Was soll aus dem Brandenburger Tor werden?

Open This Gate!

Warum das Brandenburger Tor zum Knotenpunkt für Schwertransporte werden sollte. Ein Plädoyer

Endlich wissen wir wieder, wo vorn und hinten, links und rechts liegt. Das Brandenburger Tor scheidet die Lager wie einst Moses das Rote Meer. Links sehen wir die Partei des Fortschritts, angeführt vom ADAC und der ihm angeschlossenen FDP, rechts die Nationalästheten der SPD und der PDS. Ziehen wir mitten hindurch!

1983 sprach der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Richard von Weizsäcker, vermutlich das erste und letzte Mal in seinem langen Leben die Wahrheit, fast die Wahrheit: »Die deutsche Frage ist so lange offen, wie das Brandenburger Tor zu ist.« Der Pöbel begriff, riss die Absperrungen beiseite und demolierte in der Silvesternacht 1989/90 die Quadriga samt Eisernem Kreuz, Symbol des deutschen Sieges über den Weltgeist zu Pferde. Die deutsche Frage ist so lange offen, wie es Deutschland gibt, also lasst es uns mit Hammer und Meißel in kleine Stücke zerlegen und nach Japan schicken.

Der Pöbel wurde arbeitslos, die Quadriga gerettet und repariert, doch nun marschierten die Love Parade und ihre Million Mannheimer Marsmännchen, nahmen das Tor in die Mitte, als ob es der Raumteiler einer Disco wäre. Leider verbot das Ordnungsamt Dr. Motte, vom Tor herab und die Siegesgöttin im Arm, Eierkuchen für alle zu fordern. Oder hat er den Antrag nicht gestellt?

Spätestens zu dieser Zeit müssen die Denkmalschützer zu murren begonnen haben. Aber, keine Atempause, schon versetzte die Deutsche Telekom dem Heiligtum den nächsten Hieb. Sie beauftragte die Werbeagentur Springer & Jacoby, das Tor mit bedruckten Planen zu behängen. Das Tor als Fußballtor, das Tor als Geschenkpaket, das Tor als Tor, es war schon alles sehr töricht und erfüllte also seinen Zweck.

Thomas Flierl (PDS), damals Baustadtrat des Bezirks Berlin-Mitte, untersagte den Auftritt von Paulchen Panther auf der Plane, aber vielleicht doch nur, weil ihm Paulchen sympathisch ist. Er hatte jedenfalls gegen die Verhängung an sich nichts einzuwenden. Ein Mann von Geschmack; als solcher hätte er auch die Verpackung des Reichstags begrüßen müssen, wäre sie nur von Karstadt oder Iglo gesponsert worden und überlebensgroß Verona Feldbusch auf der Folie erschienen. Das wäre ein »Blubb« gewesen, so war es bloß ein Bluff.

Auch die Verpackung des Tors musste, so energisch die Telekom sich sträubte, fallen - aber in welch großartiger Show! Willy Bogner gestaltete den Kasten als eine gigantische Hose, der er, sich von einem Heißluftballon abseilend, den Latz herunterzog. Die Wiedereröffnung als johlend beklatschter Striptease, das war die tiefste narzisstische Kränkung, die den Torpatrioten zugefügt werden konnte, seit Napoleon Bonaparte die Siegesgöttin in den Louvre entführte. Für einen kurzen historischen Moment hatte die Poplinke die Macht inne, aber so diskret, dass selbst Bundespräsident Johannes Rau, ohnehin nicht der Hellste, »helle Freude« empfand.

In diesem Stil hätte es weitergehen können, doch die Sozis sind ja an der Macht. Der Erhaltung der »strahlenden Schönheit des nationalen Denkmals und der Ästhetik des Pariser Platzes« wegen, so Verkehrssenator Peter Strieder, dürfen künftig keine Autos, nicht einmal Busse und Taxis das Tor passieren. Die Grüne Sibyll Klotz verstieg sich dazu, diese Pickelhaubenpolitik als einen Sieg der »Vernunft« zu feiern.

Widerstand regt sich. Der ADAC ergreift entschlossen die Partei des Fortschritts und fordert im Auftrag seiner 80 Millionen Mitglieder (die ihm freilich nicht alle darin folgen dürften) die sofortige Beseitigung der »Brandenburger Sperre«. Klaus-Peter von Lüdeke (FDP) sieht in der nationalen Denkmalpflege »einen verkehrs- und wirtschaftspolitischen Anschlag auf die Mitte Berlins«.

Es sollte jedem Linken die Tränen in die Augen treiben, dass ausgerechnet diese Leute seinen Job tun. Seit ungefähr einem halben Jahr sind in der Politik die Rollen vertauscht. Oder vielleicht schon seit einem halben Jahrhundert? Immerhin ist die Deutsche Einheit eine alte Forderung der Sozialdemokraten, während sie Adenauer mehr als schnurz war. Geradezu rhöndorfisch höhnt deshalb die Berliner CDU von »Europas berühmtester Sackgasse«, setzt jedoch in völliger Verkennung der Mehrheitsverhältnisse auf eine Befragung der Berliner.

In einer Umfrage sprechen sich knapp 90 Prozent der Zehlendorfer Tagesspiegel-Leser für eine dauerhafte Schließung aus, und es ist mehr als fraglich, ob die Leser des Neuen Deutschland klüger sind. Das Westberliner Blatt schlägt sich auf die Seite seiner Abonnenten und Strieders. »Spätestens seit dem 3. Oktober, als das Tor mit großem Spektakel enthüllt worden war, sei ihm klar geworden, dass die Menschen diesen Ort nur genießen können, wenn er weitestgehend vom motorisierten Verkehr frei gehalten wird. Ihn habe die 'Empathie' überrascht, mit der sich die Berliner und Gäste der Stadt den Platz als Ort des Flanierens und Verweilens erobert hätten.«

Empathie für ein Denkmal des Verbrechens, Verweilen im Zentrum der nationalen Idiotie. Das Flanieren ist, nebenbei gesagt, einer der schlimmsten Einfälle des Feuilletons, denn er hat Schule gemacht. Anstatt scheußliche Plätze mit starrem Blick zielstrebig zu überqueren, stehen die Flaneure zu Hunderten im Weg herum und atmen geräuschvoll Atmosphäre ein. Wenn sie nicht Franz Hessel gelesen haben, dann zumindest Strieder; das nenne ich Rezeptionsgeschichte. Immerhin lässt der Senator »zierliche Poller« vor das Tor stellen, die gewiss beim nächsten Barrikadenbau nützlich sein werden.

Die Berliner Morgenpost führt indes das einzige Argument an, das für eine Sperrung des Tors spricht. Im Bereich der »südlichen Umfahrung« habe der Verkehrslärm erheblich zugenommen, die Anwohner hörten trotz Doppelverglasung den ganzen Tag das Rauschen der Automobile. »Auch im Büro des Kommunikationsunternehmens 'tss' gehört das Rauschen zum Arbeitsalltag. 'Bei Telefonaten verstehen wir oft unser eigenes Wort nicht mehr', sagt Mitarbeiterin Gisela Brückmann«, sondern nur noch »tsssss«.

Aber alle Fragen von antinationalem Interesse sind solche der Abwägung, die Erschütterung der Bausubstanz scheint hier doch wichtiger als die der Kommunikationsunternehmen. Die Forderung einer historisch bewussten Linken kann daher nur lauten: Mr. Wowereit, open this gate, aber ausschließlich für Lkws ab 60 Tonnen.