»Punk mit Punk provozieren«

Jubiläen, die gefeiert werden wollen, müssen rund sein. Nicht bei den Goldenen Zitronen. Die Band aus Hamburg gibt es seit 18 Jahren, sie ist somit volljährig und nimmt das zum Anlass, eine erste Rückschau zu halten. »Aussage gegen Aussage« heißt die Doppel-CD, die bei anderen Bands schlicht »Best Of« heißen würde. Schorsch Kamerun ist Sänger der Goldenen Zitronen und neben Ted Gaier das letzte verbliebene Gründungsmitglied der Band. Er spielt gelegentlich auch in anderen Bands, hat eine Soloplatte als Sylvesterboy herausgebracht und inszeniert seit einiger Zeit auch Theaterstücke.

Gestern wolltest du dich lieber nicht unterhalten. Weil du verkatert warst?

Gestern war ich in Düsseldorf bei der Ausstellung von Daniel Richter ...

... der fast alle eure Plattencover gestaltet hat, auch das neue mit Helmut Kohls Visage. Da warst du bei der Ausstellung als Punkprominenz sozusagen ein Spezialgast.

Was heißt denn Punkprominenz? Daniel ist einer meiner ältesten Kumpels, wir kennen uns noch aus alten Schleswig-Holsteiner Tagen Ende der Siebziger. Er hat die Band vom ersten Demotape-Cover an begleitet.

Du machst inzwischen ja auch nicht mehr ausschließlich Musik. Du hast in Hamburg Hubert Fichtes »Palette« inszeniert und gerade erst Hanns Eisler in deinem Stück »Hollywood-Elegien« bei der Ruhr-Triennale in Essen. Ist das Theater für dich in Zeiten von entpolitisierter Popkultur inzwischen die adäquate Form zu intervenieren?

Ich weiß es nicht genau. Es gibt ein paar Spielstätten, wo man das gut kann, Orte wie die Berliner Volksbühne. In den letzten Jahren hat sich das schon so entwickelt, dass da auch ein paar Leute, denen man sich verbunden fühlt, etwas ermöglichen. Da hat sich einfach in den Neunzigern etwas verschoben. Vor zehn, 15 Jahren hätte man das aus unserem subkulturellen Blickwinkel gar nicht für möglich gehalten, dass man Theater vielleicht als einen Ort betreibt, in dem man was machen kann. Ich denke, dass das ein Ergebnis dieser ganzen Privatisierungstendenzen der Medienstrukturen ist.

Du wirst ja plötzlich auch von den Theaterleuten wahrgenommen. In der SZ gab es kürzlich eine Rezension über dein letztes Stück, in der der Autor zugab, noch nie einen Song von euch gehört oder irgendetwas mit Punk zu tun gehabt zu haben.

Ich würde eher sagen, der hat mich eben nicht wahrgenommen. Das war eigentlich klar, wenn so jemand daherkommt, der fragt sich dann natürlich: Ja, wo war denn jetzt der Punk? Erstaunlicherweise gab es aber gute Kritiken in der Welt und der FAZ.

Daran merkt man, dass sich in der Presselandschaft auch einiges verschoben hat.

Das stimmt schon. Aber das liegt auch einfach an dem veränderten Ort Theater, obwohl es hier noch ein wenig Zeit braucht, bis die Leute sich ganz normal damit beschäftigen.

Erntest du von der alten Klientel aus Punkzeiten heute Kritik für das, was du machst, so etwas wie »Kultursnob« zum Beispiel?

Es gibt schon Vorbehalte, die ich selber ja auch habe. Aber beschweren tut sich eigentlich niemand. Ich glaube, die Themen, mit denen ich mich als Künstler auseinandersetze, sind alles andere als snobistisch.

Wobei das Beschweren bei euch, den Goldenen Zitronen, ja dazu gehört. Eure Geschichte ist geprägt von Aussagen gegen die Ära Kohl in Deutschland, so suggeriert es euer neuer Plattentitel. Aber ihr habt euch, wenn man so will, auch immer wieder gegen eure eigenen Fans und deren Erwartungen gewandt. Zum Beispiel habt ihr irgendwann Rockabilly und Schlager eingeführt, was für manche Punks nun gar nicht drin war. Da war plötzlich eben Schluss mit Spaßpunk.

Das liegt einfach in unserer Natur, dass wir uns an den gefestigten Orten nicht mehr wohl fühlen, weil sie schnell zu starr werden. Da braucht man ja nur ein bisschen zurückschauen. Als wir anfingen, war der Ort, an dem wir spielten, die Hafenstraße in Hamburg. Musikalisch wurde das alles aber irgendwann zu starr, eingefahren und konservativ. Der Punk wurde dann so ein fetter Kloß, den wir einfach überhaupt nicht mehr weiter aufblähen wollten. Man hat sich da selbst drin gefallen, und ewig »schneller, härter, lauter«, das reicht dann irgendwann auch mal.

In der Situation war es gut für uns, was völlig anderes zu machen und Punk sozusagen mit Punk zu provozieren. Es war dabei weniger unsere Idee, sich immer wieder neu zu erfinden, wir wollten immer wieder einfach weg von dem, wo wir sicher und gefestigt standen.

Das war für euch wahrscheinlich auch die einzige Möglichkeit, als Band 18 Jahre lang zu überleben, ohne in die totale Starre zu verfallen.

Wir haben uns immer schnell gelangweilt mit dem, wie wir gerade so standen. Auch mit dem, was von außen kam, wie im krassesten Fall: unserer ersten Karrierephase, wo man eine Reaktion auf etwas bekommt, wie man sie sich gar nicht vorstellen konnte. Da singen dann tausend Leute in voller Einigkeit »Für immer Punk«, obwohl der Song ja eigentlich ironisch gemeint war.

Nochmal zu eurem neuen Plattencover. Ist das nicht ein bisschen nostalgisch, Kohl? Okay, es ist eine Rückschau, und in die zurückliegenden 18 Jahre fällt hauptsächlich die Ära Kohl, aber eigentlich sind heute die Probleme doch andere.

Dewegen heißt es ja »Aussage gegen Aussage«. Das beschreibt auch so eine eigene Unsicherheit. Da kann man keinen programmatischen Titel verwenden, so etwas wie »So schön war die Zeit« oder etwas Abschließendes. Es geht auch nicht nur um Kohl als Symbol. Das Cover macht sich eher ein bischen lustig darüber, Geschichte einrahmen zu wollen.

Die Compilation spiegelt auch die Heterogenität eures Schaffens wider. Man soll eure Entwicklungen nochmals nachvollziehen.

Es gab Zeiten, da wollten wir das alles nicht mehr haben. Wir mussten uns von unserem festgefahrenen Erscheinungsbild sehr distanzieren. Aber dieses Mal ging es uns so, dass wir da mit einer gewissen Lockerheit an eine Sache gehen konnten. Wir sind ja kleine Zeugen dieser Zeit. Es war auch nochmal ein Nachvollziehen dessen, wie sich das angefühlt hat in den jeweiligen Momenten, eine Art Spurensuche.

Es gibt eben auch nicht die eine zitronentypische Sache. Bei anderen Bands gibt es viel mehr Eindeutigkeiten. Bei uns ist das einfach eine gemischte Geschichte, und jeder Einzelne von uns hat auch schon ganz andere Sachen gemacht. Die Band ist nicht unsere einzige Identität. Wir mussten uns immer wieder öffnen, nicht aus einem theoretischen Gedanken, sondern aus dem Gefühl heraus, die Sicherheitszone wieder verlassen zu müssen. Weil man sonst darin hängen bleibt. Ted beispielsweise hat mehrere Bands und auch mit Theatersachen zu tun. Wir können das gar nicht anders.

18 Jahre alt bedeutet erwachsen zu sein. Die Zitronen sind aber doch schon länger erwachsen, oder?

Das ist natürlich auch wieder Spaß. Wir hatten keine Lust, auf das 20jährige zu warten. Erwachsen braucht man heutzutage außerdem gar nicht mehr zu sein. Man will es eigentlich auch gar nicht, um sich die Freude daran zu erhalten, etwas zu machen, was man eben nicht handwerklich oder professionell erlernt hat.

Aber erwachsen zu werden, heißt ja auch, ernst genommen zu werden. Das wollt ihr doch?

Ich glaube, dass will jeder und jede. Davon bin ich fest überzeugt. Schwierige Frage trotzdem. Ich glaube, das will man wirklich. Aber es gelingt einem nicht immer. Es wackelt oft. Eben Aussage gegen Aussage.