Nach dem Attentatsversuch auf den französischen Präsidenten Chirac

Allein macht er dich ein

Der 25jährige Maxime Brunerie, der ein Attentat auf den französischen Präsidenten Chirac verüben wollte, soll ein Einzeltäter gewesen sein. Dabei war er Mitglied verschiedener rechtsextremer Organisationen.

Ein geistig verwirrter Einzeltäter.« Diese Darstellung kennt man allzu gut, wenn es um einen Attentäter aus Neonazikreisen geht. Mal zeugt die Erklärung von einer Verkennung der rechtsextremen Gefahr, mal entspricht sie dem Wunsch, nicht unnötig Staub aufzuwirbeln oder die Arbeit der Ermittler nicht zu beeinträchtigen.

Auch nach dem Attentat des 25jährigen Neonazis Maxime Brunerie auf Staatspräsident Jacques Chirac am 14. Juli in Paris wurde in den meisten offiziellen Verlautbarungen die These vom psychisch gestörten Einzeltäter vertreten. Dabei hätte man die ersten Worte von Innenminister Nicolas Sarkozy anders verstehen müssen: Brunerie sei den polizeilichen Ermittlern wohl bekannt, den psychiatrischen Diensten hingegen nicht, verriet der konservative Politiker. Seit dem Attentat sitzt Brunerie nun in einer psychiatrischen Klinik in Villejuif bei Paris; die ärztliche Diagnose wird darüber entscheiden, ob bzw. wann ihm der Prozess gemacht werden kann.

Maxime Brunerie hat seit 1997 eine stringente politische Laufbahn zurückgelegt. Sie führte von Skinheadgruppen, die in den Vorstadtbahnhöfen des südlichen Pariser Umlands Jagd auf Araber machten, über die Hooligans des Pariser Fußballclubs PSG in stärker ideologisch geprägte Kreise. Brunerie trat zunächst dem Parti nationaliste Français et Européen (PNFE) bei, einer vor zwei Jahren aufgelösten Neonazipartei, später dann der gewalttätigen rechtsextremen Studentengruppe Groupe Union et Défense (GUD).

Am Ende landete er bei der Sammelbewegung Unité Radicale (UR), der auch der GUD seit 1998 angehört und die die Reste des ehemaligen PNFE aufgenommen hat. Daneben war er auch Mitglied des Mouvement National Républicain (MNR) von Bruno Mégret, der sich Anfang 1999 vom Front National unter Jean-Marie Le Pen abgespalten hat. Kader der Unité Radicale und des MNR kamen im Mai 2000 zusammen und beschlossen, die Doppelmitgliedschaftschaft in beiden Organisationen zu erlauben. Ferner sollten UR-Mitglieder bei den Kommunalwahlen im März 2001 auf aussichtsreichen Listenplätzen des MNR kandidieren. Auch Maxime Brunerie wurde so ein Kandidat auf einem der vorderen Listenplätze im 18. Pariser Bezirk.

Die Unité Radicale besteht aus einem harten Kern von rund 500 Aktivisten, um die sich 2 000 bis 3 000 Sympathisanten scharen. Die Vereinigung wurde im Juni 1998 gegründet, um den »radikalen und außerparlamentarischen Flügel der nationalen Rechten« zu sammeln. Dabei ging es um eine Arbeitsteilung zwischen dem potenziell gewalttätigen rechtsextremen Spektrum und dem parteipolitisch organisierten Neofaschismus. »Wir wollen der Nationalen Bewegung keine Konkurrenz machen, sondern wir wollen sie ergänzen, indem wir jenen eine Ausdrucksmöglichkeit bieten, die von ihrer notwendigen Mäßigung enttäuscht sein könnten«, hieß es.

Die Organisation war von Anfang an offen für Jugendsubkulturen, vor allem für die »identitäre französische Rockmusik« mit ihren zum Teil kriegerischen Texten und regionalistischen Strömungen. Dem Nationalismus eines Jean-Marie Le Pen setzte die UR eine rassisch definierte »europäische« Identität entgegen. Auch rechtsextreme Ökologen konnten gewonnen werden, darunter eine Handvoll ehemaliger Mitglieder der Grünen, die wegen antisemitischer Tendenzen aus ihrer Partei ausgeschlossen worden waren.

In den letzten Jahren war die Unité Radicale um eine ideologische Modernisierung bemüht, die den Abstand zum historischen Faschismus und Nationalsozialismus demonstrieren sollte. Ehemalige Mitglieder des PNFE wurden angehalten, ihre Neonazifolklore nicht so deutlich zu zeigen.

In ihrer Selbstdarstellung bezog sich die UR auf ideologische Quellen jenseits des Faschismus, etwa auf Louis-Auguste Blanqui und Pierre-Joseph Proudhon. An diesen Vertretern des vormarxistischen Frühsozialismus interessierte sie vor allem der Antisemitismus. Blanqui und Proudhon waren Antisemiten, weil sie im Judentum den Ursprung des verhassten Christentums zu erkennen glaubten, wie Blanqui, oder weil sie das Judentum mit der Bourgeoisie identifizierten, wie Proudhon.

Doch inzwischen wurde ein Richtungswechsel vollzogen. Christian Bouchet, der die UR bis dahin geführt hatte, wurde im April 2002 nach einer Veranstaltung der UR mit dem deutschen NPD-Anwalt Horst Mahler abgesetzt. Er hatte an dieser Veranstaltung nicht teilgenommen. In der Folge des Wandels, der eine stärkere Orientierung auf die deutsche NPD mit sich brachte, wurden Guillaume Luyt und Fabrice Robert zu gleichberechtigten Sprechern ernannt. Mit ihnen kam eine »junge Garde« an die Macht, die deutlicher rechtsextrem ausgerichtet ist als der nationalrevolutionäre Spurenverwischer Bouchet.

Die UR-Führung erklärte in einer Stellungnahme zur Tat Maxime Bruneries, dass »die terroristische Aktion genauso wenig wie Wahlen dazu geeignet ist, eine Lösung für die politische und moralische Krise zu bieten, die Frankreich erlebt«. Über Brunerie selbst hieß es: »Es steht uns nicht zu, seinen Akt gutzuheißen oder zu entschuldigen, wohl aber, ihm im gegenwärtigen Leid zu zeigen, dass Kameradschaft kein leeres Wort ist.« Im Magazin Le Point erklärte Fabrice Robert: »Das Scheitern der elektoralen Strategie des FN und des MNR hat jene Franzosen, die gegen den Kosmopolitismus gestimmt hatten, einer Vertretung beraubt. Diese Situation ist äußerst explosiv.«

Nach der Niederlage Le Pens gegen Jacques Chirac in der Stichwahl und nach den jüngsten Wahlschlappen des MNR könnte eine wachsende Zahl junger Rechtsextremer künftig immer schwerer kontrollierbar werden. Die Tat Maxime Bruneries bleibt vielleicht nicht die letzte ihrer Art. In den einschlägigen Diskussionsforen im Internet wird Bruneries Attentatsversuch heftig diskutiert. Manche Teilnehmer begrüßen die Tat und kritisieren jene, »die sich nicht vor ihm getraut haben«. Andere plädieren dafür, künftig lieber Linke anzugreifen, da diese nicht wie der Präsident »über eine Sicherheitsmannschaft verfügen, die sie beschützt«.