Vor dem Beginn des neuen Semesters

Lieber flanieren!

Die Universitäten sind Orte der Verdummung auf hohem Niveau.

Die Waffen zu schärfen, um sie gegen die Widrigkeiten der Verhältnisse zu richten, ist neben der Hingabe an Sex, Drugs and Rock'n Roll die einzig sinnvolle Beschäftigung vernünftiger Menschen. Darum liest man als wissbegieriger Mensch auch schlaue Bücher und liebt die leidenschaftliche Diskussion mit Freunden. Man ist ständig auf der Suche nach mehr.

Zweimal jährlich erwischt einen zu Semesterbeginn die universitäre Bescherung. Dank einer schwer zu erklärenden Gedächtnisschwäche ist die Vorfreude immer wieder groß. Man wälzt erwartungsvoll die Vorlesungsverzeichnisse und stößt auf die aufregendsten Themen. Die Zahl der Gegenstände, mit denen man sich beschäftigen möchte, steigt unaufhörlich, und der eigene Stundenplan wird immer unübersichtlicher. Man ahnt bereits, dass man sich zu viel aufbürdet, doch nirgends will man Abstriche machen. Das geballte Wissen der vergangenen Jahrhunderte will schließlich entdeckt werden. Man zählt die Tage, bis die Uni ihre Pforten öffnet und kann es kaum noch erwarten.

Sich der Uni dann räumlich zu nähern, ähnelt jedoch eher dem Gang zum Zahnarzt. Man weiß, was einem blüht, aber man kann nicht umkehren. Zu diesem Zeitpunkt überwiegt noch die Illusion, man könne in den Seminaren etwas lernen und in mitreißenden Diskussionen dem Sinn des Weltgeschehens auf die Schliche kommen. Spätestens mit dem Beginn der ersten Seminarsitzung bricht diese Illusion dann in sich zusammen.

Bereits mit der Vorstellung des Seminarplans offenbart sich das ganze Grauen. Die Gegenstände werden so zerstückelt, dass es einem fast körperliche Schmerzen bereitet. Den Regeln der Wissenschaft folgend, werden so genannte Begriffe isoliert und feinst ziseliert. Dann werden diese merkwürdigen Konstrukte mit einer Prise Empirie vermischt, und fertig ist das neue Wissen.

Manche Kommilitonen schaffen es sogar, über Immanuel Kant und Karl Marx hinauszugehen. Innerhalb weniger Minuten vertreten sie gegensätzliche Thesen und heben die Widersprüche nicht theoretisch, sondern praktisch auf, indem sie deren Exisenz schlichtweg ignorieren. Das fällt auch nicht weiter auf, solange der Jargon stimmt. Man kann den dumpfesten und blödsinnigsten Mist erzählen, wenn man es nur versteht, sein Publikum mit großartigen Worthülsen zu beeindrucken. Dann lauscht es ehrfürchtig.

Auch die Freude, den Zwängen des Arbeitsmarktes für die Zeit des Studiums enthoben zu sein, ist eine trügerische, zumal den meisten dieses Vergnügen ohnehin nicht zuteil wird. Und die Zwänge der Uni sind nicht minder unangenehm, wenn auch weniger offensichtlich. Es mag einem gelingen, seine Seminare in den Nachmittag zu legen, was nachtaktiven Menschen wie mir sehr entgegenkommt. Dennoch ist man dem Apparat hilflos ausgeliefert.

Man kann unvorbereitet zu den Seminaren erscheinen. Dadurch schafft man sich den Raum und die Zeit, eigenen Interessen nachzugehen. Oder man bereitet sich vor und wird mit schlechten Texten malträtiert. Bei guten Texten muss man miterleben, wie ihnen in den Seminaren jeglicher Gehalt geraubt wird. Scheitert der Versuch, dem kritischen Gedanken in einer Seminardiskussion zu seinem Recht zu verhelfen, einmal nicht, so wird diesem seltenen Glück ein jähes Ende bereitet. Die Zeit ist um, in der nächsten Woche folgt ein anderes Thema. Und trotzt man der mechanisierten Wissensakkumulation heldenhaft einige Erkenntnisse ab, so kann man immer noch an der bürokratischen Verwaltung seiner Wissenskarriere scheitern. Der Schein zählt, das ist die oberste Maxime.

Als politischer Raum wird die Uni seit 1968 romantisiert. Die glorreichen Zeiten der Studentenbewegung gab es nicht wegen, sondern trotz des akademischen Rahmens. Die Starrheit des universitären Systems widersprach den gesellschaftlichen Anforderungen damals wie heute. Und jede Protestbewegung kriegt, was sie verdient. Heute sind das mehr Bleistifte für alle und Noten für die Dummheit statt Mittel für den Umsturz.

Jeder Kinobesuch mit einem anschließendem Kneipengespräch unter guten Freunden ist erhellender als ein dröges Referat über die Kulturindustrie. Und vergnüglicher sind die Kneipen allemal.