Lautverschiebungen Teil II

Next Generation

Wie werde ich ein Rechtspopulist?

Nein, ein Gespenst ist es nicht, was derzeit in Europa umgeht. Vielmehr inszeniert sich etwas, dem wir sogar den Titel »Die Rückkehr der Wirklichkeit in die Politik« zutrauen würden, jedenfalls solange wir den Blick darauf nicht geschärft haben. Call and response auf dem Markt der symbolischen Politik: He He! Gute Leute! Wie viel Faschismus wollt ihr heute? He, Mann, guter Rechtspopulist! Wir wissen nicht genau, wie viel zu viel ist.

Rechtspopulismus, das ist der Name für Strategien, Programme und Erscheinungen in den späten europäischen Demokratien, die miteinander zu tun haben, die sich voneinander unterscheiden und die aufeinander bezogen sind. Und Rechtspopulismus ist eine semantische Installation, eine Art, wie eine doppelte Absicht (das Erlangen und Erhalten von Macht um mehr oder weniger jeden Preis einerseits, und das Projekt einer postdemokratischen, »leicht-faschistischen« Gesellschaft andererseits) mit einem doppelten Bedürfnis in der Mitte der Gesellschaft (Angst und Brutalität) zu sprechen versucht.

Eine Sprache

Rechtspopulismus als Sprache beschränkt sich natürlich nicht auf das gesprochene oder gedruckte Wort, das freilich in dieser Strategie eine nicht zu unterschätzende Bedeutung hat. Unter den vielen (falschen) Versprechungen des Rechtspopulismus ist auch die zu finden, dass »das Wort wieder etwas gilt«. Rechtspopulismus scheint auf den ersten Blick gar bilderfeindlich (was sich bei diesem ersten Blick auch ohne weiteres in die umfassende antimodernistische Rhetorik einfassen lässt: Fürchten wir uns nicht vor dem Bildersturm, dem visuellen Brei des medialen Alltags?), und während von Tschechien bis Italien, von Dänemark bis Frankreich mit traumhafter Sicherheit bestimmte Begriffe in der Kultur des Rechtspopulismus auftauchen, die in allen Sprachen gleich klingen und von allen Vertretern dieser Bewegung gleich betont werden, gibt es am wenigsten ein konsistentes Bild, das diese Bewegung abgeben würde.

Der führende Rechtspopulist mag (nach landläufiger Vorstellung) hässlich oder hübsch, jung oder alt, kleinbürgerlich, oligarchisch, arm oder reich sein, von unten, von der Seite oder gar von oben seine Kultur beziehen. Er ist einmal offen, einmal verdeckt und einmal gar nicht schwul oder hetero, allerdings, so scheint es, gibt es für den Rechtspopulismus noch kein weibliches Gesicht (wenngleich es viele weibliche Gesichter gibt, die ausdrücken, wie sich der Mainstream des Rechtspopulismus bedient, während er sich ihm unterwirft).

Natürlich gibt es eine Reihe von Eigenschaften des Rechtspopulisten als Medium seiner Sprache, die wir in den unterschiedlichen Formen dieser Nicht-Gespenster antreffen. Die wesentliche grammatische Form seiner Aussagen entspricht einer Verwandlung von Angst in Hass. Allfälliges Beispiel: die Ausländer. Sie nehmen euch das Geld, den Lebensraum, die Frauen, die Arbeit, die Religion weg. Also müssen wir etwas dagegen tun, und zwar etwas, das nicht zu bewerkstelligen ist, ohne dass wir ein paar der ohnehin nicht geliebten, nicht verstandenen Gesetze der alten Demokratien außer Kraft setzen.

In seiner (nicht zu sehr) besorgten Beobachtung des Rechtspopulismus hat sich der Mainstream wiederum darauf geeinigt, den Rechtspopulismus als eine Aussageweise zu verstehen, die auf die richtigen Fragen die falschen Antworten gibt. Schon damit beginnt der Mainstream, die Sprache des Rechtspopulismus zu sprechen. Er fällt allzu gern auf eine Konstruktion herein, die eine Art der moralischen Lautverschiebung geschaffen hat. Jeder noch so kurze Besuch in der Kultur des Rechtspopulismus, an ihren Ständen, in ihren Zeitungen, bei ihren Reden etc. belegt sehr deutlich, dass die Adressaten der scheinbaren Verwandlung von Angst in Hass nicht identisch sind mit jenen, deren Leben (als obligatorische Modernisierungsverlierer) eben solche Angst begründen könnte. Noch deutlicher gesagt: In ihren rhetorischen Selbstfeiern verwandeln die Rechtspopulisten nicht so sehr Angst in Hass, der Hass ist schon vorher da, sie konstruieren vielmehr einen Grund für den Hass.

Woher aber kommt dieser Hass, den der Rechtspopulismus in solch abgestuften Variationen für sich zu mobilisieren weiß? Möglicherweise mag es helfen, auf einen etwas verschütteten Unterschied hinzuweisen. Es gibt ein Gefühl, das aus Situationen von Verletzungen und Demütigungen entsteht, und das den friedlichsten Menschen dazu bringen mag, einem anderen Menschen eine Ohrfeige zu versetzen oder Steine auf Uniformierte zu werfen. Nennen wir dieses Gefühl Zorn.

Und es gibt eine Haltung, die in die kulturelle Selbstidentifikation, in das Leben selbst, wenn man so will, eingeschrieben wird; im Gegensatz zum Zorn ist diese Haltung vererbbar, und sie wird in einer Kultur nicht mehr als Störfall, sondern als konstituierende Kraft angesehen. Nennen wir diese Haltung Hass. Der alte, offene Faschist (von denen wir ja auch genügend haben) und der neofaschistische Skin bekennen sich offen zu ihrem Hass; er ist die Grundlage ihrer Gemeinschaft, die Grundlage ihrer Weltsicht, der Kern ihres Lebens. Die Praxis dieses Hasses als Lebensgrundlage ist mehr noch als Terrorismus, es ist Terror als Sprache und System. Deshalb erzeugt der reine Faschist im Mainstream der Gesellschaft Angst. Angst ist der Stoff, aus dem Herrschaft wächst.

Die Sprache des Faschisten gegenüber dem Mainstream ist die von dualer Faszination/Bedrohung. Der Faschist ist der schwarze Retter des Mainstream, er weiß, dass er nur als anderer angesehen werden kann (und er genießt es). Der Rechtspopulist geht genau den umgekehrten Weg. Nichts an ihm ist anders, er spricht mit der Sprache des Mainstream »den Menschen aus dem Herzen«, weshalb er eben nicht nur den Hass aus der Angst zu erklären vermag, sondern ihn auch als Zorn maskiert. Zum Beispiel gegenüber jener mehr oder weniger virtuellen Zentralmacht, die sich um die Belange des »kleinen Mannes« nicht kümmert.

Viele Dialekte

So wie sich die Dialekte des Rechtspopulismus miteinander verzahnen (der Kohlsuppenspießer hier, der smarte Porschefahrer dort), so entsprechen einander auch die rechtspopulistischen Inszenierungen im Mainstream und die Inszenierungen des Hasses.

Es gibt, mit anderen Worten, also wohl so etwas wie eine Sprache des Rechtspopulismus, eine grundlegende Gleichheit im Vokabular, in der Grammatik und in der Stilistik, es gibt das Gesprochene dieser Bewegung, eine rhetorische Praxis, die sich bewegt, verändert, aufnimmt und einverleibt, und es gibt schließlich Dialekte des Rechtspopulismus; er spricht nach Landesart und Tradition, sucht sich Wege in Jargons und Sprechweisen verschiedener Kulturen.

Der Weg, den der Rechtspopulismus in die Mitte der Gesellschaft genommen hat, ist verzweigt und gewunden. Man benutzt die Landschaften, wie sie geworden sind, sucht die Pässe mit den geringsten Widerständen. Und dennoch gibt es erkennbare Strukturen, wie aus regionalen nationale, aus nationalen europäische Grundlagen rechtspopulistischer Herrschaft werden.

Zur Vorgeschichte des Rechtspopulismus gehören die ewig Gestrigen, die faschistische Nostalgie, der antidemokratische Bodensatz, der sich seit den fünfziger Jahren immer wieder bemerkbar macht. Der Mainstream hat diesen alten und neuen Faschismus nie sonderlich ernst genommen, weil ein fetischistischer Gebrauch von Zeichen, Symbolen und Begriffen und die Verehrung für die alten Helden der Bewegung seinen Zusammenhalt schufen.

Selbst wenn man solchen Bewegungen gelegentlich (mehr oder minder klammheimlich) zu überraschenden Gewinnen und zu weniger überraschenden lokalen Ausbreitungen verhalf, war sich der Mainstream darüber im Klaren, dass es sich hier um etwas Verbotenes handelte. Schlimmer aber war, dass aus solcher Rückwärtsgewandtheit von kaum jemandem ein ökonomisch-kultureller Vorteil zu ziehen war. Die alten Nazis standen als gespenstische Figuren jenem Fortschritt im Weg, an dem man zumindest mit dem neuen Automobil und der Kücheneinrichtung teilhaben wollte.

Die Abwehr dieses faschistischen Potenzials gelang, solange die Gleichungen von Kapitalismus und Demokratie einerseits und sozialem und individuellem Fortschritt andererseits aufgingen. Die ersten größeren Krisen in den siebziger Jahren weckten bereits den Zweifel. In der ersten Phase des neuen Rechtspopulismus schien es, als werde aus diesem dumpfen Bodensatz aus ewig Gestrigen und Zurückgebliebenen eine Figur hochgespült, der es gelingt, Unzufriedenheit, Angst und Ressentiment im Namen eines vagen Verlustes zu mobilisieren und damit auch einen offenen Erfolg in der Mitte der Gesellschaft zu erlangen.

Der Rechtspopulismus eines Franz Schönhuber, der sich noch allerlei vom institutionalisierten Rechtspopulismus der CSU unter Franz Josef Strauß abschauen konnte, versprach, die (bislang) schweigende Gruppe der Modernisierungsverlierer, jener also, die sich von Staat und Gesellschaft »im Stich gelassen« fühlten, zu konzentrieren. Der Mainstream nannte die Republikaner denn auch eine »Protestpartei«, und zum zweiten Mal fiel man auf die Sprache herein.

Nicht genug, dass dieser auch ästhetisch einigermaßen aggressive und in der Bierzelthaftigkeit ein wenig peinliche Rechtspopulismus nur falsche Antworten auf richtige Fragen zu geben schien, man schien seiner Klientel auch die durchaus ehrbare Absicht zu unterstellen, den »etablierten Parteien« (»Altparteien« nannten sie die anderen) einen »Denkzettel« zu verpassen.

Man einigte sich darauf: Die Wähler der zumindest teilfaschistischen neuen Parteien seien in Wahrheit gar keine echten Teilfaschisten. Mit dieser Konstruktion wurde nicht bloß ein gesellschaftliches Problem verharmlost, vielmehr wurde auch ein demokratischer Vorgang radikal entwirklicht. Gespenster wählten Gespenster, damit diese »Buuh« zu den etablierten Parteien sagten. Die Wähler des Front National und der DVU wüssten gar nicht genau, wen sie da gewählt haben. Und im Mainstream verinnerlichte man, dass Wähler und Käufer nie denunziert werden, auch wenn sie Faschisten wählen und Pumpguns kaufen. Lasst uns fröhlich denunzieren: Entweder die Leute wissen, was sie wählen, dann hat die bürgerliche Demokratie keine große Zukunft mehr. Oder sie wissen es nicht, dann hat sie nie eine gehabt.

Nachdem die erste Welle des Rechtspopulismus in Europa sich erst einmal gebrochen hatte (von internen Machtkämpfen, die als Erbe der alten faschistischen Subkulturen mit höchst unappetitlicher Rücksichtslosigkeit geführt wurden, einmal abgesehen), obsiegte noch einmal eine kurze Fortschrittseuphorie. Digitalisierung, Neuer Markt, Spaßgesellschaft: Wer dazu gehören wollte, wenigstens mit seinem Lieblingsfernsehprogramm, konnte nicht zugleich bei den teilfaschistischen Rechtspopulisten sein. Solange Faschismus nicht zu Prada, Capuccino und Discos passt, ist dem Rechtspopulisten ein allzu weites Feld verschlossen.

Also lautet eine der ersten Lektionen des Rechtspopulisten der zweiten Generation: Es ist die Hitparade nicht mehr als Hindernis der Faschisierung zu sehen, wenn die Hitparade selber faschisiert wird. Glücklicherweise haben die Jungs im Business die Sache rechtzeitig erkannt. Wenn sich Pop-Faschismus verkauft, verkaufen wir Pop-Faschismus. Denn ohne Pop-Faschismus gibt es keine Erneuerung des Rechtspopulismus.

Viel Personal

Die zweite Welle der Rechtspopulisten hatte von den Problemen der ersten gelernt. Einerseits galt es nun, die drei größten Fehler in der eigenen Sprache zu beheben, nämlich die rhetorische Bindung aller politischen Mythen an das verlorene Alte, das soziale Verlieren und die ästhetische und technische Regression. Der Rechtspopulist der zweiten, der Haider-Generation, phantasierte nicht mehr von ständischem und völkischem Vorkapitalismus, sondern von einer Art hartem Nationalkapitalismus. Der neue Rechtspopulist war in der Mitte der Gesellschaft ökonomisch erfolgreich, und er hatte nichts mehr mit dem Hintergartenfaschismus der Altnazis zu tun. Während sein Vorgänger die Verlierer faschisiert hatte, faschisierte er zumindest den Gewinnertraum, und zugleich machte er aus seiner Bewegung ein kapitalistisches Unternehmen für einen kapitalistischen Markt.

Das war nicht nur eine Imagekorrektur, es war auch die Basis durchaus realer Allianzen. Die alten Rechten beuteten als clevere Geschäftsleute vor allem die eigene Szene aus, immer am Rand der Legalität; die neuen dagegen waren Partner der Industrie und damit vollständig im Rahmen der Gesetze. Der neue Rechtspopulist protestierte nicht mehr, er verkaufte seinen Protest; seine Ausdrucksweise bildete sich nicht mehr im Bierzelt, sondern in Magazinen und TV-Sendungen. Die sexuelle Frage, ein Kern im Wesen des Rechtspopulisten, verschob sich vom Alles-Schlampen!-Frust des hassenden, hässlichen Spießbürgers zum Skilehrerschmäh des hassenden Narziss.

Wie auch immer: Das Sexuelle verbirgt sich hinter einer kollektiven Inszenierung von Brunft. Der neue Rechtspopulist war ein Modell, das sich wie andere Role Models und populäre Mythen auf dem Medienmarkt anbietet (und hier mag sich insbesondere der Markt der volkstümlichen Musik anbieten, auf dem ähnlich selbstverständlich das Bild des feisten Spießers und des schwulen Skilehrers nebeneinander stehen, sexuelle maskierte Sexualität in allen erdenklichen Formen: Rechtspopulismus hat ganz und gar nichts mit Schwulsein zu tun, wohl aber hat, so scheint es, eine bestimmte Art des Subjekts und der Öffentlichkeit, mit dem Schwulsein umzugehen, mit Rechtspopulismus zu tun, oder allgemeiner gesprochen: eine mehrfache Verrückung von Sendern, Empfängern und Formen sexueller Zeichen). Und das Modell Rechtspopulismus ließ sich nun nach Belieben modifizieren.

Dieser zweite und dritte Rechtspopulist funktioniert bereits nicht mehr als das dunkle, verdrängte Andere, das mit faszinierender Kraft aus dem Untergrund der Gesellschaft nach oben steigt, sondern nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. Jede seiner gezielten Entgleisungen ist eine Frage an die Kundschaft: Wie weit wollt ihr gehen? Und die Sprache dieses Rechtspopulismus ist nicht mehr eine der offenen Maskierungen der faschistischen Kerngedanken, sondern eine Sprache der maskierten Offenheit. »Das wird man doch noch sagen dürfen!«, ist der triumphalistische Keulenschlag von Haiders Nachfolgern.

Der Rechtspopulismus der dritten Generation spielt sich auf dem Medienmarkt und daher in »aller Öffentlichkeit« ab. Nicht nur die Krawatten, Automobile, Aftershaves und Aktienpakete also machten diesen neuen Rechtspopulisten für den Mainstream akzeptabel, sondern auch die Inszenierung der medialen Kontrolle. So einer hat sich und so einen haben wir unter Kontrolle.

Die Gefolgschaft, die Ideologie und den Terror des alten Rechtspopulismus hat man indes nicht überwunden, sondern nach unten delegiert. Der jeweils neue Rechtspopulist verwendet immer auch die Sprachen seiner Vorgänger, wenn auch nicht an jedem Ort und zu jeder Stunde. Das große Versprechen seiner Vorgänger, nämlich die Authentizität, überlässt er den dafür zuständigen Teilen seiner Gefolgschaft, er ist so authentisch wie eine Figur in einer Soap Opera, und genau so wird er vom Mainstream auch verstanden.

Eine Soap Opera ist ja nicht nur eine Form des fiktionalisierten Klatsches (der fiktionalisierten üblen Nachrede), sondern auch das derzeit gültige Modell von Gemeinschaft. Was ist eine Gruppe? Was ist »Wir«, was sind »Andere«, wie definieren wir Grenzen? Es gibt weder eine Philosophie noch ein Gesetz dafür, es gibt Soap Operas. Sie haben ihre Schwulen, ihre Ausländer, ihre Psychopathen, ihre Kriminellen und eben auch ihre Faschisten.

Dabei definieren sie genau, was Integration und was Ausschluss bedeutet. Weder ein Projekt noch eine Demokratie, sondern eine rhetorische Übereinkunft, eine Sprache der Worte und Körper, bestimmt darüber. So wie wir den Rechtspopulisten in die Welt als Soap Opera einlassen, so verspricht er uns umgekehrt eine Welt, die wie eine Soap Opera funktioniert. Als militante Selbstorganisation einer Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gegenseitig überwachen und eine klare, wenngleich begrifflose Identität als Gruppe anvisieren. Und wie die Rechtspopulisten instrumentalisieren auch die Mitglieder einer Soap-Opera-Gruppe Sprache und Bild zu Strategie und Propaganda. All ihr Reden und Erscheinen ist das endlose Fragen nach dem Dazugehören. Der Rechtspopulist der zweiten und dritten Generation verhält sich in seiner Gesellschaft so wie einer, der zu einer Soap-Opera-Gruppe gehören will.

Der Rechtspopulist der dritten Generation ist ohne das Fernsehen bereits nicht mehr denkbar. Deshalb ist es kein Wunder, dass nach einem Schönhuber, der als Medienprofi zum rechtspopulistischen Politiker wird und den sein Apparat deshalb ausstößt, nun einer als Rechtspopulist eine ganze Gesellschaft übernimmt, der das Fernsehen besitzt.

Ein Europa

Die Machtübernahme der dritten Generation in Italien stützt sich auf eine Koalition, die anders als in Österreich, nicht mehr eine Allianz von Rechtspopulisten und Bürgerlichen darstellt, sondern vielmehr eine Allianz verschiedener Rechtspopulismen, von nostalgisch-faschistisch bis nationalkapitalistisch, von separatistisch bis zentralistisch. Das funktioniert augenblicklich nur, weil jeder in diesem scheinbar hybriden Machtsystem sozusagen sein eigenes Drama (besser: seine eigene Farce) aufführt. Die rechtspopulistischen Modelle sind phänotypisch von ihrem Projekt abgekoppelt, dem sie genotypisch umso wirkungsvoller dienen.

Was noch vor wenigen Jahren undenkbar schien, ist also durch eine Kombination von Pluralismus und Kontinuität zu einem europäischen Normalfall geworden. Der Rechtspopulismus ist regierungsfähig, sowohl in Koalition mit dem bürgerlichen Mainstream als in seinen verschiedenen, durchaus widersprüchlichen Fraktionen.

Entscheidend dabei ist seine Europäisierung. Während sich die einzelnen Staaten ihrer Rechtspopulisten und Neonazis bislang schämen mussten und sie als Behinderung der Integration und des europäischen Fortschritts ansahen, vergleicht man nun allenfalls noch den Grad an Infektion, das Wachstum aus dem 20-Prozent-Sockel, den wir als gegeben akzeptiert haben. Der Rechtspopulismus ist die größte und einheitlichste Kraft im neuen Europa. Es ist sein Gesicht, was wir, neben den Marken der Konzerne, erkennen können.

Das scheint den Lauf der Dinge zunächst nicht allzu sehr zu stören, zumal sich auch die antieuropäischen Impulse des Rechtspopulismus auf diversen Ebenen perfekt integrieren lassen. Denn wo der Rechtspopulismus an die Macht kommt, arbeitet er sich zunächst einmal nach innen. Seine größte Energie scheint er dabei, neben der Eliminierung der Opposition und der Sicherung der eigenen Geschäfte (denn der Rechtspopulismus dieser Generation ist vor allem als Unternehmen zu verstehen), der Vernichtung der Kultur und der Beherrschung der Medien zu widmen.

Da er nun vollkommen kapitalistisch funktioniert (und der Nationalkapitalismus keineswegs als nationalisierter Kapitalismus, sondern vielmehr als kapitalisierter Nationalismus wirkt, als Verkauf des Nationalismus auf einem multinationalen Markt), steht dieser Rechtspopulismus dem weiteren »Fortschritt« auch nicht im Wege, sowenig er, wie noch als rein nationales Phänomen, nun als europäisierter der Integration im Wege steht. Der Rechtspopulismus steht den vier größten Handelswaren nicht nur nicht im Wege, sondern er fördert sie, jede auf ganz spezifische Weise: Waffen, Drogen, Menschen und Entertainment.

Aber auch noch die vierte, die postmodern pluralistische Form des Rechtspopulismus, die Italien regiert, hat ihre Limitierungen. Einerseits in ihrer Machtentfaltung. (Sie produziert eine neue Form des Widerstands, der sie noch nicht mit umfassendem Terror begegnen darf, auch wenn die Bereitschaft dazu immer wieder ausgelotet wird - nur einer von vielen Versuchsballonen: Wir bezeichnen den Carabiniere, der den Studenten in Genua erschossen hat, als »nationalen Helden« und sehen zu, wie viel Widerstand sich zeigt. Hält er sich in Grenzen, werden wir weitere »na-tionale Helden« in den Abwehrkampf schicken.)

Andrerseits aber auch im realen Projektziel, aus der »verrottenden« Demokratie ein neues faschistisches Konzern-Europa zu produzieren, das in der Welt keinen natürlichen Feind hat und sein Selbstverständnis durch selbst organisierte (Prinzip Soap Opera) und ökonomisch monopolisierte Medien steuert.

Viele Wege

Um diese beiden Ziele zu erreichen, muss der Rechtspopulist der fünften Generation, wie er sich offensichtlich in Deutschland zurzeit herausbildet, drei Dinge erreichen. Er muss den faschistischen Kern aus dem »braunen Sumpf« in jenen Mainstream tragen, den seine Vorgänger dafür fruchtbar gemacht haben, nämlich den Antisemitismus. Die Rehabilitierung des Antisemitismus als eines wesentlichen Teils der modernisierten Hasskultur folgt dabei der Semantik des Rechtspopulismus der vergangenen Generation als ein Versuch von trial and error.

Nach den »provokanten« Vorstößen auf den Gebieten der klassischen Reaktion ist der Diskurs gewissermaßen aus dem Stand als medialer eröffnet worden, Bücher, Zeitungen, Politiker, eine ganze Partei wird mit dem Antisemitismus verkauft. Der Rechtspopulismus der fünften Generation hat den Antisemitismus auf den Markt geworfen, und der Mainstream schnappt danach. Der »Man wird doch noch sagen dürfen«-Antisemitismus verbreitet sich zur gleichen Zeit wie eine Neudefinition der Geschichte.

Österreich zum Beispiel soll nun nur noch angeblich vom Faschismus befreit worden sein, in Italien verschwinden die Via Karl Marx und die Via Che Guevara und man applaudiert, wenn ein »onorevole« (etwa: Honoratior) fordert, nach Benito Mussolini dürfe nicht irgendein Platz der Stadt benannt werden, sondern es müsse der größte sein. Und ein kulturelles Nebenprojekt, das in seiner Wirkung deswegen nicht zu unterschätzen ist, ist eine Umwertung der Sprache mit Begriffen wie »Tabu«, »Diskussion« oder »Freiheit«.

Der Antisemitismus und das rewriting of history als Projekt der fünften Generation des Rechtspopulismus wird nicht in linearer Fortsetzung der rechtspopulistischen Diskurse betrieben. Nicht nur dass es andere Masken sind, die von der rechtspopulistischen Führerschaft getragen werden, beide Diskurse haben auch verschiedene Adressaten im Mainstream der europäischen Gesellschaften. Der Antisemitismus kommt auch in Gegenden der Gesellschaft an, die sich bislang gegen rechtspopulistische Tendenzen gefeit wähnten. Er holt sozusagen die nächste Ladung ab.

Der Rechtspopulist, wenn auch als wechselnde politische Physiognomie, tendiert, wie alle Bilder auf dem Markt, nur einerseits zur Endlosschleife von Serie und Wiederholung. Er wird auf der anderen Seite vom Gebot strategischer und ästhetischer Innovation erfasst. Auf den bizarren Pluralismus des Rechtspopulismus in der vierten Generation folgt nun eine Inszenierung mit unterschiedlichen Rollen.

Am Augenscheinlichsten ist dieses Spiel in der Beziehung zwischen Möllemann und Westerwelle. Natürlich treten beide als Widersacher auf, der eine provoziert, der andere versucht, die Provokation in Grenzen zu halten, nämlich einmal, indem er dem anderen bedeutet, nun seine Provokationen im Zaum zu halten, und zum anderen, indem er - scheinbar - die Bedeutungen dieser Provokationen in der Öffentlichkeit herunterspielt (und daher etliches davon durchaus in die Sprache des Mainstream zu schmuggeln vermag).

Tatsächlich sind die beiden also Komplizen, oder besser gesagt Teamspieler, der Tabubrecher und der Abwiegler vollführen das Schauspiel, das sich früher in jeder einzelnen, so oder so für den Rechtspopulismus anfälligen Bürgerseele abspielte. (Im Übrigen ist es dabei so müßig zu fragen, ob die beiden wissen, was sie tun, wie zu fragen, ob Martin Walser eigentlich weiß, dass er ein Antisemit ist.) Das Spiel heißt »kontrollierter Faschismus«.

Wenn wir nun noch einmal zurückblicken, dann wird wohl einigermaßen deutlich, dass sich die Geschichte des Rechtspopulismus in Europa in zwei Hauptlinien teilen lässt. In eine historische, ästhetische, rhetorische, ideologische und praktische Annäherung an den alten Faschismus auf der einen Seite, und in Bilder, Mythen und Inszenierungen zur Illusion von Kontrolle auf der anderen. Die Vereinigung von Rechtspopulismus und (Neo-) Faschismus steht also in dieser Generation wohl noch nicht auf der Tagesordnung; die Trennung (und subkutane Verknüpfung) hat sich strategisch einfach als zu nutzbringend erwiesen, und mit einem Mann wie Ronald Schill ist man allzu schnell wieder in den Niederungen der ersten Generation.

Die Zeit der hässlichen, durchgeknallten und lauten Kleinbürger ist zwar noch lange nicht vorbei, aber für den Weg in die Mitte, den die vierte und die fünfte Generation so umsichtig vorbereitet haben, stehen sie nicht gerade. Es ist also die Zeit der pluralen Inszenierungen, und schon sind ja in ansonsten nicht vollständig debilen Zeitungen Kommentare der Art zu lesen, dass Deutschland für diesmal wohl noch vom Gespenst des Rechtspopulismus verschont bleibe.

Denn erstens haben wir natürlich mehr als genug davon, und zweitens mag die Frage, warum es hier derzeit keinen rechtspopulistischen (Ver-) Führer vom Schlage Haiders oder Fortuyns gibt mit dem simplen Hinweis beantwortet werden, dass es in Deutschland dafür keinen wirklichen (höchstens einen medialen) Bedarf gibt. Der Rechtspopulismus ist von der Person auf den Diskurs übergesprungen; der Mainstream kann und will sich seiner in dieser Form noch weniger erwehren als man es gegenüber der einen oder anderen Person noch könnte. Möllemann und Westerwelle sind die perfekten Akteure für diese Phase. Man kann sie beide als im höchsten Grade unangenehm, komisch, peinlich, wie auch immer empfinden, den rechtspopulistischen Diskurs haben sie uns trotzdem aufgezwungen. Jedenfalls insoweit, als es da noch irgendwas aufzuzwingen gibt.

Ein Ziel

Nach diesen fünf Generationen des Rechtspopulismus in Europa, die uns vom hässlichen Retro-Kleinbürger über den smarten Manager des Nationalkapitalismus zur Inszenierung rechtspopulistischer Diskurse ohne eigentliches Subjekt geführt haben, wäre eine Hochrechnung auf Generation sechs und sieben kein Ding der Unmöglichkeit mehr. Man muss die bislang entwickelten Elemente und das bislang eroberte soziale und kulturelle Terrain nur zusammenführen.

Die Sprache des Rechtspopulismus und die Sprache des Mainstream sind schon in Generation fünf nur noch schwer auseinanderzuhalten. Es ist alles vorhanden, was eine neue faschistische Herrschaft in Europa ermöglichte, sobald sie den richtigen Menschen als richtige Lösung erschiene.

Natürlich gibt es auch Gegenkräfte. Aber sie sind bereits weiter vom Mainstream entfernt als der Rechtspopulismus. Zur bürgerlichen und zur neuen Mitte gibt es für ihn keine Grenze mehr, nur ein Niemandsland, das von lustigen Musikanten und Strandcliquen durchstreift wird. Der Ausbruch dieser Infektion ist ungewiss, aber eine Heilung ist weit und breit nicht in Sicht.