Musik aus Berlin

Wo alles verdirbt

Die Musik, die aus der deutschen Hauptstadt kommt, war unwichtig, ist unwichtig und wird unwichtig sein.

Anders als Hamburg oder Düsseldorf hat Berlin in den letzten 40 Jahren populärer Musik in Deutschland nie einen Sound hervorgebracht, von dem man hätte sagen können: »Ah, das ist bestimmt Musik aus Berlin.« Techno war immer der Sound of Detroit, House blieb ein Gewinn aus Chicago und war stets nur in die hiesigen Clubs entliehen. Dass aber die elektronische Musikszene in Berlin etwas »Eigenes« hervorgebracht hätte, kann man nicht behaupten. Frickelelektronik aus London klingt wie Elektronikgefrickel aus Berlin. Und selbst wenn man die achtziger Jahre, also die Musik der Tödlichen Doris und der Einstürzenden Neubauten nimmt, so war das eigentlich immer nur das »Andere«, das »Verrückte«, das dabei als Synonym für Berlin stand.

Hier gibt es natürlich eine Ausnahme. In Ostberlin existierte eine vitale Musikszene, die aus Bands wie La Deutsche Vita, Zwitschermaschine, Rosa Extra oder Ornament & Verbrechen bestand, allerdings kaum Tonträger hinterlassen hat und daher nicht wiederentdeckt werden kann.

Es geht jedoch darum, etwas wiederzuentdecken. Da sich die Popjugend, allen Schutzbehauptungen der Popliteraten zum Trotz, nicht erinnern kann, muss sie in die Secondhandläden gehen und sich an alte Platten halten. Wiederentdeckt werden soll das Schöne, das Schöne an Berlin.

Mia, eine junge Band aus Berlin, versucht so zu klingen wie Ideal oder Nichts, sie kriegt aber leider die entsprechenden Texte nicht hin und bleibt daher weichgespülte NDW. Dennoch behauptet ihre Plattenfirma tapfer: »Mia rockt«. Und sie geht davon aus, dass sich ältere Hörerinnen und Hörer nicht erinnern können.

Rosenstolz wiederum peppen sich optisch für ein Album auf, das keine Überraschungen bietet, aber auf nicht unangenehme Weise den Schlager mit der Jugend versöhnt; die Sängerin Anna R. trägt die Tagesproduktion eines Kohlebergwerks als Augenringe, und der Sänger Peter Plate ist hübsch unkonventionell verwuschelt und trägt das radikale Friedenszeichen auf dem T-Shirt.

Bei Paula dagegen changiert die Musik irgendwo zwischen Disko und Ballade, die Band will elegant sein, aber nicht zu sehr. Die Quarks wiederum geben sich etwas ehrlicher, machen jetzt auch englische Texte, doch auch hier flötet die Sängerin. Ebenso bei 2raumwohnung, einem Projekt, das eigentlich nur einen Werbesong machen wollte und jetzt schon die zweite LP veröffentlicht. Die Sängerin Inga Humpe, die zuvor bereits mit den Neonbabies Teil der NDW war, säuselt hier, wie ihre Kolleginnen, Gemeinplätze über Liebe, Herzschmerz, Wunder und »gute Tage« ins Mikrophon.

Das alles kann man mögen. Man kann sich freuen, dass es, bei aller Beliebigkeit, dennoch Unterschiede in den Sounds gibt, dass selbst dort, wo die Bands sehr bewusst an die Berliner Wohnzimmerbars aus den Mittneunzigern erinnern wollen, sich kein typischer Stil durchsetzt und dass Berlin somit keine Musikhauptstadt wird.

Doch diese letzte Freude währt nicht lange, denn trotz dieser Uneinheitlichkeit werden diese Bands in der Außendarstellung mit Berlin verbunden, die Musiker müssen sich zu Berlin äußern, und manchmal, wie im Falle Paulas oder Mias, geben sie auch noch damit an, dass sie in Berlin genau so leben, wie sie es ansonsten in Hamburg tun würden. Und sie scheinen damit ein Bedürfnis zu befriedigen.

Welches Bedürfnis aber mag das sein? In den letzten zwei Jahren, nachdem wirklich jeder Zentimeter des einstigen »wilden Ostens« der Stadt durchkapitalisiert wurde, aus den touristisch relevanten Teilen des Bezirks Mitte eine Art Neu-Heidelberg entstand und auch der letzte rentenschwache DDR-Großvater seine Wohnung in Friedrichshain hat räumen müssen, ist Berlin so langweilig wie jede andere deutsche Großstadt auch.

Vielleicht sogar ein bisschen langweiliger, zumindest für Popkids. Da die Eintrittspreise in Berlin im Vergleich zu anderen Städten noch recht niedrig sind, einfach weil eine breite wohlhabende Mittelschicht nicht vorhanden ist, kann man sich nicht mal hinter verschlossene Türen sehnen. Das Party-Berlin hat nur ein Geheimnis, das aber besteht aus den Arisierungen der dreißiger Jahre, die bis heute die Besitzverhältnisse in West- wie in Ostberlin prägen. Doch von »Politik« will die sonst so moralische Popmeute ja bekanntlich lieber schweigen.

Zu all dem kommt, dass die Stadt finanziell und intellektuell ruiniert ist, dass sie von Leuten regiert wird, die bessere Bauernpräsidenten wären, dass ihre Tageszeitungen provinzielle Blättchen sind, ihre Springbrunnen versiegt und ihre Schwimmbäder geschlossen sind und ihre Arbeitslosenquote immens ist. Schließlich aber verströmt die Stadt nicht einmal Glamour, was man von einer kapitalistischen Metropole erwarten dürfte, und wenn sich einmal internationale Stars hierher verirren, so begegnen sie dem Berliner VIP-Mob mit kaum verhohlener Herablassung.

Dagegen regt sich Widerstand. Er will aber nicht an die Ursachen dieses Verfalls rühren, will nicht über Kapital und Deutschtum reden, sondern die Stadt mit Pop und Rock verschönern. Alle genannten Bands sind die reine Affirmation von Berlin, sie helfen der Hauptstadt, sich als solche zu behaupten, obschon jeder halbwegs bürgerliche Staat sich ihrer schämen müsste. Die Platten macht das nicht besser oder schlechter, das penetrante Auftreten für Berlin aber nervt. Wie so viele andere unterstützen die Musikerinnen und Musiker aktiv die Regression, die diese Stadt darstellt, indem sie sie verklären.

Dafür haben sie zwei Methoden. Zum einen verkaufen sie sich als Paare, die es zum Startum bringen, und deren einziges Anliegen es noch ist, die perfekte Liebe in sich zu spüren. Die Neue Mitte verewigt sich in diesen Pärchen, er macht zumeist die Musik und schreibt die Texte, sie singt, hat so am Erfolg teil und verbindet fein Rolle und Karriere. Das Duo gibt sich stets intim und bekennt sich zu einer Tradition mit modernem Anstrich. Dabei verkauft es sich zudem als authentisch. Ein Lied über das Elend mit den Kindern, über die Kneipenjobs oder auch nur über den Tourneestress ist nicht zu erwarten. Die Pärchen bedienen stets das Seelchen, und da sie damit - zumindest in der Öffentlichkeit - gut fahren, haben sie Recht. Sie machen Berlin herzlich, schön, nett.

Die andere Variante ist jene, die Mia und Rosenstolz bedienen, weitere werden folgen; das ist schon jetzt an der immer größer werdenden Zahl von Modewavern ablesbar. Eine Band wie Mia steht vor dieser kaputten Stadt und will sie heil machen, daher greift sie in die Geschichte zurück. Da die Bandmitglieder aber weder 50 Jahre alt sind noch in der Jungen Union mitarbeiten, bleibt ihnen der Rückgriff auf Preußens oder Honeckers schönste Jahre verwehrt. Folglich müssen sie in die achtziger Jahre ausweichen, sich punkig geben und, während sie von den Wohnklötzen in Hellersdorf und Marienfelde nichts wissen wollen, die »rockige« Seite der Stadt zeigen, die der Normalwestbürger auf dem Alexanderplatz findet. So historisieren sie nicht nur die Musik, die sie ihre »eigene« nur schwerlich nennen können, sondern auch die Stadt, die damit »schon immer« was Gutes hervorbrachte. Und damit holen sie sich dann die Berechtigung für ihr Dasein, das natürlich, das macht sich gut, stets wieder ein streng authentisches ist.

So retten sie Berlin für sich. Dass man jedoch von dem Zeug, das, glaubt man der deutschen Musikpresse, ein nationales Großereignis ist, im Ausland kaum etwas wissen will, verwundert nicht. Berlin ist eine piefige Stadt, und sie wird es bleiben müssen, denn sie ist die Hauptstadt eines verderbten Landes. Von Liebe und Herzeleid aber singen in England, Brasilien oder China sogar die Bienen auf dem Felde. Und Neopunks, die Papas Lieblinge sind, gibt es dort auch. Warum sich also sowas aus Deutschland holen?

Mia: Hieb und Stichfest (Sony)
2raumwohnung: In wirklich (BMG)
Rosenstolz: Macht Liebe (BMG)
Quarks: Triggermehappy (Columbia)
Paula: Warum Berlin (Columbia)