Populismus lohnt sich, aber welcher mehr?

Möllemann war's

Der neue Antisemitismus der Liberalen wurde von der Gesellschaft angenommen.

Die Erklärung geht so: Mit ihrem Versuch, antisemitische Ressentiments zu schüren, sei die FDP bei der Bundestagswahl gescheitert. Verantwortlich für das enttäuschende Abschneiden der Liberalen sei Jürgen W. Möllemann, zugleich aber beweise das Ergebnis, dass hierzulande mit Antisemitismus nicht zu punkten sei. Schließlich sei der Stimmenzuwachs der FDP insgesamt gering und Gewinne am rechten Rand würden durch Verluste in der Mitte wieder ausgeglichen. Diese Behauptung ist nicht einmal zur Hälfte wahr. Genau genommen ist sie doppelt falsch.

Was die Stimmenzahl betrifft, so streiten selbst hartgesottene Westerwelle-Fans mittlerweile nicht mehr ab, dass es für das Abrutschen der FDP von ihren Umfragehochs etliche Ursachen gibt - vom Versinken des Guidomobils in den Fluten der Elbe bis zur Inhaltsleere des »Projekts 18«. Doch über ein Thema herrscht weitgehend Schweigen: Die Gewinne der FDP in Möllemann-Land, wo er seine Faltzettel noch kurz vor der Wahl verteilen ließ. 9,3 Prozent hat er dafür in Nordrhein-Westfalen bekommen. Das sind zwei Prozent oder rund 200 000 Stimmen mehr als bei der Bundestagswahl 1998. Es sind auch zirka 25 Prozent mehr, als die FDP mit ihren 7,4 Prozent bundesweit erreichte. Von den ungefähr 450 000 Stimmen, die die Partei insgesamt dazugewann, kann Möllemann folglich fast die Hälfte auf seinem Konto verbuchen. Eine Ablehnung antisemitischer Ressentiments ist daran nicht zu erkennen, nicht einmal Indifferenz, sondern das Gegenteil. Dort, wo dieser Kurs konsequent eingeschlagen wurde, gab es die größten Gewinne.

Nun ließe sich dagegen einwenden, dabei handle es sich um einen regionalen Besonderheiten geschuldeten, obendrein begrenzten Erfolg, der nicht überbewertet werden dürfe. Doch ähnlich wie das Bild von der stabilen und gegen Antisemitismus resistenten Mitte, verharmlost eine solche Argumentation den politisch-kulturellen Backlash.

Im kulturellen Bereich hat bekanntlich Martin Walser mit seiner Paulskirchenrede die Offensive eröffnet. Große Teile der Öffentlichkeit applaudierten dann während der Kontroverse über die Zwangsarbeiterentschädigung einem Norman Finkelstein und seinen Halluzinationen über die angebliche »Ausbeutung des Holocaust« durch die jahrzehntelang geprellten jüdischen NS-Opfer und deren Organisationen. Das aktuelle Zwischenergebnis spiegelt sich in den letzten Umfragen wider. Über 30 Prozent der deutschen Bevölkerung macht sich Antisemitismus zu Eigen. Dramatisch daran ist, neben dem rasanten quantitativen Anstieg, gerade der Umstand, dass es sich bei diesen Herrschaften zumeist um Leute mit Golf- statt Baseballschlägern handelt. Die Mitte der Gesellschaft ist selbst zum Problem geworden.

Das populistische Projekt 18 setzt auf diese ideologischen Verschiebungen. Die FDP soll zum »Sprachrohr des Volkes« werden; der »Tabubruch« soll ihr die Attitüde des Freiheitlichen verleihen. So ging es Möllemann nicht nur darum, Sympathien für antisemitische Attentäter zu bekunden, sondern Deutschland aus dem Schatten von Auschwitz zu lösen und die aus dem Philosemitismus resultierenden Prinzipien der Bonner Republik aufzukündigen. Guido Westerwelles Hartnäckigkeit, mit der er Möllemann trotz aller Unterschiedlichkeit im Detail zunächst den Rücken freihielt, demonstriert die generelle Akzeptanz dieser Position durch die FDP-Spitze. Der neue Antisemitismus ist nicht nur eine kulturelle Strömung, sondern in die Politik einer etablierten Partei eingegangen.

Dieser qualitative Sprung ist mindestens ebenso wichtig wie die Frage, in welchem Ausmaß die FDP von dieser Strategie profitierte. Da mag sie sogar, nicht zuletzt wegen des Zerwürfnisses zwischen Westerwelle und Möllemann kurz vor dem Wahltag, ihre Möglichkeiten nicht ausgeschöpft haben. Es könnte sich hieraus sogar ergeben, dass beide künftig zu den Verlierern zählen. Möllemann, weil er die FDP nicht auf seinen Kurs bringen kann und deshalb sein Glück (wie manche vor ihm) in einer Rechtsabspaltung suchen muss. Westerwelle, weil er Vorsitzender einer Partei ohne wirklichen populistischen Chic bleibt. Doch selbst wenn beide ihr Werk nicht vollenden sollten, haben sie für ihre Nachahmer den Weg bereitet.