Die Flut der V-Männer

Im Prozess gegen die Skinheads Sächsische Schweiz weigert sich das sächsische Innenministerium weiter, seine V-Leute zu benennen.

Der Prozess sollte eigentlich ein Musterverfahren werden, ein wenn auch verspätetes Zeichen staatlicher Entschlossenheit, gegen rechtsextreme Strukturen vorzugehen. Am 12. Dezember ließ die Staatsschutzkammer des Landgerichts Dresden die Anklage gegen die mutmaßlichen Aktivisten der verbotenen Neonazigruppierung Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) zu.

Vorsorglich splitteten die Strafverfolger die Verfahren gegen die 20 Angeklagten in drei Prozesse auf. Zum Vorwurf der »Bildung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung« nach Paragraf 129 des Strafgesetzbuches kommen noch weitere hinzu: Körperverletzungen, schwerer Landfriedensbruch und Propagandadelikte aller Art.

Den Auftakt des Prozessreigens bildet die Verhandlung gegen die vermutete Führungsgarde der SSS, etwa gegen deren Mitbegründer Thomas Sattelberg, einen ehemaligen Sozialarbeiter der Arbeiterwohlfahrt in Pirna, und gegen Thomas Rackow, den mutmaßlichen »Wehrsportbeauftragten« der SSS. Sattelberg wird in dem Prozess, der Anfang August vor dem Landgericht Dresden begann, vom Regensburger Anwalt Günther Herzogenrath-Amelung verteidigt, der schon als Verteidiger des NS-Kriegsverbrechers Erich Priebke auftrat. Thomas Rackow greift auf die Dienste des Berliner Anwalts Carsten Schrank zurück, der einen der Angeklagten im Gubener Hetzjagd-Prozess verteidigte.

Doch der Prozess kommt nur langsam voran. Zunächst war es eine Antragsflut der Verteidiger, die das Gericht blockierte. Dann überschwemmte das Elbehochwasser Pirna, die Heimatstadt der SSS, und sorgte damit für einen Prozessabbruch durch höhere Gewalt. Und nun ist es das V-Mann-Problem, das den Prozess gefährdet.

Bereits im Mai hatte der Vorsitzende Richter Tom Maciejewski das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz darum gebeten, mögliche V-Männer unter den sieben Angeklagten und rund 90 Zeugen zu benennen. Daraufhin unterzeichnete der sächsische Innenminister Horst Rasch (CDU) einen Sperrvermerk für Teile der Ermittlungsakten aus dem Verfahren, das das sächsische Innenministerium bis zum Verbot im Frühjahr 2001 betrieben hatte.

In wenigen Zeilen erklärte zudem der Chef des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz, dass es weder strafbare Handlungen in Auftrag gegeben noch solche gefördert habe. Auch habe das Amt keinen Einfluss auf die Aktionen der SSS genommen. Eine Erklärung, die kaum das Papier wert sein dürfte, auf dem sie geschrieben steht.

Ähnlich wie die NPD in ihrem Verbotsverfahren nehmen auch die Verteidiger der SSS-Aktivisten die V-Mann-Frage dankbar auf, um ihre Mandanten als verführte Unschuldslämmer darzustellen. Der Antrag der Verteidiger, das Verfahren auszusetzen, bis die Namen der Informanten offen gelegt seien, brachte das Gericht unter Zugzwang. Die Weigerung des Innenministeriums und des Landesamtes für Verfassungsschutz, mögliche V-Leute unter den Prozessbeteiligten zu identifizieren, behindere »die Erforschung der Wahrheit« und stelle »einen empfindlichen Eingriff in den Gang der Rechtspflege dar«, kritisierte der Richter Maciejewski und griff zu einem ungewöhnlichen Mittel. Mit einer so genannten Gegenvorstellung setzte er dem Innenministerium ein Ultimatum, sich erneut zu äußern.

Die Antwort kam fristgerecht am Dienstag vergangener Woche und enthielt wenig Überraschendes: Auf sieben Seiten ließ Innenminister Rasch erklären, warum er keinesfalls die Identität seiner Informanten preisgeben werde. Zum einen sei die Sicherheit der Informanten gefährdet, zum anderen bestehe ein übergeordnetes »Staatsinteresse« an einem funktionsfähigen Geheimdienst, und der sei nun mal nicht mehr arbeitsfähig, wenn er seine Quellen nicht schützen könne.

Maciejewski entschied daraufhin, den Prozess trotzdem fortzusetzen und die Aussetzungsanträge der Verteidiger vorerst zurückzustellen. Er behalte es sich vor, beim Eintritt in die Beweisaufnahme, die nach dem Geständnis eines der Hauptbelastungszeugen und Mitangeklagten, Martin Dinse, in dieser Woche beginnen soll, dem Innenministerium eine erneute Gegenvorstellung zuzustellen, sagte Maciejewski.

Sein Umgang mit dem Problem der V-Männer scheint vor allem von dem Wunsch bestimmt zu sein, den Prozess mit einem revisionssicheren Urteil abzuschließen. Denn schon jetzt versuchen die Verteidiger der Angeklagten offensichtlich, mit dem Hinweis, die V-Leute hätten ihre Mandanten zu den Taten angestiftet, den Prozess platzen zu lassen.

In dem Prozess sollen mehrere schwere Überfälle aus den Jahren 1998 und 1999 aufgeklärt werden, darunter ein Angriff vom Juli 1998, bei dem Vermummte auf linke Jugendliche einprügelten, die am Elbufer bei Pirna gegrillt hatten. Die Opfer erlitten teilweise schwere Kopfverletzungen, ein junger Mann wurde in den Fluss gestoßen. Zwei Monate später schlugen die Rechtsextremisten im nahe gelegenen Kurort Gohrisch zu. Sie gingen nach Zeugenaussagen mit Baseballschlägern, Schlagstöcken und Zaunlatten auf junge Linke los, die auf dem Weg zur Dorfdisco waren. Im Mai 1999 erreichte der Terror einen Höhepunkt, als knapp zwei Dutzend Vermummte die verbliebenen Besucher eines Konzertes auf einem Fabrikgelände in einem Vorort von Pirna überfielen und misshandelten.

Erst nach dem letzten Überfall im Mai 1999 reagierten die Sicherheitsbehörden. Die Sonderermittlungsgruppe »Elbsandstein« wurde eingerichtet, nachdem die örtliche Polizei im Einklang mit etlichen Kommunalpolitikern die Existenz rechtsextremer Strukturen über Jahre hinweg schlicht geleugnet hatte. Die Ermittler stießen auf eine Neonazigruppierung, deren Mitglieder größtenteils aus der Mitte der dörflichen und kleinstädtischen Gesellschaft der Sächsischen Schweiz kommen, als Schüler, Lehrlinge, Sozialarbeiter und Angestellte ihr Auskommen haben und über beste Verbindungen verfügen: Von der NPD bis hin zu Verwandten, die beim Bundesgrenzschutz und der Polizei arbeiten. Bislang blieben Vorwürfe, die Beamten der Sicherheitsbehörden hätten die SSS vor Razzien und Kontrollen gewarnt, unwidersprochen.