Fantum der türkischen Community

Jübeltürk

Die Fahnen der hiesigen türkischen Fans handeln auch von deutschen Verhältnissen.

Zum Glück hat Brasilien gewonnen! Für die überzeugten KurdInnen in meinem Bekanntenkreis stand fest, wer verlieren musste. So drohte zum Beispiel die kurdische Türkischlehrerin meiner deutschen Freunde mit Unterrichtsstopp, sollte Deutschland in einem möglichen Finale gegen die Türkei unterliegen. Für KurdInnen und viele türkische Linke ist die Tatsache, dass ihre Landsleute mit türkischen Nationalfahnen durch die Gegend fahren, nicht besonders erfreulich. Zu Recht. Zwar war der Anteil türkischer Faschisten unter den Fans garantiert geringer, als vielfach unterstellt wurde, aber besser wäre es allemal, die Leute würden einfach rote Fahnen schwenken, auf denen sich keine Symbole befinden. Ob die Autokorsos mit den Halbmondfahnen deshalb als Zeugnis einer zunehmenden Nationalisierung der türkischstämmigen Community anzusehen sind, ist aber eine Frage der Perspektive.

Nicht nur, weil die Logik einer Fußballweltmeisterschaft der Nationen nur durch Absenz unterlaufen werden kann und kaum zu erwarten ist, dass die Fans jetzt Fahnen basteln, die im Dekonstruktivismus-Seminar als Hausarbeit abgegeben werden können. Zumindest so lange nicht, wie die ultrakritischen Linken darüber debattieren, welche Nation die politisch korrektere ist: Irland war mal Kolonie, aber Spanien ist ein Land des Südens ...

Während türkische Fans nach der Niederlage ihre Teams in den deutschen »Tagesthemen« entspannt zum Besten gaben, dass sie sich jetzt ja immerhin noch für die deutsche Mannschaft freuen könnten, hörte man in deutschen Taxis, Blumenhandlungen oder Cafés manch Hässliches, bei dem einem zeitweise die abstrakt antinationale Haltung vergehen konnte. Den Türken wurde allenthalben die Niederlage gewünscht, und zwar nicht, weil man für die senegalesische, japanische oder brasilianische Mannschaft war, sondern weil »die sich ja sonstwas rausnehmen«, um mit den Worten der Kellnerin eines Frankfurter Szenecafés zu sprechen. Was italienischen, spanischen oder brasilianischen Fans gewöhnlich als Talent zum temperamentvollen Feiern ausgelegt wird, ist bei den Türken eben nur ein weiterer Beweis dafür, sich nicht anpassen zu wollen - genau wie das Schächten und das Kopftuch. Dabei glichen die deutschen Autokorsos einem national kostümierten Vatertagsausflug, während bei den türkischen immerhin auch Frauen zu sehen waren.

Es geht jedoch weniger um die von vielen deutschen Linken gerne bemühte Hierarchie der Rassismen, die ohnehin keine ewige Rangfolge kennt. Entscheidend ist der Klassenaspekt der Kanakisierung. Die Türken repräsentieren im rassistischen Diskurs die Proleten und Underdogs. Um so unerträglicher, wenn sie glauben und zeigen, dass sie doch »wer sind«.

Dieser Topos war auch in der seltsam morbiden Sehnsucht nach einem Endspiel zwischen der Türkei und Deutschland präsent. Der Wunsch nach diesem Spiel lebte entweder von der Erniedrigung, die den Türken beizubringen sich viele Deutsche anscheinend ersehnten, oder von der Vorstellung, dass es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen würde. Dabei ist gleichgültig, ob es tatsächlich zur Randale gekommen wäre. Was sich im Alltag vollzogen hat, ist eine symbolische Transformation der rassistischen Verhältnisse in einen düsteren Revanchismus.

Es ist diese Stimmung, die selbst den aggressiven türkischen Nationalismus in einem anderen Licht erscheinen lässt, wenn auch nicht unbedingt in einem positiven. Es gab bisher zwei Anlässe, bei denen türkische Fahnen auf Deutschlands Straßen zu sehen waren: den Fußball sowie Kundgebungen nach rassistischen Brandanschlägen wie in Solingen. Damals haben zum Teil selbst antinationale türkische Linke die Fahne geschwenkt. Sowohl nach den Anschlägen als auch anlässlich der Fußballspiele gab es noch vor wenigen Jahren heftige politische Kämpfe innerhalb der türkischen Community. Türkische Faschisten griffen Kurden und Linke in ihren Vereinshäusern an und wollten Kreuzberg »erobern«. Der Nationalismus in der türkischen Community ist keineswegs nur ein naiver und unschuldiger Ausdruck der schlechten Verhältnisse.

Das Fahnenschwenken ist aber nur im historischen Kontext zu verstehen. Dafür steht zum Beispiel die Geschichte der Frau, die mit geschwollener Halsschlagader und türkischer Fahne in der Hand ein Spiegel-Cover schmückte. Sie klagte gegen das Magazin, weil sie nicht als Nationalistin dargestellt werden wollte und gewann den Prozess.

Jene Jugendlichen maghrebinischer Herkunft, die nach dem Sieg der französischen Nationalmannschaft bei der EM vor zwei Jahren in den Straßen von Paris ihre Autos sowohl in französische als auch algerische und marokkanische Fahnen hüllten, verdeutlichen noch am ehesten, wie ein migrantischer Nationalismus funktioniert. Er hängt stets von lokalen Kräfteverhältnissen und spezifischen Formen rassistischer Unterwerfung ab. Die mehrfache Beflaggung ist kein doppelter Nationalismus, sondern artikuliert den Typus der Inklusion, der es den Beurs möglich macht, sich symbolisch in die Nation einzuschreiben. Mit den algerischen oder marokkanischen Fahnen war der Superstar Zidane angesprochen; der Mittelfeldstürmer kommt aus dem Banlieu und hat es geschafft. Die Fahnen handelten von der Anwesenheit der MigrantInnen im öffentlichen Raum und von rassistischer Ausgrenzung trotz formaler Inklusion durch Staatsbürgerschaft.

Es geht nicht darum, den Nationalismus von MigrantInnen als Ausdruck mangelnder Integration zu deuten. Wenn Cem Özdemir anmerkt, dass die vier Deutsch-Türken der türkischen Nationalmannschaft bei einer anderen deutschen Migrationspolitik vielleicht längst zum deutschen Team gehören könnten, verweist das einerseits auf den Skandal, dass MigrantInnen erst nach erniedrigenden Integrationstests die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen.

Andererseits stehen Ilhan Mansiz und die anderen Spieler mit deutschem Background für die Aporien, die eine Situation produziert, in der antirassistische Problematiken in der Sprache des Nationalen artikuliert werden. Hier könnte man ansetzen. Anstatt sich in endlosen Schleifen der Identifikation und Gegenidentifikation selbst gefangen zu setzen, könnte man sich vielleicht darauf einigen, den Nationalismus und Islamismus innerhalb des türkischen Teams anzugreifen. Dass die »Almancilar«, wie die türkischen Migranten in der Heimat genannt werden, bei den Türkeitürken als Verräter gelten, könnte ein Angriffspunkt sein und müsste den Nationalismus zumindest für die hiesigen türkischstämmigen Fans in Frage stellen. Dieses Thema sollte man jedenfalls nicht deutschen Sportreportern überlassen, die die Leistungen dieser Spieler mit deutscher Disziplin erklären wollen. Gerade diesen Akt der nur ideologischen Eingemeindung der migrantischen Spieler gilt es anzugreifen.