Volker Beck, Abgeordneter der Grünen, über Proteste gegen die FDP

»Ein gutes Tabu wurde angetastet«

Nach den antisemitischen Attacken des stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Jürgen W. Möllemann rief am vorigen Mittwoch die Jüdische Gemeinde Berlin zu einer Kundgebung vor der FDP-Zentrale in Berlin-Mitte auf. Rund 1 000 Menschen nahmen daran teil, unter ihnen auch der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Volker Beck. Er gehört dem nordrhein-westfälischen Landesverband der Grünen an, den Jamal Karsli kürzlich verlassen hat, um der FDP beizutreten.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung in der Auseinandersetzung um Jürgen W. Möllemann? Nach Guido Westerwelles Ultimatum hat sich Möllemann entschuldigt, und Jamal Karsli wird die Landtagsfraktion der FDP in Nordrhein-Westfalen verlassen.

Als die Entschuldigung Möllemanns und die Nachricht von Karslis Rückzug über den Ticker lief, dachte ich: Trotz des langen Herumeierns der FDP-Führung, jetzt muss man diese Debatte beenden. Eine weitere Diskussion schadet dem Klima in Deutschland. Dass Möllemann dann wieder die Hälfte zurücknahm, macht einen ratlos. Da kann man nur noch mit Kopfschütteln reagieren.

Glauben Sie, dass von dieser Auseinandersetzung etwas zurückbleibt in der deutschen Gesellschaft, dass sich etwas verändert hat?

Ich glaube schon, dass dieses antisemitische Sediment, das es im Bewusstsein dieser Gesellschaft gibt, aufgewirbelt wurde. Das ist gefährlich und muss jetzt auch zurückgedrängt werden. Das Problem besteht ja darin, dass wir Antisemitismus in allen politischen Lagern bei einzelnen Menschen vorfinden. Der Antisemitismus hat ja gar keinen richtigen Ort, man kann ihn überall einsetzen und man sollte es überall lassen. Aber wenn der Antisemitismus aus einer demokratischen Partei kommt, dann kommt er auch demokratisch daher und manche denken, das kann man jetzt wieder sagen. Das verkleidet sich dann in die Formel: Man muss doch auch mal sagen dürfen ...

Warum haben Sie an der Kundgebung vor der FDP-Zentrale teilgenommen?

Ich hatte den Eindruck, dass sich Juden in Deutschland angesichts der Ausfälle von Jürgen W. Möllemann und Jamal Karsli und den ausweichenden oder rechtfertigenden Reaktionen darauf in den letzten Wochen sehr alleine fühlten, und da wollte ich einfach Gesicht zeigen und klarstellen, dass dem nicht so ist und die Juden nicht alleine stehen.

Denn wenn Leute wie Salomon Korn in Zeitungsbeiträgen fragen, ob es richtig war, dass Juden in Deutschland geblieben oder wieder nach Deutschland gekommen sind, dann ist es an der Zeit, dass wir uns dafür einsetzen, dass Juden solche Fragen nicht mehr ernsthaft stellen müssen und dass sie in dieser Auseinandersetzung nicht alleine sind.

Ist es nicht problematisch, dass Sie als grüner Politiker, also als demokratischer Mitbewerber vor dem FDP-Haus demonstriert haben?

Wir demonstrieren immer wieder einmal gegen die Politik von anderen Leuten, ob das andere Präsidenten sind oder andere Parteien. Die Demokratie sieht vor, dass man sein Demonstrationsrecht auch nutzt, um seine Meinung kundzutun.

Wir sind ja hier nicht als Partei gekommen, sondern als Bürger. Es hat hier keiner einen Parteiwimpel ausgepackt, das fände ich auch der Sache nicht angemessen. Denn es geht hier nicht um Parteipolitik, sondern darum, dass ein gutes Tabu der Bundesrepublik nicht angetastet wird, nämlich dass man mit Antisemitismus keinen Wahlkampf führt.

Aus der FDP kam der Vorwurf, die Bundesregierung würde die Angelegenheit parteipolitisch instrumentalisieren.

Wer mich und mein Engagement kennt, der weiß, dass ich mich über diese Ereignisse aufrege, unabhängig davon, dass ich auch Mitglied und Abgeordneter einer Partei bin.

Herr Karsli war ja zuerst bei den Grünen, und in der Zeit seiner Mitgliedschaft hat man aus ihrer Partei nicht gehört, dass es Probleme mit ihm gegeben hätte, etwa wegen antisemitischer Äußerungen.

Wir hatten mit Karsli Probleme, aber die waren anderer Natur: eher in der Ausländerpolitik. Aber das sind Dinge, die man in einer Partei behandeln kann, da entscheidet dann die Mehrheit.

Zum Thema Palästina, Naher Osten oder auch zum Thema Antisemitismus habe ich von ihm nie etwas vernommen. Eigentlich bis zu dem Zeitpunkt, da er in den Irak gereist ist. Das war dann schon der erste merkwürdige Vorgang, und dann kamen diese fürchterlichen Presseerklärungen, in denen er die israelischen Militäraktionen in den palästinensischen Gebieten mit Naziterror verglichen hat.

Vorher hab ich von ihm nichts in dieser Richtung gehört, und ich wüsste das sehr gut, weil er 1998 als Gegenkandidat auf der Bundestagsliste gegen mich angetreten ist. Über Konkurrenten macht man sich ja in der Regel schlau, fragt nach, was ist das für einer, und mir ist damals nichts bekannt geworden.

Paul Spiegel vom Zentralrat der Juden in Deutschland hat dazu aufgerufen, den Aufstand der Anständigen noch einmal zu proben. Wie könnte dieser Aufstand aussehen? Ist es nicht so, dass zwar Möllemann kritisiert wurde, aber die Debatte ihre negative Wirkung entfaltet hat?

Auf jeden Fall müsste ein Aufstand der Anständigen anders aussehen als die aktuelle Stunde im Bundestag zu diesem Thema (am vorigen Mittwoch, die Red.), in der die CDU sich rettend vor die FDP gestellt hat. Ich meine, dass man insbesondere auch so halbseidene Verteidigungsstrategien aufdecken muss. Etwa wenn Herr Westerwelle, um die Aussagen von Möllemann zu relativieren, sagt, man müsse als Deutscher doch auch mal Israel oder die Juden kritisieren dürfen. Damit spielt er ja auch, ohne es direkt auszusprechen, auf gewisse antisemitische Vorstellungen in den Köpfen der Menschen an.

Denn solche Aussagen setzen ja voraus, dass viele Leute davon ausgehen, dass es so etwas wie eine jüdische oder zionistische Verschwörung in der Presse gibt, die eine solche Diskussion verunmöglicht. Das ist völlig aberwitzig. Wir hatten in Deutschland immer sehr viel Kritik an Israel, viel mehr als die berechtigte Kritik, die auch an den Palästinensern zu üben ist, und ich bin der Meinung, wer so tut, als ob das alles nicht stattgefunden hätte, der versucht ja selbst auch schon wieder Stimmung zu machen und die Täter zu Opfern zu stilisieren.

Das Bündnis gegen Antizionismus und Antisemitismus, das mit zu der Kundgebung aufrief, hat auch die Bundesregierung kritisiert. Einerseits habe sich Bundeskanzler Gerhard Schröder am 8. Mai mit dem Schriftsteller Martin Walser getroffen, um über den Patriotismus zu diskutieren, andererseits wurde auch die Art und Weise gescholten, wie die Bundesregierung 1999 das Eingreifen der Nato im Kosovo begründet hat, etwa mit dem bekannt gewordenen Satz von Außenminister Joschka Fischer, er habe nicht nur gelernt, nie wieder Krieg, sondern auch, nie wieder Auschwitz. Was halten Sie von dieser Kritik?

Diese Kritik kann ich nicht nachvollziehen, denn natürlich geht es darum, wenn irgendwo ein Völkermord stattfindet, auch wenn es nur in Ansätzen ist, etwas dagegen zu tun. So war das Argument »Nie wieder Ausschwitz« in der Kosovo-Debatte auch gemeint.

Im Kosovo wurde versucht, die Angehörigen einer Bevölkerungsgruppe abzuschlachten, und zwar aus rein rassistischen Gründen. Es hat ja niemand behauptet, dass dies schon Auschwitz gewesen sei, aber dass es sozusagen in diese Richtung wies. Es war legitim, das so zusammenzufassen.

Das Treffen von Martin Walser und Gerhard Schröder fand ich auch nicht glücklich. Ich war sehr verwundert darüber, zumal man auf der Veranstaltung versuchte, auch noch um das Problem herumzureden. Wenn, dann hätte man sich wirklich damit auseinandersetzen und einen intellektuellen Streit führen müssen und nicht nur zwei Reden halten und das wars dann, und das, was eigentlich zu besprechen wäre, schweigt man tot.