Kommt herunter, reiht euch ein!

Die deutsche Friedensbewegung plant dezentrale Aktionen gegen den Krieg. In ihren Aufrufen geht es nur selten um die Repression im Irak.

Die Front der Gegner eines Irakkriegs holt zum Präventivschlag aus. Zum weltweiten Aktionstag gegen einen möglichen Krieg gegen den Irak haben auch in Deutschland hunderte von Friedensgruppen aufgerufen. Am kommenden Samstag soll mit Massendemonstrationen ein Krieg verhindert werden, dessen Beginn zum Zeitpunkt der Protestplanungen noch gar nicht abzusehen ist. Der Aktionstag soll eine Solidaritätserklärung für die Kriegsgegner in den Vereinigten Staaten sein, dem Staat also, der von den Organisatoren des Protesttages als Hauptaggressor im aktuellen Konflikt wahrgenommen wird.

Nun gibt es sicherlich viele gute Gründe, gegen einen Angriff auf den Irak zu sein. Aber während die Friedensbewegung in den USA gegen die Politik ihrer Regierung opponiert, lässt sich in Deutschland kaum mehr unterscheiden, ob die Friedensbewegung oder die rot-grüne Truppe aufmarschiert. Die kategorische Ablehnung eines Krieges und ein perfides Desinteresse an der Demokratisierung des Irak einen alle, die vor wenigen Monaten noch verfeindet waren.

Zur Rechtfertigung des Einsatzes der Bundeswehr im Kosovo mussten die Menschenrechte herhalten. Damals, vor drei Jahren, argumentierte die rot-grüne Regierung, das diktatorische Regime Slobodan Milosevics könne nur von den Bomben der Nato gestürzt werden. Mit dem Hinweis auf die Verletzung der Menschenrechte in der Bundesrepublik Jugoslawien und speziell im Kosovo wurden die damaligen Kriegsgegner marginalisiert.

Heute erwähnt nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die Friedensbewegung höchstens in Nebensätzen, dass im Irak ein Diktator und sein Parteiapparat durch systematischen Mord, durch Folter und Hunger eine Nation zugrunde richten und Minderheiten wie die Kurden in den Nordirak vertreiben. Die Forderung, die irakische Opposition in ihrem Bestreben zu unterstützen, einen Systemwechsel herbeizuführen, scheint den deutschen Kriegsgegnern nicht so wichtig zu sein. Die wiederholte Erklärung der irakischen Opposition, sie wünsche zwar keine Invasion der USA, aber sehr wohl deren Unterstützung bei einem Sturz Saddam Husseins, findet in den Aufrufen zum 26. Oktober keinen Widerhall.

Ein seltsames Schweigen herrscht auch bezüglich der so genannten Antiterrorpakete des Bundesinnenministers Otto Schily. Dass diese rot-grüne Regierung die Möglichkeiten des Staates zum Aushorchen, Anklagen und Abschieben erweitert hat, ist den Schreibern der zahlreichen Aufrufe für den 26. Oktober kaum eine Zeile wert.

Auch die Bundeswehreinsätze in Afghanistan und auf dem Balkan werden zur Nebensache, weil Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Außenminister Joschka Fischer (Grüne) eine deutsche Beteiligung an einem Krieg gegen den Irak beharrlich ablehnen. Schon trauen sich die ersten Grünen wieder auf die Bühne und treten bei Antikriegsveranstaltungen als Redner auf. Und der einzige bundesweite Aufruf zum 26. Oktober stammt von der Jugendorganisation der SPD, den Jusos.

Wer gedenkt, sich dem Protest am 26. Oktober anzuschließen, der sollte einen Blick auf den lokalen Aufruf in seiner Stadt werfen, der unter der Internetadresse www.friedenskooperative.de einzusehen ist. Denn der Aktionstag ist dezentral organisiert. Eine zentrale Demonstration sei »nicht nötig«, da die deutsche Regierung ja ohnehin gegen einen Irakkrieg sei, hieß es aus dem Kreis der Veranstalter. Eine Woche vor dem Aktionstag hatten 36 örtliche Bündnisse ihre Veranstaltungen in verschiedenen Städten beim Netzwerk Friedenskooperative angemeldet.

Die Aufrufe sind unterschiedlich, manchmal stehen radikalpazifistische, ein andermal speziell auf den Schutz des Irak bezogene Argumente im Vordergrund. Meist wird das Leid der irakischen Zivilbevölkerung im Kriegsfalle angesprochen, ihr Leid unter Saddam Husseins Regime dagegen nicht.

Das Trierer Bündnis gegen den Krieg lehnt einen »Krieg als Mittel der Politik grundsätzlich ab« und bevorzugt »friedliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Unrechtsregimen«. Dabei bietet es auch sehr ausgefallene Argumente gegen einen Krieg: »Lärm und Umweltzerstörung sowie Emissionen des giftigen Nato-Treibstoffs JP 8, welches vor allem die Anwohner schädigt«.

Nur wenige lokale Bündnisse erkennen die Brisanz einer Friedensbewegung, die einseitig und oberflächlich gegen die von Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen geleitete Politik der US-Regierung argumentiert. Ein Beispiel aber ist das Kölner Aktionsbündnis gegen Krieg und Rassismus. In dessen Aufruf findet sich in der zentralen Passage wenigstens einmal der Satz: »Saddam Hussein ist ein Diktator, der das Volk unterdrückt.« Die konsequente Forderung der Kölner lautet: »Für Frieden und Demokratie im Irak!«

In den meisten anderen Aufrufen arbeiten sich die Pazifisten an den USA ab. Ihre weniger pazifistischen Partner im Kampf gegen die US-Regierung - wie etwa die von Saddam geführte Baath-Partei, deren Repräsentanten im Ausland sich als Opfer imperialistischer Aggression gerieren - können für so viel Unterstützung eigentlich nur dankbar sein. Und sie sind es auch, wie es in der vorigen Woche der Gruß des irakischen Vizepräsidenten Izzet Ibrahim an die »freiheitsliebenden Völker« der Welt bewies.

Interessant ist auch die Referentenliste des »Irak-Kongresses«, der am 1. und 2. November in Berlin zur Nachbearbeitung des Aktionstages geplant ist. Nach der Absage von Rowsch Nuri Shaways, dem Präsidenten der kurdischen Nationalversammlung im Nordirak, steht nun kein einziger irakischer Oppositioneller mehr auf der Gästeliste. Stattdessen wurde Mazin Al-Ramadhani, Parteigänger des Baath-Regimes und Dekan des Politikinstituts der Universität in Bagdad, aufs Podium geladen. Weitere irakische Referenten sind nicht vorgesehen.

Sieht man sich die Liste der Veranstalter des Kongresses an, ist auch die Zusammensetzung der Podien keine Überraschung mehr. Die Initiative gegen das Irak-Embargo mit ihrem Sprecher Jamal Karsli (FDP) findet sich ebenso wie die Deutsch-Arabische Gesellschaft, deren Vorsitzender Jürgen W. Möllemann (FDP) ist.

Unterstützt werden der Berliner Kongress sowie der bundesweite Aktionstag auch von der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG/VK) und dem Bundesausschuss Friedensratschlag. Dessen Sprecher Peter Strutynski ist besorgt, »dass der Kongress zum Anlass genommen wird, zu sagen, die Organisatoren würden einseitig Stellung beziehen für Hussein«. Doch genau dieser Verdacht drängt sich auf.

Das größte Glaubwürdigkeitsproblem der derzeitigen Antikriegsallianz ist wohl ihre Anfälligkeit dafür, von Saddam Husseins Regime instrumentalisiert zu werden. Denn ihre zentralen Forderungen korrespondieren zu sehr mit denen der Bagdader Führung. So soll vor allem das Embargo gegen den Irak aufgehoben werden. Eine Folge davon wären wohl florierende Waffengeschäfte westlicher Firmen mit einem diktatorischen Regime, das weiterhin jede demokratische Regung im Keim ersticken kann.

Zum Problem der ungenügenden Distanzierung von Saddam meint Strutynski: »Wir und Hussein sind zwei verschiedene Welten.« Dass ein Ende des Embargos zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur Saddam nützen würde, glaubt der Friedensforscher nicht. »Es könnte sein, dass die Bevölkerung nicht mehr still hält, wenn die obersten Cliquen profitieren«, hofft er. Doch ganz sicher ist er auch nicht: »Man müsste sich besser im Inneren des Irak auskennen.«