Einräumung eines Nutzungsrechtes durch Kostenübernahmeerklärungen der Sozialämter (...) eine Möglichkeit, die gesetzlich vorgeschriebenen Prinzipien der Gewährung von Sachleistungen sowie der Gemeinschaftsunterbringung umzusetzen.« Und weil preiswerte Häuserblocks nur in den Plattenbauten im Osten zu finden sind, sollen die Flüchtlinge nach Marzahn und Hohenschönhausen ziehen. In genau die Stadtbezirke, in denen gehäuft fremdenfeindliche Übergriffe stattfinden.

Petra Leuschner gab kürzlich bekannt, dass die Verhandlungen mit den landeseigenen Wohnungsunternehmen bereits weit gediehen seien und noch in diesem Quartal zum Abschluss gebracht werden könnten. Die Unternehmen hätten günstige Konditionen angeboten. Kein Wunder, werden sie doch auf diese Weise Wohnungen los, für die sich auf anderem Weg keine Mieter mehr finden würden.

Darüber hinaus ist die Mietzahlung gesichert, wenn nicht einzelne Mieter sich als Vertragspartner anbieten, sondern das Amt. Leuschner berichtete weiter, auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hätte nicht nur ihr Okay gegeben, sondern nehme an den Verhandlungen teil.

Gegenüber dem Berliner Flüchtlingsrat, dem sie ihre Vorstellungen in der vergangenen Woche darlegte, deutete Leuschner allerdings an, dass über die Tauglichkeit der Vorlage Uneinigkeit herrsche. Sie erklärte, über dieses Modellprojekt solle eine politische Entscheidung von Seiten des Senates getroffen werden, die unter Umständen »eine andere sein kann als die Rechtsauffassung der Verwaltung«. Dazu suche sie den »Rat von politischen Gremien überhaupt, auch den des Flüchtlingsrates«.

Dieser kritisierte das Papier scharf. »Wer aus dem Wohnheim in eine Wohnung ziehen will«, so Uschi Jeske vom Rat, »hat sich längst von dem Gedanken verabschiedet, nur mit Landsleuten unter einem Dach zu wohnen.« Er suche ein normales Leben, zu dem auch deutsche Nachbarn gehören. Und außerdem ziehe ein solches Projekt neue Probleme nach sich, zum Beispiel schlechtere Deutschkenntnisse bei den Kindern.

Die PDS-Bundestagsfraktion, der Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner noch vor wenigen Monaten angehörte - und mit der sie sich in der Vergangenheit gemeinsam gegen das Asylbewerberleistungsgesetz einsetzte -, legte ein Gegengutachten zu den Plänen der Sozialverwaltung vor. Darin wird die These widerlegt, es sei rechtswidrig, wenn Flüchtlinge selbständig Wohnungen anmieteten. Vielmehr liege es im politischen Ermessen einer Verwaltung, dies zuzulassen.

Noch sind die Verträge zwischen den Wohnungsunternehmen und der Sozialverwaltung nicht unterschrieben. Aber bislang deutet auch noch nichts darauf hin, dass sich die Berliner Flüchtlingspolitik unter der rot-roten Regierung wesentlich verändern wird. Nach wie vor erhalten Flüchtlinge keine ermäßigten BVG-Karten wie deutsche Sozialhilfeempfänger, haben Rundschreiben an die Sozialämter der Stadt mit der Aufforderung, das Asylbewerberleistungsgesetz rigide durchzusetzen, ihre Gültigkeit. Und nach den Erfahrungen des Flüchtlingsrates haben »Rückkehrberatungen« durch die Sozialverwaltung weiterhin vor allem den Zweck, Flüchtlinge unter Druck zu setzen. Mit der Drohung, den Anspruch auf Sozialhilfe zu verlieren, würden die Migranten dazu gebracht, alle Rechtsmittel zurückzunehmen.

Schließlich hat die Sozialverwaltung den Vertrag mit der Chipkartenfirma Sodexho nicht fristgemäß bis Ende Juni gekündigt, sondern um ein Jahr verlängert. Somit bleibt auch die Praxis bestehen, Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen Bargeld vorzuenthalten. Stattdessen müssen sie weiterhin ihren Bedarf an Lebensmitteln und anderen Gebrauchsgegenständen in ausgesuchten Geschäften decken, wo sie mit den Chipkarten die höheren Preise bezahlen müssen.

Leuschner begründete das Ausbleiben der Kündigung vor dem Flüchtlingsrat mit noch ausstehenden Absprachen mit dem Koalitionspartner: »Als PDS wollen wir Barleistungen für alle Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz durchsetzen. Doch dazu bedarf es einer politischen Entscheidung. Und dazu wollen wir die SPD mit im Boot haben.« Weil zwischen dem Ende der Koalitionsverhandlungen und dem Kündigungstermin lediglich eineinhalb Monate Zeit gewesen sei, hätten die Absprachen noch nicht stattfinden können.

Das sei ein schlechtes Argument, wurde ihr vom Flüchtlingsrat entgegengehalten. Vertragspartner der Firma Sodexho sei nicht der Senat, sondern lediglich die Sozialverwaltung. Zudem, so Georg Classen vom Flüchtlingsrat, sei die Chipkartenfirma vertragsbrüchig geworden. In einigen Bezirken unterhalte sie weniger Läden als vereinbart.

Dass die Sozialverwaltung ein paar kleine Verbesserungen im Chipkartensystem vorgenommen hat, ist nur ein geringer Trost. Der Vertrag kann nun erst zum Sommer 2003 gekündigt werden. Dass er dann ausläuft, sei allerdings so gut wie sicher, heißt es aus der Sozialverwaltung.