Achtung! Gegenfluten!

Die Flut hat nicht nur materielle Schäden hinterlassen. Auch die Medien sind von ihr schwer betroffen.

Hochwasser muss bekämpft werden. Mit allen Mitteln. Denn nicht nur die Folgen der Überflutungen sind furchtbar für die direkt davon Betroffenen. Nein, die Erklärungen, die von Würdenträgern, Politikern und einfachen Deutschen, von Redakteuren der Bild-Zeitung und der FAZ angeboten werden, sind es auch.

Die dominierende Sichtweise der Ereignisse zeigt sich in Begriffen wie »Flutkatastrophe«, »Jahrhunderthochwasser« oder »Sintflut«. Sie verstärkt die Vorstellung vom Hochwasser als einem unvorhersehbaren, unverschuldeten, unkontrollierbaren Angriff der »Naturgewalten« (FAZ). Die »braune Flut« erscheint den Deutschen als eine höhere Macht, als ein über sie herfallendes Ungeheuer: »Die Flut frisst sich gierig weiter. Sie verschluckt Dörfer, Häuser, Straßen« (Bild). Furchtbar, das arme, »unverschuldet in Not geratene Volk« (FAZ).

Bemüht wird eine Metaphorik des Ausnahmezustandes und des Militärischen. Denn eine solche Bedrohung erfordert adäquate Gegenmaßnahmen. Häufig werden Wendungen wie »Einsatz«, »Nachschub« (von Sandsäcken), »Kampf gegen die Flut«, »Helden«, »Rückzug der Wassermassen« benutzt, um die Ereignisse zu beschreiben.

»Der Feind ist in diesem Fall eben das Wasser«, zitiert die Nachrichtenagentur dpa den Oberstleutnant Wolfgang Honekamp, den Befehlshaber des Einsatzverbandes am Norddeich der Prignitz (Brandenburg), der seine »Truppen wie in einer Gefechtslage an der Front« entfaltet. »Der Bataillonsgefechtsstand ist in Lanz aufgebaut, weiter vorgeschoben gibt es vier Kompaniegefechtsstände. Jede Kompanie ist - ähnlich Gefechtsstreifen in der Verteidigung - für einen Deichabschnitt zuständig«, erklärt der Oberstleutnant die Situation. Als Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) vorbeikommt, hält Honekamp ihm einen knappen militärischen Lagevortrag. Schließlich kennen sich beide schon lange. Als Schönbohm »noch Brigadegeneral war, hat er unter ihm als junger Leutnant gedient« (dpa).

Kein Wunder also, dass angesichts der Herausforderung »an der Heimatfront« (Sat.1) der Wunsch nach angeblich verlässlichen Autoritäten aufkommt. »Der politische und emotionale Ausnahmezustand« fordert schließlich Instanzen und Persönlichkeiten, die Halt bieten. Und wem wäre in einer solchen Situation mehr zu vertrauen als dem »Deichgrafen«, Brandenburgs Ministerpräsidenten Matthias Platzeck, dem »Mann, den die Flut nicht aufweicht« (Bild)?

Gut gegen die Angst ist außerdem die Erinnerung an ein ähnlich katastrophales, unverschuldetes, von außen über die Deutschen hereingebrochenes Ereignis: »Es ist so schlimm wie im Krieg«, sagt Elisabeth Franke (71) aus Dresden, wo man es ja wissen muss, in der Bild-Zeitung.

Mit dem Vertrauen in die Autoritäten verstärkt sich auch die nationale Rhetorik. Es sind, so lehrt die FAZ, die »Zeiten großer nationaler Solidarität«. Gegen eine Flutwelle hilft nur Gegenfluten, »eine einzigartige Welle der Hilfsbereitschaft« (Bild). An erster Stelle steht für Joseph Fischer die Hilfe für die Opfer, die in einer »nationalen Kraftanstrengung« geleistet werden müsse.

Und es scheint zu funktionieren. »Der Zusammenhalt in unserer Bevölkerung ist stark gewachsen«, verkündet Gerhard Schröder mit gewissem Stolz. Josef Joffe freut sich in der Zeit, dass »Vater Staats Wohlstandskinder zu Tausenden an die Wasserfront geströmt sind, um zu schippen und zu helfen, zu schleppen und zu trösten. Und zwar ohne jeden Marschbefehl. (...) Es herrscht sozusagen Krieg und alle gehen hin.«

Gespendet wird großzügig und selektiv. Schon damals, zu Zeiten der Oderflut, hatte die Caritas dazu aufgerufen, auch den Betroffenen außerhalb Deutschlands finanziell zu helfen. »Dann hagelte es böse Anrufe«, erinnert sich Jürgen Lieser, der Leiter des Referats Katastrophenhilfe-Koordination. »Auch jetzt wollen viele Deutsche nur für die vom Hochwasser in Bayern, Sachsen und entlang der Elbe betroffenen Menschen spenden«, berichtet die FAZ. Man muss eben zusammenstehen, und da ist Kritik nicht angebracht.

Sogar der Union fällt angesichts des Regierungsvorschlages zur Entschädigung der Flutopfer nicht mehr viel ein. »Jetzt ist die Opposition in der Bredouille. Verhindert sie im Bundesrat das Gesetz, erntet sie den Vorwurf, die Fluthilfe zu verweigern« (Braunschweiger Zeitung).

Auch Nestbeschmutzer wie Faulenzer, Gaffer und Diebe duldet die Nation in Notzeiten nicht. »Dreiste Sand-Diebe karrten Säcke weg«, titelte Bild. Keine Frage, dass solche schamlosen Gestalten nicht ungeschoren davon kommen dürfen. »Die Männer kassierten Strafanzeige, die Säcke sind sie los.«

Doch damit ist es nicht getan. »Jetzt kommen die Plünderer«, warnt die gleiche Zeitung, und tritt selbst in polizeiliche Aktion. »Ertappt! Der Bild-Fotograf erwischte diese Männer bei dem Versuch, zwei Waschmaschinen zu klauen. Die Täter entkamen.« Diesmal keine Genugtuung. Aber die zentrale Botschaft des Artikels folgt noch: »Die Männer rufen etwas auf Russisch, laufen weg.« Besonders von Ausländern will man sich jetzt nicht beklauen lassen.

Über andere schadenfrohe Ausländer schreibt Franz Josef Wagner in seinem Kommentar in Bild: »Die linksliberale Londoner Tageszeitung The Independent hofft in ihrem Leitartikel, 'dass die Fluten das alte, schlechte Deutschland fortschwemmen'.« Das sieht Wagner freilich ganz anders. »Liebe Flutopfer, lasst euch nicht beirren, es sind die Tugenden des guten, alten Deutschlands, mit denen ihr die Katastrophe übersteht. Wir sind nicht nur gut in Autos, auch in Katastrophen.« Fest steht jedenfalls: »Wer sich in Deutschland immer selbst half (...), war immer das Volk.«

Doch selbst in der größten Not gibt es noch Positives zu berichten. »In kleinen Dörfern packen ganze Vereine zu, kämpfen mit sportlichem Ehrgeiz gegen die Katastrophenstimmung«, berichtet Bild. »Das fand ich toll. Für die Kinder hat das natürlich auch Abenteuercharakter«, pflichtet Probst Peter Glozik in der FAZ bei.

Fast könnte man mit dem eigenen Schicksal als Unbeteiligter hadern, wäre da nicht dieser Aufruf zur Mitarbeit: »All das soll nicht vergessen werden! Deshalb hat Bild beschlossen, einen Bild-Orden für Flut-Helfer zu stiften (...) Und Sie, liebe Bild-Leser, können mitbestimmen, wer die Medaille erhält.«

Ein Glück, die Gemeinschaft lässt dich doch nicht allein. Auch wenn sich die Lage langsam entspannt, ist die Jahrhundertflut noch längst nicht ausgestanden. Höchste Vorsicht ist weiterhin geboten. »Wir müssen alle wachsam bleiben«, sagte Platzeck am vergangenen Wochenende. »Die Elbe schläft nicht, sie lauert nur.«