»Iconoclash« in Karlsruhe

Ikonen in der Heilanstalt

Die Karlsruher Ausstellung »Iconoclash« wirbt für ein neues Verständnis der Bildverehrung.

Während seiner Rede am 15. April 1999 präsentierte Verteidigungsminister Rudolf Scharping dem Deutschen Bundestag eine Terrainfotografie der Luftaufklärung, um für die laufende deutsche Militärintervention im Kosovo zu werben. Damit nahm die Kultur der Parlamentsdebatte in der BRD ihren pictorial turn. Der vom amerikanischen Literaturwissenschaftler W.J.T. Mitchell eingeführte Begriff erneuert den Vorbehalt des linguistic turn, der Zugang zur Welt sei nur über die symbolische Vermittlung der Sprache möglich. An deren Stelle tritt nun das Bild.

Die wachsende Bedeutung der Bildmedien für die Politik, die Verbreitung bildbezogener Nachweismethoden in der Naturwissenschaft, das Bestreben der Kunstgeschichte, sich als kulturkritische Leitwissenschaft vom Bild neu zu positionieren - dies sind einige Ansichten vom Kampfplatz, auf dem um den Wert der Bilder gestritten wird. Welche Kräfte dort wirksam sind, versucht die vom Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) ausgerichtete Ausstellung »Iconoclash« aufzuzeigen. »Jenseits der Bilderkriege in Wissenschaft, Religion und Kunst« (Untertitel) suchen die Ausstellungsmacher ihre Felder.

Der Ikonoklasmus der frühen Neuzeit lieferte die Urszene, aber die Wut auf das Bild scheint fast zeitlos, zumal wenn sie so aufgefasst wird, wie es in der Ausstellung geschieht: als Iconoclash. Die Zerstörung der Bildnisse in den Heiligtümern kann der Ikonophilie der Frommen - die den Gegenpol zum Ikonoklasmus bildet - nichts anhaben, denn der Ikonoklasmus ist nur ein Moment im dauernden Ringen um das Bild. Diejenigen, die Anteil nehmen am Schicksal des Bildes, stehen unter einem lähmenden Bann. Sollen sie sich schützend davor stellen oder dem Angriff auf das Bild freie Bahn lassen? Diese Unsicherheit im Bilderstreit fasst der Begriff Iconoclash zusammen.

Der Kuratorenstab der Ausstellung besteht aus den Kunsthistorikern Dario Gamboni und Joseph Leo Koerner, dem Wissenschaftshistoriker Peter Galison, dem Soziologen und Wissenschaftshistoriker Bruno Latour, dem Künstler Adam Lowe, dem Ausstellungsmacher Hans-Ulrich Obrist und aus Peter Weibel, Künstler, Kunst- und Medientheoretiker und Kapitän auf der Brücke des Schlachtkreuzers ZKM. Was sie an Anschauungsmaterial zusammengetragen haben, bietet, wie Latour in aller Bescheidenheit feststellt, eine durchaus »gewaltige visuelle Erfahrung« an.

Im Zentrum des Ausstellungsraums steht Arata Isozakis rekonstruierte Installation »The Electric Labyrinth«, die während der Besetzung der Mailänder Architektur-Triennale von 1968 zerstört wurde. Was profane Zerstörungswut zurückließ, erhielt aber nicht nur durch die Wiederherstellung seiner ursprünglichen Gestalt einen Ausstellungswert zurück. Das dem Vandalismus gewidmete Segment von »Iconoclash« zeigt neben ausradierten Zeichnungen und zerschlitzten Leinwänden auch die Rekonstruktion von Rückständen vandalistischer Aggression, wie sie der Maler Felix Gmelin in seiner »Art Vandals Series« vornahm.

Die Darstellung des gefolterten Gottes negiert die Schönheit, um die Güte zu fordern. Der religiös begründete Bildersturm sieht sich mit der These konfrontiert, dass die Bildnisse der Passion Christi, die der Zerstörung anheim fielen, selbst schon einen ikonoklastischen Gestus bekunden. Auf großen Bildschirmen, die wie Tafelbilder gehängt sind, laufen die Antifilmtestamente Derek Jarmans und Guy Debords. Zahlreiche Exponate aus den Bereichen Mathematik, Physik und Astronomie führen vor, wie in den Naturwissenschaften anschauliche Modelle und Simulationen in Konkurrenz zu algebraischen und zählenden Darstellungsverfahren treten.

Von diesen Abteilungen flankiert, dokumentiert eine vielfältige Auswahl von Kunstobjekten die fortschreitende Demontage des repräsentativen Tafelbildes, die mit dem Impressionismus einsetzt. Da sind die schwarzen Leinwände von Malewitsch, Rodschenko und Ad Reinhard, Duchamps Absage an die retinale, die Netzhaut affizierende Kunst, künstlerische Reduktionen auf die Infrastruktur des Kunstobjekts wie Rahmen und Sockel, Übermalungen, Informationskunst, Fluxusdevotionalien und vieles mehr. Diese Kollektion von Beispielen versteht sich nachvollziehbarerweise nicht als Kunstausstellung.

Eine wirklich fesselnde Präsentation; aber kurz bevor man überwältigt wird, stellt sich einem die Frage: Ist in diesem Iconoclash nicht schon alles vorentschieden? »Götzenkammer« heißen die Depots, in denen die calvinistischen Bilderstürmer ihre Beute stapelten und die eine Keimzelle des Museums darstellen. Ironisch erklärte Bruno Latour die Karlsruher Schau nun zur Götzenkammer; aber eher handelt es sich hier um eine Art Heilanstalt für verrückt gemachte Bilder. »Wir kommen nicht ohne Bilder aus./Kämen wir nur ohne Bilder aus.« Es ist klar, dass diese Antinomie, in der sich der Iconoclash ausdrücken soll, bloß einen Scheinwiderspruch darstellt. Wenn es ums Bild geht, herrscht - wie im Parlamentarismus - bei aller Aufregung Einigkeit: Es muss sein.

Aber was ist ein Bild? Hier scheinen die Dinge weniger gewiss. Bruno Latour versteht unter Bildern großzügig alle »Zeichen, Kunstwerke, Bildnisse, Inschriften, die dazu dienen, den Zugang zu etwas anderem zu vermitteln«. Ist »Bild« also ein anderes Wort für »Zeichen«? Das zweite Modul von »Iconoclash« stellt ein 700 Seiten starker Aufsatz- und Katalogband, der als Standardwerk zum Thema gelten soll und von Bruno Latour und Peter Weibel beim Massachusetts Institute of Technology herausgegeben wird. In seiner einleitenden Predigt ruft Latour die Leserschaft dazu auf, das grundsätzliche Misstrauen gegen das Bild aufzugeben und zu Glaube und Spiritualität zurückzufinden. Mit großem Sendungsbewusstsein wird hier ein Plädoyer für eine affirmative Kultur gehalten, in der »wir, die Menschen des Westens«, näher zusammengerückt nach dem 11. September des letzten Jahres, uns wiedererkennen sollen. Wo der Weltglauben einbricht, soll der Bilderglauben die Rettung bringen.

Da bleibt der Beitrag von Peter Weibel schon eher auf dem Teppich. Die Krise der Repräsentation, in ihrer Verlaufsform als Geschichte der modernen Kunst nachgezeichnet, läuft für ihn auf die Entmaterialisierung des Kunstwerks hinaus. Jede neue Behauptung des Endes der Kunst provoziere eine Kunst nach dem Ende der Kunst. Diese Dynamik sei das Kennzeichen der Moderne. Ihre Ablehnung führe zu einer neuen Situation, die durch Kollektivierung der Kunstproduktion, Prozessualisierung des Kunstwerks und Beteiligung der Betrachter geprägt sei. Mit dieser Wendung sieht Weibel die Krise als beendet. Allerdings stellt sich sofort das Problem, dass die Kunst nun die Zuständigkeit für die Abbildung der Welt aufgegeben hat - und zwar im selben historischen Augenblick, in dem die naturwissenschaftlichen Verfahren mit der Bildproduktion in großem Maßstab beginnen. In diesem Kraftfeld von nachmoderner Vergesellschaftung des Kunstwerks und kunstexterner Erneuerung der Abbildungsverfahren bleibt immerhin die Frage nach dem richtigen Bild der Welt auf der Tagesordnung.

Trotz allem und obwohl man die Berücksichtigung der nationalsozialistischen Bildervernichtung vermisst, sind sowohl die Ausstellung als auch das Buch recht anregend. Eins bleibt aber festzuhalten: Die Kritik des Bildzusammenhangs wird nicht durch andere Bilder geleistet, sondern nur durch die Veränderung des gesellschaftlichen Lebenszusammenhangs.

»Iconoclash« ZKM, Karlsruhe. Bis 4. August.
Bruno Latour u. Peter Weibel (Hg.): Iconoclash. Beyond the Image Wars in Science, Religion, and Art. Karlsruhe, Cambridge 2002, 703 S., 35 Euro