Rächer der Beherrschten

Möllemann versteht sich auf Demagogie. Seine Rollen haben Tradition. Er spielt den unbeugsamen Oppositionellen und beweist Nähe zum Volk.

Vor vielen Jahren sollte Jürgen Möllemann in der Aachener Hochschule einen Vortrag halten. Wir, die Linke Liste, wollten ihm diesen Auftritt vermasseln. Als Möllemann ans Rednerpult trat, erhob sich im Publikum unser Freund C.; erprobt im agitatorischen Straßentheater, war er mittels Zylinder, Zigarre und Frack zum dickbäuchigen »Kapitalisten« ausstaffiert. Bevor aber C. zu seiner Rede ansetzen konnte, in der er die unternehmerfreundliche und studentenfeindliche Politik der FDP zu würdigen gedachte, sprach ihn Möllemann, durch das Saalmikro lautstärkemäßig eindeutig im Vorteil, direkt an, etwa so: Ach, guten Tag mein Freund. Schön, Sie wiederzusehen. Und ans Auditorium gewandt: Der Kollege da oben verfolgt mich schon seit Wochen. Neulich in Bochum und Düsseldorf war er auch im Publikum. - Das war eine glatte Lüge, frei erfunden, doch die Zuhörerschaft brach in schallendes Gelächter aus. C. stand als Depp da und Möllemann hatte ein Heimspiel. Wir verbuchten die Veranstaltung als Anschauungsunterricht in Demagogie.

Während Möllemann seinerzeit für die Kohl-Genscher-Regierung unterwegs war, gibt er seit einigen Wochen eine andere Rolle. Bei seinen Angriffen auf den israelischen Premier Ariel Sharon und den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, spielt Möllemann die Figur des unbeugsamen Oppositionellen, der dem Mainstream widersteht und auch unliebsame Wahrheiten offen ausspricht. Etwa diese: »Die Bedeutung von Politikern wie Hildegard Hamm-Brücher oder Burkhard Hirsch liegt in der Vergangenheit, nicht in der Jetztzeit.« Diese Äußerung hat durchaus eine paradigmatische Bedeutung, denn die genannten und andere Veteranen der FDP wurden in den vergangenen Tagen verschiedentlich für ihre Kritik an Möllemann gelobt. In der Zeit etwa bescheinigte ihnen Josef Joffe, »nachgerade die Staatsräson dieses Landes hochzuhalten«. Ähnliches schrieb Stefan Reinecke in der taz.

Dass sich der FDP-Vizechef mit seiner antisemitischen Agitation wie der unangefochtene Führer einer breiten Volksbewegung aufführen kann, verdankt er einer speziellen politischen Konstellation. Rot-Grün will anhand der Nahostfrage die eigenen außen- und militärpolitischen Zuständigkeiten weiter ausdehnen. Deshalb überwiegt, trotz einiger antiisraelischer Akzente, hier eine Schiedsrichterrhetorik, die im Wesentlichen der bisherigen Staatsräson entspricht. Auch Edmund Stoiber enttäuscht all jene, die krachende Sprüche verlangen. Der Kanzlerkandidat bekennt sich staatsmännisch zur historischen Verantwortung und lehnt es ab, deutsche Truppen in die Krisenregion zu schicken. Stoiber und seine Berater glauben, dass die Chancen auf eine Kanzlerschaft nur zu wahren sind, wenn der in dieser Frage misstrauisch beäugte Kandidat auf reaktionäre Kraftmeiereien verzichtet.

Ganz besonders aber fiel zu Gunsten Möllemanns ins Gewicht, dass zu Israel jene Institution stumm blieb, die den Instinkten des deutschen Verfolgungswahns ansonsten täglich Zunder liefert. Man kann beinahe behaupten, dass Bild, den Prinzipien ihres Gründers Axel Springer folgend, bisher gegen die Israelfeindschaft der eigenen Leser anschreibt oder diese zumindest ignoriert.

Entsprechend treffsicher konnte Möllemann weiterhelfen, als eine Zuhörerin in der vergangenen Woche einen deutlichen Überhang an israelfreundlicher Berichterstattung in den deutschen Medien beklagte: »Sie müssen ja zum Beispiel nicht die Zeitungen lesen, die dieses Ungleichgewicht in ihrem Redaktionsstatut festgeschrieben haben.«

Neben den günstigen Rahmenbedingungen ist die breite Zustimmung zu Möllemanns antisemitischer Tournee auf zwei Qualitäten zurückzuführen. Die in verschiedenen Variationen formulierte Feststellung, der »intolerante, gehässige« bzw. »agressiv-arrogante« Ton Michel Friedmans sei geeignet, »antisemitische Ressentiments« zu schüren, knüpft zielsicher an das traditionelle Motiv vom »frechen Juden« an. In seinem Subtext behauptet dieses Motiv, man sei gegenüber den Juden nicht wachsam genug gewesen und deshalb nun mit ihrem Übermut konfrontiert. Ganz besonders eklig und populär ist die Scheinheiligkeit, mit der Möllemann die Voraussetzung seiner Warnung, den Antisemitismus, als Folge von Friedmans Verhalten bezeichnet.

Die zweite Qualität von Möllemanns Kampagne liegt in der Aktualisierung eines seit der Weimarer Zeit bekannten, aber immer noch überaus populären antidemokratischen bzw. antibürgerlichen Reflexes. Es geht um den »Volksbetrug«. Diese Vokabel zierte lange die Schlagzeilen und Spalten einschlägiger Nazi-Blätter wie der Nationalzeitung. Damit gemeint ist, dass etablierte Politiker und Parteien hinter dem Rücken der einfachen Leute und ohne Rücksicht auf deren Nöte nur die eigenen Interessen verwalten. Aktivisten wie Franz Schönhuber und Gerhard Frey haben viel Zeit ihres Lebens damit verbracht, den »Volksbetrug« anzuprangern, allerdings verbreiteten sie zu viel braunen Muff, um dabei wirklich erfolgreich zu sein.

Möllemann und seine Freunde hingegen inszenieren ihre antisemitische Party auf gut rechtspopulistische Art als Tabubruch. Dabei geht es nicht nur gegen die frechen Juden, sondern, antiautoritär und spontan aufgeputzt, auch gegen jene, die den Juden zuarbeiten. So kommt es, dass seit der letzten Woche ein korrupter Hanswurst eine Bewegung anführt, die in ihrer Kritik am politischen Establishment für eine echte Einheit von Mob und Führung kämpft. Und damit gegen »Volksbetrug«.

So warnte Möllemann die »politische Klasse« davor, die »Kluft zwischen sich und den Menschen in ihrem Volk immer größer« werden zu lassen. Und für Friedmans »Ablenkungsmanöver« gelte: »Die Menschen im ganzen Volk haben das längst durchschaut.« Dass er, Möllemann, absolut im Recht sei, werde ihm bei den »vielen persönlichen Begegnungen mit Menschen aus dem ganzen Volk in ganz Deutschland« immer wieder bestätigt.

Die Entfremdung zwischen dem Volk und seiner Vertretung wird auch in Möllemanns Umfeld nachdrücklich thematisiert. In seiner Begründung für einen Verzicht auf die FDP-Mitgliedschaft schrieb der NRW-Landtagsabgeordnete Jamal Karsli an Möllemann, die »politisch korrekte Klasse« verlange von jedem eine einseitige Parteinahme für Israel - »was das Volk denkt, kümmert sie nicht«. In dem Brief, den Möllemann auf einer Pressekonferenz vorlas, hieß es auch: »Die politisch korrekte Klasse demonstriert wiederholt ihre Macht darüber, was man in Deutschland wie öffentlich zu formulieren und wozu man zu schweigen hat.«

Während die antisemitische Randale, das vermeintlich Rebellische, in Möllemanns Kampagne eher die Wir-wolln-dass-was-passiert-Stimmungen bedient, hat die nachdrückliche Berufung auf den wahren Willen des Volkes damit zu tun, dass er für sein »Projekt 18« unbedingt auch den Anhang der Traditionsnazis ködern will. In einem Interview mit der taz bot er sich ausdrücklich allen an, »die ihren Protest früher an die Falschen verschwendet haben«.

Dass übrigens, wie viele vermuten, Parteichef Guido Westerwelle Möllemann stoppen wird, dürfte eine Illusion sein. Am vergangenen Freitag forderte der FDP-Kanzlerkandidat allen Ernstes eine breite Diskussion darüber, »was ein deutscher Politiker zu Israel sagen darf und was nicht«.

Im Internet-Forum der Liberalen ist diese Debatte schon im Gange. »Jeshua« schlägt dort vor: »Wir sollten uns nicht über die Selbstgerechtigkeit Israels wundern, sind sie doch Gottes auserwähltes Volk.«