USA vs. Irak

Kriege und Friedensfreunde

Gegen die Pläne der US-Regierung, den Irak anzugreifen, macht eine internationale Friedensbewegung mobil. Ist sie ein Teil des Problems oder ein Teil der Lösung?

Bald könnte es so weit sein. In den USA haben der Kongress und der Senat beschlossen, die Irak-Politik des Präsidenten George W. Bush zu unterstützen, während der Aufmarsch gegen Saddam Hussein fast vor dem Abschluss steht. In Europa und den USA machen währenddessen die Kriegsgegner mobil. Für Ende Oktober wurden Großdemonstrationen angekündigt.

Nun gibt es viele gute Gründe, gegen diesen Krieg zu sein. Und viele Zweifel, die sich an seine Gegner richten. Im folgenden sollen einige offene Fragen formuliert werden, die es zu diskutieren gilt.

Beginnen wir mit den Gründen, die für einen möglichen Krieg gegen den Irak angeführt werden. Seit Monaten tragen die Regierungen der USA und Großbritanniens unermüdlich die Beweise zusammen, die einen Angriff legitimieren sollen. Wenn sie stimmen, dann ist der Irak auf dem besten Weg, biologische, chemische und atomare Waffen zu produzieren. Und dass er sie einsetzen wird, wenn er die Gelegenheit dafür sieht, daran besteht in London und Washington kein Zweifel.

Eine Überprüfung dieser Belege ist allerdings kaum möglich. Selbst der Leiter der CIA, George Tenet, bezweifelte kürzlich, dass momentan vom Irak eine ernsthafte Gefahr ausgeht. Die Bedrohung, die es angeblich zu bekämpfen gilt, könne sogar durch den Angriff überhaupt erst geschaffen werden. Auch dass das Land in absehbarer Zeit über ein ernst zu nehmendes militärisches Potenzial verfügen kann, wird bezweifelt. Selbst Teile des politischen Establishments der USA wie die ehemalige Außenministerin Madeleine Albright warnen vor einer militärischen Aktion.

Noch gravierender als die dürftigen Beweise sind die politischen Implikationen, die ein Angriff nach sich ziehen dürfte. Die Erklärung Bushs, notfalls auch ohne ein Mandat der Uno anzugreifen, könnte de facto das Völkerrecht außer Kraft setzen; die neue US-Militärdoktrin eines »Präventivschlages« ist ein weiterer Schritt in diese Richtung. Schließlich lassen sich die Kriterien, die für den Irak gelten, auf Dutzende andere Staaten übertragen. Einen willkürlichen Despoten, systematische Menschenrechtsverletzungen und ein diktatorisches Regime gibt es nicht nur im Irak. Vermutlich gilt das sogar für die Mehrheit der in den UN vertretenen Nationen.

Dass es nun ausgerechnet gegen das irakische Regime gehen soll, legt andere Motive nahe. Viele Kriegsgegner behaupten, die Vorwürfe gegen Saddam Hussein seien nur ein Vorwand, um die tatsächlichen Motive zu verschleiern. Vielmehr gehe es um die Kontrolle des Mittleren Ostens, des Gebietes mit den größten Energiereserven der Welt. Der Angriff sei nicht mehr als der Versuch einer Hegemonialmacht, die ökonomische und politische Vorherrschaft zu behalten und auszubauen.

Es gibt aber auch gute Gründe, diese Argumente nicht für die entscheidenden zu halten. Die Staaten des Mittleren Ostens befinden sich seit geraumer Zeit in einer Stagnation. Der ökonomische Reichtum der Region nützt in der Regel nur den oligarchischen Regimes, die alles dafür tun, dass sich am Status Quo nichts ändert; eine Entwicklungsperspektive im kapitalistischen Sinne haben sie nicht, die gesellschaftlichen Widersprüche sind eingefroren. Die Regimes legitimieren sich, indem sie alle Widrigkeiten auf die Politik des großen Satans, der USA, und seines Verbündeten, Israels, zurückführen. Es ist daher kein Zufall, dass sich der Hass in diesen Ländern gerade auf diese beiden Staaten konzentriert.

Doch ebenso wie die europäische Nahost-Politik, die mit dem Desaster der palästinensischen Intifada einen Rückschlag erlitten hat, steht auch die US-amerikanische Politik in der Region vor einem Trümmerhaufen. Das Embargo gegen den Irak funktioniert nicht richtig, das irakische Regime sitzt fest im Sattel. Und die Verwicklung von Teilen des saudi-arabischen Establishments in die Anschläge vom 11. September ist offensichtlich.

Jahrzehntelang haben die Vereinigten Staaten die Despoten in der Region gestützt. Nun kündigen sie an, wie etwa in den achtziger Jahren in Lateinamerika, von den Diktaturen abzurücken und stattdessen eine bürgerliche Herrschaftsform durchzusetzen. Die Gründe dafür sind sicherlich alles andere als altruistisch. Diese Herrschaftsform bietet stabilere Rahmenbedingungen für die Akkumulation als unkalkulierbare Oligarchien. Zudem nützt es Israel, wenn sein erklärter Feind Saddam Hussein gestürzt wird.

Verfolgen die Konservativen in den USA also aus den falschen Gründen die richtigen Ziele? Wer in dieser Entwicklung die »List der Geschichte« am Werke sieht, muss allerdings eine Antwort auf die Frage haben, wohin die Reise geht. Die Etablierung bürgerlicher Verhältnisse diene als Voraussetzung emanzipatorischer Politik, denn nur dann sei es möglich, irgendwann die kapitalistischen Verhältnisse zu überwinden. Fraglich ist diese These schon deshalb, weil damit implizit die Möglichkeit einer nachholenden Entwicklung vorausgesetzt wird.

Was aber wäre, wenn diese Voraussetzungen schon längst nicht mehr gelten? Wenn die nachholende Akkumulation gar nicht mehr möglich ist? Wenn selbst Staaten wie Argentinien wegen der Weltkrise kollabieren, warum soll dann der Mittlere Osten ausgerechnet durch einen Krieg in ein prosperierendes Gebiet verwandelt werden?

In diesem Falle wäre eine andere Perspektive ebenso möglich. Dass sich der Konflikt nicht lokal und zeitlich begrenzen lässt, sondern sich in einen Dauerzustand verwandelt. Ein Krieg, in dem sich die halbwegs privilegierten Inseln der Akkumulation gegen den »barbarischen« Rest der Welt verteidigen und immer wieder intervenieren, wenn dort die Kontrolle zu entgleiten droht. In diesem Sinne wäre der mögliche Einsatz gegen den Irak nur der Beginn einer Epoche, die den Status quo militärisch vor den Weltmarktverlierern sichert. Statt eine dialektische Wendung zu vollführen, würde die Entwicklung nur realpolitischen Interessen folgen.

Gegen solche Szenarien macht nun auch die Friedensbewegung, wie kürzlich etwa in London, Rom und Madrid, bald auch in Berlin, Washington und New York mobil. Doch hier sind bei den Motiven zumindest einige Zweifel angebracht.

Große Teile der globalisierungskritischen Bewegung haben schon lange vor dem »Krieg gegen den Terror« den Hauptschuldigen für das Elend in der Welt ausgemacht. Die neoliberale Hegemonie sei verantwortlich für die weltweite Verelendung und soziale Ungleichheit und auch für die politischen Probleme, die daraus entstehen: Krieg, Terror und Unterdrückung. Der eigentliche Schurkenstaat seien die USA, die diese Politik in der ganzen Welt durchgesetzt hätten. Gut möglich also, dass aus dieser Sichtweise eine eigentümliche Allianz entstehen könnte, in der sich Kriegsgegner und traditionelle Antiimperialisten gegen den vermeintlichen Hauptfeind USA wenden und dabei dem reaktionären Potenzial der Islamisten kaum Beachtung schenken.

Es ist kein Zufall, dass sich die Globalisierungskritiker erst in zweiter Linie gegen die politischen und wirtschaftlichen Eliten in Europa richten, und auch nur in dem Sinne, dass sie die neoliberalen Vorgaben aus Übersee übernommen hätten.

Dabei wird kaum registriert, dass sich Europa und die USA längst in einer offenen Konkurrenz befinden, was sich am deutlichsten im Mittleren Osten zeigt. Insbesondere auf die Entwicklung in Deutschland darf man gespannt sein, denn zum ersten Mal könnte eine mögliche Friedensbewegung - im Gegensatz etwa zum Kosovo-Krieg - mit der Regierung weitgehend einer Meinung sein. Gut möglich, dass auf der nächsten Friedensdemonstration Vertreter der rot-grünen Regierung mitmarschieren.

Denn die US-Politik gegenüber dem irakischen Regime hat bei der deutschen Regierung Befürchtungen ausgelöst, dass die Interessen des deutschen Establishments zu kurz kommen könnten. Es droht der Verlust von Absatzmärkten in der Region, insbesondere aber des Zugangs zu »strategischen Rohstoffen«, die nach den »verteidigungspolitischen Richtlinien« von 1992 von der Bundeswehr zu sichern sind.

Die Friedensbewegung könnte somit Gefahr laufen, den Frieden mit dem eigenen Establishment mit der Kritik am rivalisierenden US-amerikanischen zu verbinden. Matthias Matussek drückt es in Spiegel-online so aus: »Der deutsche Kanzler, man sollte es nicht glauben, ist mittlerweile eine Widerstands-Ikone. Selbst in der Demonstration im Central Park wurde Schröder auf einem Transparent gefeiert.«

Die Kategorien, die im großen Maßstab gelten, werden im kleinen auch auf den Nahost-Konflikt übertragen. Israel betreibe eine koloniale Politik, die den Palästinensern keine Wahl lasse, als sich gewaltsam zu verteidigen. Die Selbstmordattentate werden zwar nicht unbedingt für gut befunden, sie stoßen aber auf viel Verständnis, gelten sie doch als Verzweiflungstaten von Unterdrückten, die sich eines übermächtigen Feindes erwehren müssen.

Die Hilfe, die die EU der palästinensischen Autonomiebehörde gewährt, deckt sich so mit der Solidarität von links, die ebenfalls fast ausschließlich den Palästinensern gilt. Die Tatsache, dass die zweite Intifada von islamistischen Gruppen entscheidend beeinflusst wird, stößt dabei ebenso wenig auf Ablehnung wie der Umstand, dass die vehemente Kritik an Israel in Europa von den heftigsten antisemitischen Attacken der Nachkriegszeit begleitet wird.

Eine Allianz gegen den Krieg könnte durchaus erschreckende Züge annehmen, als eine Koalition aus Linken, deutschen und europäischen Patrioten, Pseudokritikern des Kapitalismus und islamistischen Gruppen, die sich auf einen schlechten gemeinsamen Nenner einigen: die USA als Symbol der kapitalistischen Modernisierung, die es zu bekämpfen gilt. Und wenn es sein muss, auch mit Hilfe reaktionärer Argumente.

Die Debatte ist eröffnet.