Keiner kommt mehr rein

Auf ihrem Gipfeltreffen in Sevilla wollen die Regierungschefs der EU rigide Maßnahmen gegen Flüchtlinge beschließen.

Sie kommen in kleinen Booten über die Meeresenge von Gibraltar oder versteckt in Frachtern über die Adria. Viele der schätzungsweise jährlich 500 000 illegalen Einwanderer gelangen per Schiff über das Mittelmeer in die Europäische Union. Die lebensgefährliche Überfahrt ist für zahlreiche Flüchtlinge mittlerweile die einzige Möglichkeit, nach Europa zu gelangen.

Die illegale Einwanderung zu Wasser wie auch zu Lande schon an den Außengrenzen zu stoppen, ist das erklärte Ziel der Regierungschefs der EU, die sich am kommenden Wochenende in Sevilla treffen, um restriktive Maßnahmen gegen Flüchtlinge und Migranten zu besprechen.

Schon seit Jahren bemüht sich die Union um schärfere Kontrollen. Doch wohl noch nie standen so extreme Vorschläge zur Diskussion, wie sie nun in Sevilla verhandelt werden sollen. In einem offenen Brief warnt amnesty international bereits vor einem »offenen Krieg gegen illegale Immigration«. Das Recht auf Asyl werde dem weiteren Aufbau der Festung Europa geopfert, heißt es in der Stellungnahme.

Die Sorge der Menschenrechtsorganisation ist alles andere als übertrieben. Der spanische Premierminister und amtierende EU-Ratspräsident José Maria Aznar wird in Sevilla einen Aktionsplan gegen illegale Einwanderung präsentieren und den Aufbau einer europäischen Grenzpolizei vorschlagen. Der Plan sieht unter anderem vor, unkooperativen Herkunfts- und Transitländern die Entwicklungshilfe zu kürzen. Beschlussfertig ist auch ein mit 25 Millionen Euro ausgestattetes Programm (Argo), dass die Zusammenarbeit der Abschiebebehörden, der Grenzschützer und der Asylämter verbessern soll.

Mit schärferen Grenzkontrollen und mehr politischem Druck auf Drittstaaten wollen die Regierungschefs eine »radikale Reduzierung der Zahl unbegründeter Asylanträge« erreichen. Nur so könne verhindert werden, dass die illegale Migration »die Stabilität bestimmter politischer Systeme in Europa in Frage« stellt, wie der portugiesische Premierminister Durão Barroso vor dem Gipfeltreffen erklärte.

Kritik an der europäischen Flüchtlingspolitik kommt derzeit vor allem aus Schweden. Premierminister Göran Persson bezeichnete Aznars Vorschlag, die Entwicklungshilfe zu kürzen, als eine »sinnlose Maßnahme«. Menschen in Not könne man nicht einfach die Hilfe verweigern, nur weil ihre jeweiligen Regierungen nicht genügend mit der EU kooperieren. Auch der EU-Kommissar für Entwicklung, Poul Nielson, und die britische Entwicklungsministerin Clare Short nennen die Überlegungen »kontraproduktiv und sinnlos«. Zahlreiche Herkunftsländer wie beispielsweise Somalia erhielten gar keine Entwicklungshilfe mehr, da die notwendigen staatlichen Verwaltungsstrukturen nicht mehr existieren.

Aznar warb bereits in den vergangenen Wochen auf einer Rundreise durch die europäischen Hauptstädte für seinen Plan und erhielt viel Unterstützung. Am 28. Mai forderten der französische Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder in Paris »ernsthaftere Kontrollen der Außengrenzen«. Drei Tage später nickten die EU-Innenminister in Rom Vorschläge zum schrittweisen Aufbau einer europäischen Grenzpolizei ab und diskutierten, ob das neue europäische Satellitenprogramm Gallileo auch zur »Beobachtung von Migrationsströmen« benutzt werden kann. Am 4. Juni rief Aznar in Den Haag dazu auf, die »heuchlerischen Masken der europäischen Einwanderungspolitik fallen zu lassen«. Kurz darauf erklärte er in Luxemburg, dass »wir nicht länger so tun können, als gebe es Platz für alle, sowohl für legale als auch für illegale Einwanderer«.

Während Aznar mit seinem Aktionsplan noch durch Europa tingelte, dachte sich sein Innenminister Mariano Rajoy in Madrid neue Argumente aus. Die spanischen Ausländergesetze müssten dringend verschärft werden, um sie an diejenigen anderer EU-Staaten anzugleichen. So gebe es in Deutschland bei der Familienzusammenführung erheblich strengere Regeln, die sich Spanien zum Vorbild nehmen müsse. Ob sich die einzelnen Mitgliedsstaaten der rigiden EU-Flüchtlingspolitik anpassen oder ob Brüssel versucht, den jeweiligen nationalen Beschlüssen hinterherzukommen, ist mittlerweile kaum mehr auszumachen.

So beschloss Ende Mai das dänische Parlament die bisher schärfsten Ausländergesetze in der Union. Der Nachzug von Familienmitgliedern ist künftig nur noch in Ausnahmefällen möglich, für eine Einbürgerung sind perfekte Sprachkenntnisse und ein siebenjähriger legaler Aufenthaltstitel erforderlich.

In Italien verabschiedete Anfang Juni das Parlament ein neues Einwanderungsgesetz, dass unter anderem beschleunigte Abschiebungen ermöglicht und die Familienzusammenführung faktisch abschafft. Zudem soll die italienische Marine künftig dabei helfen, die Grenzen gegen Flüchtlinge zu sichern.

In die gleiche Richtung weisen die Maßnahmen der britischen Regierung. Innenminister David Blunkett fordert Massenabschiebungen mit Hilfe der Luftwaffe, den Einsatz der Kriegsmarine im Mittelmeer und verkürzte Asylverfahren. Er will nun auch den alten Vorschlag einer »weißen Liste« so genannter sicherer Drittstaaten aufgreifen, nach dem Asylbewerber aus diesen Ländern binnen Tagen abgeschoben werden können.

Und auch die niederländische Regierung unter Beteiligung der Partei des vor kurzem ermordeten Rechtspopulisten Pim Fortuyn will das Leben für Migranten in den Niederlanden möglichst unangenehm machen. Illegaler Aufenthalt soll zur Straftat erhoben werden, Migranten ohne Papiere haben in Zukunft drei Monate Zeit, um ihre Identität zu belegen, bevor sie abgeschoben werden. Nachziehende Kinder dürfen fortan höchstens zwölf statt 18 Jahre alt sein.

Die niederländischen Pläne sind dabei nur das neueste Beispiel einer rechtspopulistischen Politik, die mittlerweile die gesamte EU zu dominieren droht. Nach den Wahlerfolgen rassistischer Parteien in Frankreich (Front National), Österreich (FPÖ), Italien (Lega Nord/Alleanza Nazionale), Dänemark (Danske Folksparti), Portugal (Partido Popular) und den Niederlanden (Lijst Pim Fortuyn), wollen sich auch Aznar, Schröder und Tony Blair mit einer schlichten Kopie rechter Wahlpropaganda profilieren. Ihre Regierungen führen viele der Maßnahmen ein, die die extreme Rechte fordert. »Die Angst vor Rechtspopulismus regiert in den europäischen Hauptstädten, außer dort, wo Rechtspopulisten selbst an der Macht sind«, kommentierte der Wiener Standard in der vergangenen Woche.

Begonnen hatte die Debatte um die »Festung Europa« mit der Abschaffung der internen Grenzkontrollen im Rahmen des Schengener Vertrags, der mit einer schärferen Überwachung der Außengrenzen verbunden wurde. Eine nationale Asylpolitik ist seitdem nicht mehr möglich. Die gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitik ist schließlich seit dem Amsterdamer EU-Vertrag von 1999 und dem Gipfeltreffen in Tampere im selben Jahr ein zentrales Thema in der Union.

Die EU-Kommission hat seither zahlreiche Richtlinien zur Arbeitsmigration, Familienzusammenführung und zum langfristigen Aufenthalt vorgelegt, die aber aus der Sicht der EU-Mitgliedsstaaten nicht repressiv genug sind und deshalb politisch blockiert werden. Selbst die Tatsache, dass sowohl in der IT-Branche als auch im Gaststätten- und Baugewerbe der Bedarf an außereuropäischen Arbeitskräften groß ist, wird dabei ignoriert. Die Mythen von unkontrollierter Einwanderung und Asylmissbrauch sind in der Bevölkerung mehr denn je präsent, auch wenn die Zahl der Asylanträge nach Angaben von amnesty international in der EU von rund 675 000 im Jahr 1992 auf mittlerweile 385 000 gesunken ist.

Die ausländerfeindliche Politik der meisten europäischen Regierungen und die von der Verwertungslogik bestimmte Auffassung der Kommission widersprechen einander nur scheinbar. Während sich die Populisten einer völkischen Metaphorik von Naturkatastrophen wie »Ausländerfluten« und »Flüchtlingswellen« bedienen, bemüht sich die Kommission um die Regulierung ausbeutbarer Arbeitsmigration.

Das Ziel ist jedoch das gleiche. Europa soll gänzlich abgeschottet werden. Und eine Ausnahme gibt es nur noch für jene, die sich für den Standort Europa als nützlich erweisen könnten.