Privatisierung der Sozialversicherung

Market Security

Ob die Blase jetzt, später oder gar nicht platzt, sei einmal dahingestellt. Bereits jetzt bekommen Millionen US-Amerikaner die Folgen der Börsenkrise zu spüren, und zwar an ihrer Rente. Die Vaporisation der aktienbasierten Betriebsrenten à la Enron (Jungle World, 49/01) ist kein Einzelfall, sondern vollzieht sich derzeit an großen Teilen der US-Mittelschicht, wenn auch zunächst mit verminderter Intensität. Die Ursache sind nur selten illegale Managementpraktiken. Auch die Aktienkurse solcher Firmen, die bisher nicht durch ihre abenteuerliche Bilanzierungsweise in die Schlagzeilen geraten sind, befinden sich im Sinkflug.

Die Betriebsrente hat in den USA eine im Vergleich zu Europa lange Geschichte und ist weit verbreitet. Vor etwa 20 Jahren setzte eine wirtschaftliche Umorientierung ein, deren Nachteile erst jetzt wirklich spürbar werden: der Übergang von der festen Rente (»defined benefits«) zu festen Rentenbeiträgen (»defined contributions«). Das erste Modell garantiert dem abhängig Beschäftigten die Höhe seiner Rente. Das Unternehmen errechnet die zur Deckung der Pensionsansprüche erforderliche Beitragshöhe. Abhängig von der Dauer des Arbeitsverhältnisses erhält der Beschäftigte nach seinem Ausscheiden aus der Firma eine feste Pension.

Beim Modell der »defined contributions« erwerben Lohnabhängige mit ihren Beiträgen Anteile an einem aktienbasierten Rentenfonds. Da solche Fonds fast nur Aktien des eigenen Unternehmens zeichnen, werden Beschäftigte zu Aktionären des Unternehmens, für das sie arbeiten. Im Falle eines Bankrotts sind sie gleichzeitig ihren Job und ihre Rente los. In den vergangenen Jahrzehnten erfreute sich das Modell dennoch großer Beliebtheit. Niemand schien zu glauben, dass es irgendwann auch wieder abwärts gehen würde.

Die Arbeitslosigkeit steigt, die Rentner werden ärmer, viele Menschen müssen ihre Pensionierung mangels Kleingeld noch hinausschieben oder sind in absehbarer Zeit auf die staatliche Rentenversicherung Social Security angewiesen. Schlechte Laune macht sich überall breit, außer im Weißen Haus. Dort scheint man von alledem nichts zu spüren und »zu feiern, als sei es 1999«, wie es der New York Times-Kolumnist Paul Krugman ausdrückt. Die Bush-Administration hält an ihrem Plan fest, die Social Security teilweise zu privatisieren.

Für jüngere Beitragszahler sollen persönliche Konten auf den Kapitalmärkten eingerichtet werden. An der Höhe der Zahlungen für heutige Empfänger der Social Security soll nicht gerüttelt werden. Das kostet eine Menge, schließlich soll das Geld der jüngeren Beitragszahler für sie selbst, und nicht wie bisher zur Deckung der Ansprüche heutiger Empfänger verwendet werden. Als der Plan entworfen wurde, rechnete man in den USA noch mit Haushaltsüberschüssen in Billionenhöhe.

Paul Krugman hegt den Verdacht, dass Bush mit der Privatisierung ein weiteres Mal die Interessen seiner Klientel, diesmal aus dem Finanzsektor, bedienen will. Da der Staat wohl kaum zum Börsenmakler für 130 Millionen abhängig Beschäftigte werden wird, muss das Geld von privaten Investmentfonds verwaltet werden. Das bedeutet gute Provisionseinnahmen für die Fondsmanager.

Andererseits könnte man den Privatisierungsplan als groß angelegtes Konjunkturprogramm für die Aktienmärkte auffassen. Denn es würden Hunderte Milliarden Dollar investiert, was mittelfristig wohl zu einem Anstieg der Kurse führen würde. Aber beim nächsten Crash wären nicht nur Jobs und Betriebsrenten, sondern auch die Social Security verschwunden.

Bush wiederum hätte, wenn auch nicht so, wie er es wollte, einen weiteren Punkt seines Wahlprogrammes realisiert: die Überführung staatlicher Sozialaufgaben in eine private Wohltätigkeitsveranstaltung der mitfühlenden konservativen Absahner seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik.