»Hexenwahn« im Deutschen Historischen Museum

Verleumden und Strafen

Die Ausstellung »Hexenwahn« im Deutschen Historischen Museum in Berlin räumt mit populär gewordenen Irrtümern der Forschung auf.

Nicht im finsteren Mittelalter, sondern in der frühen Neuzeit brannten die Hexen auf Scheiterhaufen in ganz Europa. »Hexenwahn« ist der Titel einer Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin, die mit Legenden, Vorurteilen und Forschungsirrtümern aufräumen möchte und das Thema ausdrücklich nicht als sozialpsychologisches Kuriosum begreift.

Drei große Blöcke, betitelt »Beten«, »Läuten« und »Brennen«, schaffen Orientierung. Der Dreischritt ergab sich aus dem Spruch eines »Hexers«, der unter der Folter behauptet hatte, wenn ausreichend Gebete gesprochen, die Glocken geläutet und die Hexen verbrannt würden, könne das teuflische Übel gebannt werden. Ihren Schwerpunkt legt die Ausstellung auf die Bebilderung eines Horrorszenarios, das sich um 1500 auf der Grundlage eines von irrationalen Ängsten bestimmten Weltbildes entfalten konnte. Auf erklärende Texte wurde dagegen weitgehend verzichtet.

Die in Kooperation mit dem Musée d'Histoire de la Ville de Luxembourg entstandene Ausstellung verweist zugleich auf den Boom, den der Okkultismus in der Gegenwart erlebt, etwa beim New Age, in der Esoterik und im Umfeld der »Neuen Frauenbewegung«. Ausläufer des Hexenglaubens reichen bis in die Gegenwart. Damals wie heute befindet sich die Welt im Umbruch, verändern immer neue Forschungserkenntnisse und politische Umwälzungen Dasein und Bewusstsein. »Bedrohte Ordnung« ist dann auch der Titel des ersten Kabinetts der Präsentation. Gezeigt werden Richtschwerter, Gemälde, Illustrationen und Votivtafeln, die wundersame Heilungen darstellen.

Die Hilfe, die die Menschen herbeisehnten, suchten sie bei Gott, dessen Existenz noch nicht angezweifelt wurde. Als der jahrhundertealte feste Glaube an die Religion während der Wirren der Reformation und der Gegenreformation nachließ, gerieten das Weltbild und das Selbstverständnis der Bevölkerung ins Wanken. Sie suchte nach Sündenböcken für Krankheiten und Missernten, politische Wirren und Familienzwist, und schuldig waren oft die »Hexen«. »Seit letzte Nacht eine Hexe durch das Schlüsselloch in der Küche kam, habe ich einen Hexenschuss«, behauptete eine Frau aus Beckingen im Saarland.

Auch die durch hohe Mauern geschützten Städte verhießen keine Sicherheit. Ein Genrebild der Stadt Marche aus dem 17. Jahrhundert zeigt den scheinbaren Frieden. Im Vordergrund jedoch erschlägt ein rot gewandeter Räuber den ahnungslos daher kommenden Wanderer. Um den Teufel fern zu halten, vergruben Hausherren so genannte »Teufelsgeißeln«, also von der Kirche gesegnete Gegenstände, oder brachten Platten mit zur Grimasse verzerrten »Schreckgesichtern« an Dachfirstziegeln an.

Pest, Missernten und Unwetter verängstigten die Menschen, die nach einem Halt in der Unsicherheit suchten. »Angst und Schutz« ist daher die nächste Abteilung betitelt. Schutz bieten sollten damals beispielsweise Sargnägel. Sie speicherten angeblich die Energie des Verstorbenen, weshalb ihnen Heilkräfte zugesprochen wurden. Das Kapitel »Läuten« zeigt mit zahlreichen Grafiken wie aus Phantasien, Schuldzuweisungen und Gerüchten letztlich »Verhexungen« wurden, die dann zu ganz realen Verhören führten.

Es war keineswegs allein die kirchliche Obrigkeit, die zur »Hexenjagd« aufrief. Entgegen landläufigen Vorstellungen waren es zumeist weltliche Richter, die die Prozesse führten. Über einen Zeitraum von mehr als 300 Jahren stellten die Verfahren und Hinrichtungen gängige Rechtspraxis dar. Oft wurde ein solches Verfahren von einem übel wollenden Nachbarn ausgelöst, entwickelte sich aus alltäglichem Klatsch und Tratsch der so genannte Hexenprozess. Vielfach wussten die Zeitgenossen zwar um die Verfolgung Unschuldiger, nahmen sie aber aus Neid und Missgunst dennoch in Kauf.

Ein eigenes wichtiges Kapitel in der Hexenforschung stellt die Frage nach den Ausmaßen der Hinrichtungen und nach den Opfergruppen dar. Mit den Opferzahlen wurde in der Vergangenheit immer wieder Politik gemacht, und zwar gegen die katholische Kirche. Allein in Deutschland seien es neun Millionen Opfer gewesen, behaupteten im 19. Jahrhundert protestantische Theologen und im 20. Jahrhundert die Nationalsozialisten. Auch Teile der Frauenbewegung kolportierten die dramatisch hohe Zahl getöteter Frauen.

Inzwischen konnte der Historiker Rolf Schulte nachweisen, dass jedes vierte Opfer männlich war, und auch die neun Millionen gelten längst als widerlegt, obgleich genaue Zahlen bis heute fehlen. Auf 40 000 bis 60 000 Opfer kommen vorsichtige Schätzungen, wobei mindestens 25 000 Exekutionen allein im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation stattgefunden haben sollen. Diese hohen Zahlen lassen den Historiker Wolfgang Behringer denn auch bei dieser Phase der europäischen Geschichte von einem »deutschen Sonderweg« sprechen.

»Brennen«, so der Titel des letzten Kapitels, musste die Hexe, nachdem sie unter der Folter gestanden hatte. Das Spektakel der öffentlichen Hinrichtungen illustriert die Ausstellung mit Filmausschnitten. Lars von Triers »Breaking The Waves« und Ken Russells »Die Teufel« veranschaulichen, wie sich kollektive Wut und Angst bei Hinrichtungen und Verfolgungen entladen konnten.

Schließlich sei die Hexenverfolgung im Zuge der Aufklärung und einer rationaler werdenden Welt aus der Geschichte verschwunden, meinen die Ausstellungsmacher, verweisen aber darauf, dass die heutigen gesellschaftlichen Mechanismen der Ausgrenzung und Verfolgung strukturell vergleichbar seien. Beispielhaft erinnern sie an die »Hexenjagd« in den USA der fünfziger Jahre während der McCarthy-Ära. Auch Prozesse, in denen auf der Basis vager Vermutungen der Vorwurf des Kindesmissbrauchs erhoben wurde, reiht der Katalogtext hier ein. Die Mechanismen gesellschaftlicher Stigmatisierung des Anderen bleiben wirksam.

Wie sehr auch der moderne Mensch auf die Bebilderung des nicht Erklärlichen angewiesen ist, zeigen surrealistische Fotografien. Träume und Alpträume wollen die Fotografen Ralph Gibson und Les Krims bebildern. Da brennen Kirchtürme, Menschen lösen sich in Rauch auf. Im Zeitalter von MTV und Horrorschockern wie »The Cell« oder der »Exzorzist« sind die in Schwarzweißkontrasten gehaltenen biederen Lichtbilder allerdings nicht so recht zeitgemäß.

Ins Reich der populären wissenschaftlichen Irrtümer verweisen die Historiker die Annahme, dass durch die Hexenverfolgung Heilerinnen und Hebammen ausgeschaltet werden sollten. Für die Interpretation, heilkundige Frauen seien gezielt verfolgt worden, um diesen Berufsstand aus bevölkerungspolitischem Kalkül zu dezimieren, gebe es keine Belege. Eine Karriere auch außerhalb von Historikerkreisen hatte die u.a. von den beiden Soziologen Otto Steiger und Gunnar Heinsohn in den achtziger Jahren vertretene These gemacht, wonach die Ziele der Hexenverfolgung die »Vernichtung der weisen Frauen« und die Auslöschung von deren Wissen um die Geburtenkontrolle gewesen seien.

Dieser von der feministischen Geschichtsschreibung popularisierten Theorie widersprechen neuere Regionalstudien, die die Hexenjagd eher als Instrument territorialer Machtpolitik deuten. Schließlich ließen sich die Verfahren auch von den ausführenden Advokaten, Richtern und Notaren instrumentalisieren. Nicht wenige der beteiligten juristischen Funktionsträger verbesserten ihren sozialen Status durch die Prozesse erheblich, einige gelangten zu beachtlichem Reichtum durch die konfiszierten Vermögen der Beschuldigten. Insbesondere fällt auf, dass die Opferzahlen in Herrschaftsgebieten, die um ihre Unabhängigkeit fürchten mussten, signifikant hoch sind. Kriminalistische und juristische Exzesse dienten in den gerichtsrechtlich und politisch stark zersplitterten Gebieten, so die Forscher, als Nachweise eigener Kompetenz.

Die Ausstellung will mittels der Exponate die bedrohliche Atmosphäre der vergangenen Jahrhunderte beschwören und das Klima der Angst mit akustischen und visuellen Installationen deutlich machen. Die aus dem Zusammenhang gerissenen Filmschnipsel jedoch sind in der Weise, wie sie gezeigt werden, nicht verständlich. Klarheit verschafft erst der gründlich recherchierte und anschaulich geschriebene Katalogtext.

»Hexenwahn. Ängste der Neuzeit«. Deutsches Historisches Museum. Berlin, Kronprinzenpalais, Unter den Linden 3. Bis 6. August. Der Katalog ist in der Edition Minerva erschienen und kostet 22 Euro