Die Zeitschrift Alert

Sag doch mal, ...

Die Berliner Zeitschrift Alert druckt ausschließlich Interviews und schöne Fotos. Das muss man einfach gut finden.

Frage an Peter Hein: »Hörst du deine eigenen Platten?« Peter Hein: »Einmal - wenn die Platte aus dem Presswerk kommt, einmal Kontrollhören, das war's. Ich habe bei meinem letzten Umzug unzählige Kartons mit eigenen Platten weggeschmissen.« Eine Frage, eine Antwort, und schon wird klarer als in den meisten Texten über den Sänger der Fehlfarben und Family 5, was für ein Mensch er ist. Einer, der halt Musik macht, sich selbst um sie aber weniger kümmert als so einige seiner Mitmenschen.

Nachzulesen ist dieser Interviewdialog in der neuesten Ausgabe der Berliner Zeitschrift Alert, in der es nichts anderes zu lesen gibt als Interviews. Das Gespräch erstreckt sich, inklusive einer großzügigen Fotostrecke, über zehn Din-A 4-Seiten. Alert räumt allen Prominenten, für die es sich interessiert - und das können vom Fußballer Lars Ricken bis hin zum Jazzmusiker Joe Zawinul recht unterschiedliche Persönlichkeiten sein -, viel Platz zur Entfaltung ein.

Denn die Redaktion hält nicht viel davon, ein gedrucktes Gespräch auf das Wesentliche zu verkürzen, sie will nicht bloß mal, husch! husch!, so nachrichtenmagazin- oder tageszeitungsmäßig ein paar zitierfähige Informationen aus den Befragten herauspressen. Das Magazin pflegt vielmehr eine Form des Interviews, die Unterhaltung ist, mehr Plauderei als Befragerei. Denn wir haben Zeit, und ja, uns interessiert wirklich alles.

Wahrscheinlich ist es ein großes Missverständnis anzunehmen, ein Interview müsse möglichst direkt auf den Punkt kommen. Was interessiert denn wirklich an einer Person, einer prominenten dazu, die man zwar kennt, aber natürlich nicht wirklich? Doch nicht nur, warum sie die Songs ihrer neuen Platte so und nicht anders genannt hat oder wie genau man nun die Thesen ihres aktuellen Buches zu verstehen habe.

Nein, man möchte doch eigentlich viel mehr wissen, Dinge, die einen auch bei einem guten Freund interessieren. Hast du wirklich eine Vorliebe für Schokoladenkuchen? Wo kaufst du denn deine CDs? Über derartige scheinbar ephemere Informationen erschließt sich der Promi dann plötzlich von einer ganz anderen Seite. Es wird klar, dass er eben nicht nur prominent ist, sondern in gewissen Dingen eben auch wie ich und du. Das hat gar nichts damit zu tun, dass man ihm den Glamour, das Geheimnisvolle, das eigentliche Kapital des Promis, entreißen möchte. Im Gegenteil, man beschäftigt sich ja noch viel mehr mit ihm, stellt sich noch mehr Fragen, würde eigentlich noch viel, viel mehr über ihn wissen, erhöht ihn als derartiges Objekt seiner Wissbegierde geradezu.

Trotz all der Suche nach Nähe, die in Alert durchgehend spürbar ist, wird nie versucht, dem Gesprächspartner auf den Pelz zu rücken, ihn mit einer provokanten Fragetechnik, wie man sie in den Journalistenschulen lernt, aus der Reserve zu locken.

Es geht um Seriösität. Desavouierende Fragen werden nicht gestellt, der Gesprächspartner wird nicht bloßgestellt. Man wartet lieber ab, hat ja Zeit, zehn Seiten lang, trinkt erst noch einen Kaffee, und gerne entlarvt sich der Redende dann irgendwann selbst. So wie DJ Hell, der Coverboy der aktuellen Ausgabe von Alert. Es ist einfach köstlich, wie er zwischen Größenwahnsinn und Zurückhaltung laviert, wie er sich gegen die Münchner Bussi-Gesellschaft ausspricht und dennoch deutlich zu verstehen gibt, dass er beim Auflegen nie Schultheiss trinkt, sondern natürlich Champagner.

Streng genommen gibt es Alert bereits seit zehn Jahren. Damals war es ein Egozine des Herausgebers Max Dax, der einfach ein großer Fan von Andy Warhols Magazin Interview war, das, so Dax, »zumindest in den Siebzigern und Achtzigern wirklich großartig war«. Glamour, Underground, Dekadenz und Lifestyle kamen bei Interview in einer Form zusammen, die einmalig war.

»Wow, so etwas kann man machen? Liza Minelli fragen, wo sie ihren Pudel frisieren lässt?« beschreibt Dax rückblickend seine Begeisterung für Warhols Magazin. Alert sollte dementsprechend das deutsche Interview werden, auch weil es »in Deutschland keine Zeitung und kein Magazin gab, die das Gespräch, auch über unwichtige Dinge, so zulässt«.

Vier Ausgaben gab es damals von Alert. Dann war Schluss. Das Magazin konnte nicht genügend Käufer finden. Doch die Idee ist gut, davon war der von Phantomschmerzen geplagte Dax immer überzeugt. Und so berichtet er nochmals davon, wie er immer wieder einer Freundin, Sibylle Trenck, die sich heute um die Gestaltung der Zeitschrift kümmert, etwas vorgejammert habe. Von einem Magazin mit einer Idee, die sich doch eigentlich auch auf dem deutschen Markt durchsetzen lassen müsste. Und so hat man es nun nochmals versucht, zusammen, neben Dax ist nun auch Trenck eine Herausgeberin, was auch die paritätische Gewichtung von Text und Bild bei Alert betonen soll.

Noch befindet sich die Zeitschrift in der Durchsetzungsphase, sie ist unterfinanziert, und die Arbeit ist »echt hart.« Doch eigentlich läuft alles super bisher, sämtliche Ausgaben nach dem Relaunch sind vergriffen und die Reaktionen auf das Heft ermutigend. »Die überraschendsten Resonanzen erreichen uns gerade von Seiten, von denen man es gar nicht erwartet hätte. Von Leuten aus der Werbeindustrie kriegen wir Anrufe, die meinten, dass sie das Interview mit Noam Chomsky super gefunden hätten. Gerade die linksradikalen Themen kommen bei Leuten gut an, von denen man das gar nie gedacht hätte.«

Ab der nächsten Ausgabe wird Alert deshalb regelmäßig alle zwei Monate mit einer Mindestauflage von 25 000 Stück erscheinen. Sicherlich lässt sich auch der bombastische Erfolg des Interview-buchs »Verschwende deine Jugend« als Ermutigung deuten.

Eigentlich müsste es dieses Mal wirklich hinhauen mit Alert. Denn das Magazin funktioniert einfach. Es ist weder eine reine Zeigeistpostille wie Tempo oder Park, noch eines dieser Peoples-Magazine, in denen irgendwelche Stars vor ihrer Schrankwand posieren und dazu dummes Zeug von sich geben dürfen. Es hat eher was vom SZ-Magazin in seinen besseren Momenten und ist eine Alternative zum gepflegten Austausch von Belanglosigkeiten, zu dem Popstars verstärkt in Magazinen oder Stadtzeitungen verdammt sind.

Immer wieder überraschende Situationen herzustellen, das ist doch das Wunderbarste, was ein Periodikum zu leisten in der Lage sein kann. In der aktuellen Ausgabe wird der Countrystar Willie Nelson in seinem engen Tourbus besucht, während nebenbei Steaks mit Bohnen gekocht werden.

Zu Beginn des Gesprächs mit Klaus Theweleit in Sylt blickt man erstmal gemeinsam aufs Meer. Es wird dokumentiert, wie Ulrich Wickert plötzlich Passagen aus seinem Interview oder lieber gleich das ganze Gespräch zurückziehen möchte, und letztlich hat sich mit Peter Hein auch nicht irgendjemand unterhalten, sondern Andreas Reihse von der Düsseldorfer Band Kreidler. Ein Musiker spricht mit einem Musiker, das eröffnet doch ganz neue Gesprächsmöglichkeiten, und gerade darauf legt Alert es förmlich an.

Puh, was für eine Lobhudelei, was für eine Eloge auf eine Zeitschrift. Doch so ist das eben manchmal, wenn man sich in etwas verliebt hat. Das letzte Wort soll noch einmal interviewgerecht Max Dax haben. Was genau will Alert in Form und Inhalt, was andere, entfernt verwandte Magazine nicht wollen? »Keine schöne Welt zeichnen, die es gar nicht gibt. Es geht eher um Entglamourisierung, um etwas Dokumentarisches.«

Alert. 4,40 Euro